Indiecomic-Anthologie „Orang“: Beende deine Jugend

„Heavy Metal“ ist das Thema der finalen Ausgabe des Comickunst-Magazins „Orang“. Die Macher sind erwachsen geworden, sie müssen jetzt Geld verdienen.

Geschichte einer schwierigen Mädchenfreundschaft: „Effi redet Blech“ von Anke Feuchtenberger. Grafik: Anke Feuchtenberger / Orang

Das Finale ist schön verstörend. Ein hilfloser Supermarktleiter muss mit ansehen, wie alle seine Waren verschimmeln und seine Stammkunden sich in Zombies verwandeln. Zwei Skater werden von einem Gespenst durch eine Aufzuchtstation für E-Gitarren geführt. In einer albtraumhaften Überwachungsdystopie werden Arbeiter der Königin zum Fraß vorgeworfen.

„Heavy Metal“ ist das Thema der zehnten und letzten Ausgabe der Anthologie Orang, eines der wichtigsten deutschen Sammelpunkte für zeitgenössische Comickunst. Wie alle Ausgaben versammelt sie rund fünfzehn exklusiv gezeichnete Kurzgeschichten. Zeichenstil wie Storytelling sind markant, experimentell, nicht immer zugänglich.

„Zum künstlerischen Anspruch gehört durchaus, dass wir vom Leser einen gewissen Blick für Grafik erwarten, und die Bereitschaft, mitzuarbeiten und nicht nur zu konsumieren“, sagt Orang-Herausgeber Sascha Hommer. Aber es muss sich schon aus sich selbst heraus erklären: „Wir haben nie Sachen genommen, die man nur versteht, wenn man den Künstler kennt oder noch irgendeinen Text dazu lesen muss.“ Deswegen verzichtet die Orang auch komplett auf Artikel oder andere Erklärungen, abgesehen von den englischen Übersetzungen der deutschen Comictexte.

Hamburger Comicschule

Gegründet hat Hommer die Orang 2002, als Student an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Jener Hochschule, die unter der Professorenschaft von Anke Feuchtenberger seit Jahren aufregende Comiczeicher hervorbringt, gerade erst überzeugte Lukas Jüliger mit seinem Debüt „Vakuum“.

Der damals 24-jährige Hommer hatte sich oft darüber beschwert, dass es zu wenig eigeninitiierte Projekte der HAW-Studenten gab. „Bis dann Klaas Neumann zu mir meinte: Ja wenn alles so scheiße ist hier und die Leute zu wenig machen, dann mach’s doch selber.“ Er tat es, gemeinsam mit Neumann, den Namen Orang hatte Hommer aus dem Backpackerurlaub mitgebracht. „’Orang‘ ist indonesisch für ’Mensch‘ und erschien mir passend, weil es in Deutschland eigentlich wie ein Kunstwort aussieht, aber eine verborgene Bedeutung hat, die dann einige doch kennen.“

In den ersten Ausgaben, die noch als kopierte DIN-A4-Magazine erschienen, sammelte sich der spätere Zeichnerstamm: Arne Bellstorf, Till Thomas, Klaas Neumann, Line Hoven, Verena Braun, Hommer selbst. Schritt für Schritt ging es voran: Die Auflagen stiegen, das dritte Heft zierte ein Klappcover mit Siebdruck, mit der vierten Ausgabe wechselte man zum Offsetdruck, ab der fünften waren internationale Gäste dabei, und seit der Nummer sechs wurde man beim deutschen Indiecomic-Vorzeigeverlag Reprodukt verlegt – wo auch heute noch erhältliche Restauflagen vertrieben werden.

Dass nun Schluss ist, liegt schlicht daran, dass die Orang-Generation erwachsen geworden ist. Mehrere Zeichnerinnen und Zeichner haben Hamburg verlassen oder können neben ihren eigenen Projekten auch nicht mehr die Zeit für exklusive unbezahlte Geschichten aufwenden, mehrfach fällt das Wort „Brotjobs“, wenn Hommer von den gewandelten Lebensumständen erzählt. „Früher war Orang das wichtige Projekt, auch um sich selber zu featuren“, sagt er. Doch das Verhältnis habe sich umgedreht: „Die eigenen Projekte sind inzwischen viel größer und laufen automatisch, während Orang immer klein bleibt, man dafür immer kämpfen muss.“

Markante Bildsprache: „Crazy Cop“ von Till Thomas. Grafik: Till D. Thomas / Orang

So sind letztlich vor allem er und Arne Bellstorf verblieben, eine „funktionierende Organisationseinheit“ zwar, aber mit den Diskussionen und gemeinsamen Redaktionssitzungen fehlt ein elementarer Bestandteil des Orang-Produktionsprozesses. Denn das sollte Orang immer sein: ein Labor, in dem man sich trifft und diskutiert. Und weil die HAW-Dozenten ihre Studenten im Zweifel unterstützen mussten, „haben wir eben versucht, das Gegenteil zu machen und immer in die Wunde zu fassen“. Es ging darum, sich selbst zu trainieren, „dass man so ein bisschen Abstand hat von der eigenen Arbeit und das einen das auch nicht verletzt“.

Zugleich, sagt Hommer, würde es für ihn immer schwerer, aufregende Comics zu finden. Auch das ist wieder eine Frage des Älterwerdens und kein Qualitätsproblem, wie er betont – der Drang, Geschichten unbedingt publizieren zu müssen, lässt nach. „Als wir jünger waren, war vieles für uns noch neu. Dieser Enthusiamus ist inzwischen eingeebnet“, so Hommer. „Außerdem habe ich bei der neuen Welle von rund zehn Jahre jüngeren Zeichnern zunehmend Schwierigkeiten zu unterscheiden: Was ist gut und was ist nicht gut? Weil es nach anderen Codes funktioniert.“ Im Moment gebe es international etwa viele Zeichner, die viel mit 80er-Jahre-Retroästhetik und Remineszenzen auf bestimmte Computerspiele und Fernsehserien arbeiten.

So endet also ein Teil des gemeinsamen Wegs der HAW-Generation der frühen nuller Jahre. Traurig macht Hommer das alles nicht. „Ich habe da überhaupt kein sentimentales Gefühl und finde es ehrlich gesagt eher befremdlich, wenn Leute in meinem Alter schon anfangen, ihre Studentenzeit zu romantisieren“, sagt er. „Außerdem hat das Magazin auch vieles eingelöst, wozu es da war.“

Beim Durchbruch geholfen

Das allerwichtigste Ziel, sich selbst beizubringen, wie man Bücher macht, hat man erreicht, genau wie die Etablierung einer Comic-Anthologie, die Vernetzung von deutschen und internationalen Autoren und auch, neue Zeichnerinnen und Zeichner beim Durchbruch zu unterstützen, wie etwa Moki, Marijpol, Till Thomas und den Chinesen Yan Cong. Zudem sind einige Aufgaben inzwischen auch weggefallen, heute ist es für deutsche Zeichner viel einfacher, auch im Ausland verlegt zu werden – eine Entwicklung, an der Orang einen maßgeblichen Anteil hat.

Entsprechend ist die Lücke, die das Ende von Orang reißt, betrauernswert, aber nicht letal. Die gute Verlagsarbeit von Avant, Reprodukt und Edition Moderne, das vierteljährliche Schweizer Strapazin, die jährliche, nur von Frauen gestaltete Anthologie Spring und Comicfestivals wie etwa Erlangen oder Hamburg sorgen weiterhin für viel Vernetzung und Bewegung in der deutschen Alternativcomicszene.

Orang-Releasepartys: 15. März, Comics & Graphics Fest, Leipzig; 5. April, Hinterconti, Hamburg; 12. April, LQR Company, Berlin

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