NSU-Prozess in München: Wohlleben macht auf Verschwörung

Die Anwältin des wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Ralf Wohlleben beantragt, den Prozess einzustellen. Geheimdienste seien in die Taten verwickelt.

Ex-NPD-Kader Ralf Wohlleben vor Gericht in München. Bild: reuters

MÜNCHEN taz | Es war absehbar. Schon am ersten Prozesstag hatte Nicole Schneiders, die Verteidigerin des wegen Beihilfe zu neun der zehn NSU-Morde angeklagten Neonazis und Ex-NPD-Kaders Ralf Wohlleben, ein verschwörungstheoretisches Heftchen auf ihrem Tisch liegen.

Am Mittwoch legte die Szeneanwältin Schneiders, die einst im selben NPD-Kreisverband wie Wohlleben mitmischte, nun los. Erst stellte sie einen Antrag, den Prozess auszusetzen, weil angeblich wichtige Aktenteile fehlten. Dann beantragte sie, das Verfahren komplett einzustellen, weil in ihren Augen inländische und möglicherweise auch ausländische Geheimdienste in die Taten verwickelt seien. Das sei ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“.

Der 38-Jährige Wohlleben soll dem NSU-Trio zusammen mit einem weiteren Angeklagten um die Jahrtausendwende die Ceska-Pistole verschafft haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2006 neun Migranten erschossen. Er schweigt zu den Vorwürfen.

Seine Anwältin Schneiders sprach am Mittwoch von „geheimdienstlichen Verwicklungen“ und insinuierte, der Verfassungsschutz werde verhindern, dass die wahren Hintergründe ans Licht kämen. In ihren Anträgen zitierte sie zum Teil längst widerlegte Zeitungsberichte. Etwa einen der Bild, in dem behauptet wurde, an sechs Tatorten der Ceska-Mordserie sei ein Verfassungsschutzmitarbeiter in der Nähe gewesen.

Bekannte Szeneanwältin: Nicole Schneiders. Bild: dpa

Auch auf das verschwörungstheoretische Heft „Compact“ nahm Schneiders Bezug. In einer Spezial-Ausgabe der rechten Postille wird gefragt, ob der NSU „mit Deckung durch Geheimdienstler – oder sogar in deren Auftrag“ gemordet habe und von einer heißen Spur auf ein „US-geführtes Terrornetzwerk mit Ausläufern bis zu den 9/11-Anschlägen“ gefaselt.

Gleichzeitig beklagte Schneiders am Mittwoch vor Gericht die angebliche mediale Vorverurteilung ihres Mandanten. Dieser sei schon vorab „stigmatisiert“ und als „Terrorhelfer“ bezeichnet worden. „Das Wort mutmaßlich fehlt in der Berichterstattung fast vollständig“, behauptete die Verteidigerin. Es gehe nur um „die Befriedigung des Sensationsbedürfnisses“.

„Nicht mehr als Stimmungsmache“

Sogar die Gedenktafeln, mit denen in mehreren Städten inzwischen der Opfer des NSU gedacht wird, stören die Wohlleben-Verteidigerin. Auf diesen heißt es: „Neonazistische Verbrecher haben zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen in sieben deutschen Städten ermordet“. Schneiders findet: Es sei gar nicht erwiesen, dass Mundlos und Böhnhardt die tödlichen Schüsse abgegeben hätten.

Ohnehin habe sich bereits vor dem NSU-Prozess die Politik in das Verfahren eingemischt, und werde dies sicherlich weiter tun, wenn dessen Verlauf nicht opportun sei, behauptete Schneiders. „Ein faires und rechtstaatliches Verfahren ist nicht mehr möglich.“

Zuschauer und Journalisten verfolgten den Vortrag der Wohlleben-Anwältin von der Empore zum Teil mit Kopfschütteln. Unten im Saal meldete sich im Anschluss sofort Thomas Bliwier zu Wort, einer der Anwälte des 2006 vom NSU ermordeten Halit Yozgat. Hier sei nicht der Ort für „Presseerklärungen“ und „heiße Luft“ ging er die Szeneanwältin Schneiders an. Diese habe „Stimmungsmache und nicht mehr“ betrieben.

Am Nachmittag wird der Prozess fortgesetzt.

In Kooperation mit Radio Lora München, www.lora924.de.

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