Die Wahrheit: Cool wie Merkel

Bei den Meinungsumfragen im Videotext ist die Welt noch überschaubar. Die Sender gewähren tief gehende Einblicke in das Bewusstsein der Zuschauer.

Zahlen sind das A und O des Videotexts, wo Teilnehmer von Meinungsumfragen ganz leicht zu Prozentgrößen verrechnet werden. Bild: Stefan Boness/Ipon

Die menschliche Natur lässt sich nur schwer in die Schranken weisen: Seit ich zu Hause das Internet abgeschafft habe, damit ich mich nicht vom Schreiben ablenken lasse, bin ich ein großer Fan des Videotextes geworden.

Das Inhaltsverzeichnis kenne ich fast auswendig: Ich weiß, wo sich die ARD-Einschaltquoten vom Vorabend finden (Seite 448) und die 5-Tage-Wettervorschau des rbb (172) und die Vorwahlen für die günstigsten Mobilfunktarife beim ZDF (589). Sogar die Seite für die Ergebnisse der Kreislage A des Berliner Fußballverbandes kenne ich: rbb-Seite 889.

Ich liebe die kompakten Informationen auf wenigen Zeilen, das kontemplative Blättern von Seite zu Seite, vor allem aber liebe ich die TED-Umfragen, bei denen andere Videotext-Freaks ihre Meinung kundtun. Umfragen, die zwar nicht im engeren Sinne als repräsentativ gelten können, die aber doch tiefe Einblicke in die Zuschauerschaft der privaten Fernsehsender gewähren (zumindest jenes Teils der Zuschauer, der einfältig genug ist, sein Geld in sinnlose Telefonumfragen zu investieren).

So fragt der Musiksender VIVA regelmäßig nach zielgruppenaffinen Prominenten: „Nach acht Staffeln GNTM wächst die Kritik an Heidi Klum. Wer hätte das Zeug zur neuen Model-Mama?“ 12,5 Prozent der Anrufer sind für Jorge Gonzales, 18,8 Prozent für Michelle Hunziker, 62,5 Prozent für Bruce Darnell. Wobei sich die queere Grundmenge der Befragten aus 16 Anrufern speist.

Publikumswirksamer scheint der Anreiz von Tele 5, der Regierung mal tüchtig die Leviten zu lesen: Rund 2.400 Zuschauer haben angerufen, um die Frage „Welche Schulnoten geben Sie der Regierung von Merkel und Co?“ zu beantworten.

Das Ergebnis: 80,7 Prozent geben „ungenügend“, nur 12,6 Prozent „sehr gut“ oder „gut“. Wobei derartiger Populismus durchaus demokratiestabilisierende Wirkung haben kann: Wo kann man für 25 Cent schon so leicht Luft ablassen, um anschließend in Ruhe weiter „Target – Krieg der Sniper“ zu sehen?

Sieger bei Sat 1: Alternative für Deutschland

Tiefer gehende Einblicke in das politische Bewusstsein seiner Zuschauer gewährt Sat.1: Auf die Suggestivfrage, ob Merkels Versprechen von Wahlgeschenken in Höhe von 28,5 Milliarden glaubwürdig sei, antworten wenig überraschend drei Viertel der Anrufer mit „Nein“. Getoppt wird dies nur durch die 95,5 Prozent, die Philipp Röslers Forderung nach Zuwanderung weiterer hochqualifizierter Ausländer ablehnen.

Da nimmt einen auch das Ergebnis der Sonntagsfrage nicht weiter wunder, die die Comedy-Spezies von Sat.1 wöchentlich im Angebot haben: Mit gut 6 Prozent würden die Zuschauer FDP und Linke in den Bundestag wählen, Grüne und CDU kämen auf 11 beziehungsweise 13 Prozent, die Steinbrück-Partei auf 20. Überragender Sieger wäre die „Alternative für Deutschland“ mit 42 Prozent.

Nun fragt man sich, was die Euroskeptiker ausgerechnet einem Sender wie Sat.1 in die Arme treibt, aber vielleicht ist es ja auch der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke höchstselbst, der sich mit 80 Euro Telefongebühren diesen kleinen Motivationsschub beschert.

Zappen wir lieber schnell zu Pro7, das mit einer serviceorientierten Umfrage wenigstens praktischen Nutzen verspricht: „Deutschland versinkt im Dauerregen: Was tun?“ Zwei Anrufer schlagen vor, mehr zu arbeiten, drei stimmen für „Verreisen“ – eine überwältigende Mehrheit von 44,4 Prozent (acht Stimmen) rät dagegen, am besten cool zu bleiben. Gelassenheit – das Mantra aller Raab-Anhänger; nur ich hatte mir irgendwie etwas anderes erhofft. Aber zum Glück lässt sich bei Dauerregen auch prima im Videotext schmökern.

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kari

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