Die Wahrheit: 48 Sekunden Suhrkamp

Einen Tag geopfert, um nach Augenblicken wieder nach Hause geschickt zu werden. Der Fall Suhrkamp hat auch mich viel Kraft gekostet.

Was hätte man in dieser Zeit alles machen können? Suhrkamp-Bücher lesen zum Beispiel. Bild: dpa

Das Abendland wird um neun Uhr morgens untergehen, hatte der Richter am Telefon gesagt, sinngemäß, und wörtlich hinzugefügt: „Das ist nur ein Verkündigungstermin, das kann sehr schnell gehen.“ Sekunden? „Ja, so ungefähr sechzig Sekunden.“ Frage nach Berlin: Muss ich am Aschermittwoch aus meinem idyllischen Kaff am Rhein wirklich …? Ich muss.

Also nehme ich an diesem Tag, als über das Schicksal von Suhrkamp entschieden werden soll, vorsichtshalber eine frühe Bahn. Das Abteil ist krankhaft überhitzt und überfüllt mit Pendlergesichtern, von denen die meisten in Höchst aussteigen, am Chemiewerk. Atemwolken auf dem Bahnsteig. Die Schienen laufen durch Weinfelder, Rebstöcke zu beiden Seiten, parallel zum Main. Reiher im Nebel. Die Landschaft hier ist nur versehentlich flach.

Es folgt das endlose Einrollen in Frankfurt, als wäre das eine Metropole. In Zeitlupe überholen wir einen menschenleeren ICE. Vom Hauptbahnhof runter in die ebenfalls menschenleere U-Bahn zur Konstablerwache, ausgestiegen an der Zeil. Kalt ragen Nachkriegsscheußlichkeiten in den grauen Himmel. Käfergleiche Reinigungsfahrzeuge wirbeln Dreck auf, der eine Weile über dem Asphalt schwebt, bevor er sich wieder legt.

Das Landgericht ein wilhelminisches Monstrum. Lange Schlangen an der Einlasskontrolle, es piepst in der Schleuse und man wird abgetastet. Der Raum 122 ist so groß, dass man problemlos die Türen eines darin geparkten Autos öffnen könnte, mehr aber auch nicht. Die u-förmige Holzbank entlang der hinteren Wand ist schon besetzt wie überhaupt jeder Quadratmeter, desgleichen die einzige frei im Raum stehende Bank.

„Mir sin’ doch a wischtige Leit!“

Dort sitzt Helmut Markwort (Focus), erkennbar am genialisch silbrigen Haarschopf, im Gespräch mit Joachim Unseld, erkennbar am einfach nur genialischen Haarschopf. Daneben „dieser ’Holtrop‘-Autor, der Goetz“, wie neben mir ein sichtlich pensionierter Suhrkamp-Lektor seinem Kollegen steckt.

Am Fenster lehnt sensibel Andreas Maier („Wäldchestag“) neben einem jungen Schriftsteller, der sehr literarisch guckt. Im Gegensatz zu Ulf Erdmann Ziegler („Nichts Weißes“), der am Heizkörper vor dem Fenster lehnt und mich finster mustert. Während ich noch darüber sinniere, was „Erdmann“ doch für ein bescheuerter Vorname ist, werde ich grob zur Seite gedrängt von Rainer Weiss, dem ehemaligen Geschäftsführer von Suhrkamp. Zur Feier des Tages hat der Mann einen Eintracht-Frankfurt-Schal angelegt und verschafft sich mit den Worten „Mir sin’ doch a wischtige Leit!“ Zutritt zum Zentrum des Geschehens, wo er mit verschränkten Armen verharrt.

Unterdessen wird fotografiert und gefilmt, bis endlich der Richter Höhne einläuft. Er setzt sich hinter seinen Tisch und ist wegen der sechzehn Aktenordner gar nicht mehr zu sehen, als er in knappen Worten die Verschiebung der Veranstaltung auf September verkündet. Das war’s. Hat nur 48 Sekunden gedauert.

Auf der zweistündigen Heimfahrt kann ich mich davon überzeugen, dass es einstweilen noch steht, das Abendland.

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kari

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