Geschichte der deutschen Drohnenpolitik: Abstürzende Aufklärer

Das Euro-Hawk-Desaster ist nicht das erste seiner Art. Bisher wurden drei Großvorhaben der signalerfassenden Aufklärung abgebrochen. Alle 20 Jahre eins.

Anti-Drohnen-Demo vor dem Kanzleramt: die unbemannten Flugkörper machen der Politik schon seit Jahrzehnten Ärger. Bild: dpa

Es ist genau 40 Jahre her. Da erlaubten sich die europäischen Luftfahrtbehörden eine kaum zu erwartende Unbotmäßigkeit. Zur Verwunderung Washingtons verweigerten sie einem neuartigen US-Aufklärungsflieger die Zulassung für den zivil genutzten Luftraum Europas, obwohl dieses Fluggerät von größter Bedeutung für die militärischen Fähigkeiten der Nato sein konnte. Es ging um ein hochfliegendes optional unbemanntes Luftfahrzeug, das extrem lange in der Luft bleiben konnte, eine Drohne der Hale-Kategorie (High Altitude Long Endurance).

Die US-Luftwaffe hatte an dieses Luftfahrzeug vor allem zwei Forderungen gestellt: Es sollte eine Flughöhe von 40.000 Fuß erreichen und damit oberhalb des zivil genutzten Luftraums operieren, und es sollte 28 Stunden in der Luft bleiben können. Ausgestattet mit hochentwickelter Aufklärungstechnik, sollte es die Abstrahlungen von Radaren und den irdischen Funkverkehr auffangen und zur Auswertung an Bodenstationen weiterleiten.

Die U.S. Air Force wollte damit zum Beispiel den Bereitschaftsstand der Luftverteidigung des Warschauer Pakts ausspionieren und zugleich den feindlichen Funkverkehr rund um die Uhr auswerten. Der Flieger sollte sich dabei wie das Aufklärungsflugzeug U-2 außerhalb der Reichweite der meisten Luftabwehrraketen, oberhalb der meisten Wettereinflüsse und vor allem oberhalb des zivilen Flugverkehrs bewegen.

„Compass Dwell“ hieß dieses Geheimprojekt. Doch der Flieger durfte nicht abheben, weil er für sein vorgesehenes Haupteinsatzgebiet, den zivilen Luftraum Europas, keine Zulassung erhielt. So wie dieser Tage sein Enkel, die Hale-Drohne Euro Hawk.

Breguet Atlantic

Fortan besaß die deutsche Bundeswehr eine besonders gefragte Fähigkeit. Sie hatte einige ihrer Seefernaufklärer vom Typ Breguet Atlantic kurz zuvor mit modernster amerikanischer Aufklärungselektronik der Firma E-Systems für denselben Zweck ausrüsten lassen, den auch Compass Dwell erfüllen sollte: das Erfassen von Radar- und Funkabstrahlungen irdischen Ursprungs.

Die deutschen Sigint-Flugzeuge flogen fortan von Nordholz in Niedersachsen regelmäßig über die Ostsee bis kurz vor Leningrad – heute: St. Petersburg – und machten sich ein aktuelles Bild vom Zustand der Luftverteidigung in der UdSSR, Polen und der DDR. Die Missionen wurden „Baltic Express“ genannt und eine standardisierte Operationsform der Nato.

Natürlich waren auch andere Flugrouten möglich. Mit ihren elektronischen Ohren konnten die Breguet-Flugzeuge bis tief in den Warschauer Pakt hineinhorchen. Die Daten wurden in Trier ausgewertet und für Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst über Jahrzehnte eine hochwertige Ware im internationalen Tauschhandel mit Nachrichten und Aufklärungsergebnissen. Bis weit über das Ende des Kalten Kriegs hinaus blieb das so.

LAPAS – 1993

Bereits Mitte der 1980er Jahre begann das Nachdenken über ein ergänzendes Aufklärungssystem mit Radarsensoren, das Bilder aus der Luft schießen sollte, und über den Ersatz der alternden Breguet-Flugzeuge in der Sigint-Variante. Ein bis zu 18.000 Meter hoch fliegendes Luftfahrzeug sollte als Träger dienen. E-Systems aus den USA und der bayerische Mittelständler Grob bildeten ein Team, um an Bord eines deutschen Propellerflugzeugs vom Typ Egrett D-500 ein solches modernes Aufklärungssystem zu installieren.

Es trug den Namen Lapas – und wurde ein Schlag ins Wasser. 1993 musste das Projekt eingestellt werden, weil die Kosten der deutschen Einheit, der Wandel in den Ost-West-Beziehungen und vor allem die Korruptionsgerüchte rund um den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU) und seinen Spezi, den Luftfahrtunternehmer Burkhart Grob, sich in der sogenannten Amigo-Affäre verdichteten. Als das Verteidigungsministerium das Projekt abbrach, hatte die Bundeswehr 716 Millionen D-Mark ausgegeben und einen Beschaffungsskandal mehr in seinen Annalen.

Die Sigint-Versionen der Breguet Atlantic blieben derweil weiter gefragt. Sie bildeten ab 1995 einen wichtigen Beitrag Deutschlands während der Jugoslawien-Kriege und trugen dazu bei, dass Bundeswehr und BND gefragte Partner blieben.

Der Eurohawk – 2013

Ende der 1990er Jahre begann ein neuer Anlauf, endlich einen geeigneten Nachfolger für diese Flugzeuge zu finden. Absehbar war damals, dass die Breguets bis 2010 schrittweise außer Dienst gestellt werden mussten. 2002 einigte sich die Bundeswehr intern auf die technischen Anforderungen an ein solches System, 2004 wurde festgelegt, dass die Drohne Global Hawk das favorisierte Trägersystem werden sollte. Sie konnte bis zu 30 Stunden in der Luft bleiben, in 20.000 Metern Höhe operieren und Distanzen von mehr als 20.000 Kilometern überbrücken.

Anfang 2007 wurde ein Entwicklungsvertrag mit der Industrie unterzeichnet. Dieser sah vor, dass Northrop Grumman mit der Global Hawk das Trägersystem liefern sollte und die EADS-Tochter Cassidian die Aufklärungselektronik. Letzteres begründete das Verteidigungsministerium mit einer Weigerung Washingtons, erneut modernste Aufklärungselektronik an Deutschland zu liefern. Das Aufgabenfeld des Euro Hawk sollte erneut die Signalerfassung von Radarquellen und Funkabstrahlungen sein.

Eine Geiselkrise im Jahres 2003 dürfte die rot-grüne Regierung bestärkt haben, ein solches System zu verfolgen. Islamisten hatten damals in der algerischen Sahara eine größere Touristengruppe aus Deutschen, Österreichern und Schweizern entführt, verschleppt und in zwei Gruppen aufgeteilt. Nach langer Ungewissheit gelang es schließlich, beide Gruppen zu orten und die Geiseln mithilfe eines Armeeeinsatzes und einer Lösegeldzahlung unversehrt zu befreien.

Die Ortung der Geiseln – so ergab es sich später aus Abrechnungsunterlagen der Schweiz über ihren Kostenanteil – war mithilfe der deutschen besonderen Fähigkeiten der deutschen Aufklärungsflugzeuge vom Typ Breguet gelungen. Diese hatten die Abstrahlungen mobiler Telefone geortet.

Auf ein Neues

Auf solche Möglichkeiten will die Bundesregierung auch künftig nicht verzichten. Zwar ist heute klar, dass der Euro Hawk in Europa keine Zulassung bekommt, dennoch soll nach dem Willen des Verteidigungsministeriums seine Erprobung zumindest so lange fortgeführt werden, bis die Aufklärungselektronik vollständig zertifiziert ist. Dafür ist man bereit, weiter Geld auszugeben.

Erprobt wird die Missionselektronik über der Nordsee, Süddeutschland und dem sogenannten Polygon in der Pfalz. Dort wird getestet, ob die Missionselektronik Radarstellungen auch östlicher Technik, die nach Auflösung der NVA dort aufgebaut wurden, sauber erkennt. Über der Nordsee wird erprobt, ob Strahlungsquellen auf See richtig erfasst werden. Bei Flügen über Deutschland soll zudem getestet werden, ob Funkverkehr, Radio- und Fernsehprogramme sowie Handygespräche oder SMS-Nachrichten erfolgreich aufgefangen und zur Auswertung an die Bodenstationen weitergeleitet werden können.

Die Zulassung dieses Systems soll zu Ende gebracht werden, damit künftig nur noch entschieden werden muss, welches andere Trägersystem die Missionselektronik aufnehmen soll. Das Verteidigungsministerium argumentiert: Dann sind nur die Ausgaben für den gescheiterten Global Hawk verlorenes Geld.

Die Suche nach einer Alternative zu der inzwischen ausgemusterten Sigint-Version der Breguet Atlantic wird mit dem Ende des Vorhabens Euro Hawk kaum beendet werden. Sie geht nur in eine neue Runde. So wie bereits nach dem Scheitern von Compass Dwell und Lapas. Am Ende aber dürfte diesmal ein rein deutsches System ohne Beteiligung der US-Industrie stehen. Teuer wird das auf jeden Fall. Ob der neue Anlauf klappt, bleibt abzuwarten. Gesichert ist das keineswegs - wie die vergangenen vier Jahrzehnte zeigen.

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