Debatte Rassismus in den USA: Er zitterte noch immer

Männliche Schwarze müssen sich in den USA häufig für ihr Dasein rechtfertigen. Auch der Sohn unserer Autorin wurde von einem Nachbarn grundlos angegriffen.

„Gerechtigkeit für Trayvon Martin“ skandierten die Menschen, die am Samstag in die USA auf die Straße gingen Bild: ap

Wie oft wohl werden weiße Menschen auf der Straße angehalten und gefragt, wer sie sind und was sie an einem Ort, an dem zu sein sie jedes Recht haben, eigentlich zu suchen haben? Das ging mir durch den Kopf, als ich die Proteste nach dem Freispruch für George Zimmerman sah, die Demonstrationen, die Aufrufe zum Dialog. Was müsste passieren, damit kein 17-jähriger schwarzer Junge mehr sein Leben durch einen selbst ernannten Nachbarschaftswächter verliert?

Es heißt, Trayvon Martin könnte noch leben, wenn Zimmerman einfach gefragt und Martin erklärt hätte, warum er sich in der bewachten Wohnanlage von Sanford, Florida, aufhielt, wo sein Vater lebte.

Viele sehen in der Frage keine Beleidigung. Sie erkennen nicht den Affront, den viele Schwarze erleben, wenn sie sich andauernd für ihre bloße Existenz rechtfertigen müssen. Sag uns einfach, dass du ein guter Junge bist, dann kannst du auch ganz normal mit den Bonbons für deinen kleinen Bruder nach Hause gehen.

Insbesondere männliche Schwarze in den USA werden, bevor sie ein bestimmtes Alter erreichen, ausführlich darin geschult, sich in solchen Situationen angemessen zu verhalten. Sie lernen, was sie tun müssen, um ängstliche Weiße zu beruhigen, und wie sie sich den Anmaßungen weißer Autoritäten unterwerfen, ob die nun offiziell und legal sind oder nicht. Beantworte ihre Fragen ruhig und langsam, mach keine plötzlichen Bewegungen.

Ignorieren und widersprechen kann gefährlich sein

Nichts, das lernen alle schwarzen Jungs schon früh, kann gefährlicher sein, als jemanden zu ignorieren oder jemandem zu widersprechen, der überprüfen will, wer sie sind und warum sie dort sind, wo sie sind. Unzählige schwarze Männer in Amerika, egal ob Richter, Professoren, Gangster oder unschuldige Jugendliche, wissen, dass ihnen die Entwürdigung nicht erspart bleiben wird, unabhängig von Kleidung, Verhalten oder Alter.

Es gibt ein Wort dafür: Racial Profiling. Es zu benutzen, um Zimmermans Handlungsweise zu charakterisieren, war im Gerichtssaal nicht erlaubt.

Es ist viel darüber diskutiert worden, ob Zimmerman nun eigentlich als Weißer angesehen werden sollte oder als Angehöriger einer anderen Minderheit, als Latino. Seine Mutter war Peruanerin, sein Vater weiß. Wichtiger noch: Als was sieht er sich selbst? Hat er sich die Privilegien der Macht angeeignet, die diese Gesellschaft im Allgemeinen weißen Männern zugesteht, verstärkt noch durch die Faszination, irgendwie Polizist zu sein?

Ich weiß nur eins sicher. Das Szenario rund um die Tötung von Trayvon Martin kommt mir als Mutter eines jungen schwarzen Mannes unglaublich bekannt vor. Ich habe mich bemüht, meinen Sohn in Gegenden großzuziehen, wo ein Mix von Menschen wohnte, verschiedene Ethnien, aber auch unterschiedliche Einkommensschichten und Kulturen, weil ich wollte, dass er mit vielen verschiedenen Leuten zusammenkommt.

Wir lebten in einem Mittel- und Arbeiterklasseviertel in Washington, D. C. Wir wohnten in einem Apartmenthaus, gegenüber waren Sozialwohnungen, daneben Eigenheime. Die öffentlichen Schulen waren nicht gerade die besten, aber dafür konnte sich mein Sohn in einem Umkreis von drei Wohnblocks ohne Probleme bewegen.

Zumindest bis er ein Teenager wurde. Hausbewohner, die ihn nicht so gut kannten wie andere, betrachteten ihn plötzlich mit Misstrauen.

Einmal regte sich ein Nachbar auf, als mein damals 15-jähriger Sohn mit zweien seiner Freunde vor dem Haus stand und sich an dessen Auto anlehnte. Mein Sohn sagt, er sei schnell aufgestanden und habe sich entschuldigt. Aber der Mann packte ihn am Kragen und hob ihn hoch: eine Machtdemonstration, die nicht nur für meinen Sohn bestimmt war, sondern auch für seine Freunde. Dieser Nachbar war ein Riesenkerl, ein paar Köpfe größer als mein Sohn, der damals noch schlaksig, zerbrechlich und dürr war.

Mein Sohn hatte die Geistesgegenwart, dem Mann zu sagen, dass das, was dieser machte, als Angriff angesehen werden könnte. Nachbarn, die die Szene von der anderen Straßenseite aus beobachteten und meinen Sohn kannten, riefen ihm zu, er solle ins Haus gehen, und erinnerten daran, dass er tatsächlich ja alles Recht der Welt hatte, sich da aufzuhalten, weil er ja dort wohnte. Das wiederum überraschte den anderen Nachbarn. Er versuchte eine Entschuldigung, während mein Sohn seinen Schlüssel nahm und in das Apartmenthaus ging.

Polizei redet Zwischenfälle klein

Als ich an dem Abend nach Hause kam, war der Mann weg, und bei ihm zu Hause war nur seine Lebensgefährtin anzutreffen. Mein Sohn wartete auf der Straße auf mich. Er zitterte noch immer. Ich rief die Polizei an, die versuchte, den Zwischenfall kleinzureden. Wenn ein weißer Junge auf der Columbia Road herumlaufen würde, sagten sie, würden sie ihn auch anhalten. Damals war ein Weißer auf der Columbia Road noch eine echte Seltenheit. Ich erinnerte den Polizisten daran, dass mein Sohn angegriffen worden war, und er gab klein bei und sagte der Lebensgefährtin, dass ich berechtigt sei, Anzeige zu erstatten. Mein Sohn wollte das aber nicht, sodass ich es bleiben ließ.

Aber das war kein Einzelfall. Eine schwarze Frau, die ein Apartment in dem Haus gekauft hatte, zog nach knapp einem Jahr wieder aus. Sie erklärte, sie wollte ihren Sohn aus einer Umgebung herausholen, wo er andauernd von weißen Anwohnern gefragt wurde, wer er sei und was er da zu suchen habe. Ich habe ihn als ruhigen, freundlichen jungen Mann in Erinnerung, der damals ein Praktikum bei einem großen Fernsehsender machte.

Es gab und gibt Weiße, die sagen, die Lösung sei doch ganz einfach: Sie hätte nur ihren Sohn einmal herumführen und den Nachbarn vorstellen müssen, damit sie wüssten, wer er sei. Als Begründung wird dann meist die große Anzahl der von jungen Schwarzen begangenen Verbrechen angeführt, obwohl in Wirklichkeit Opfer und Täter meist ziemlich genauso aussehen. Jedenfalls: Keiner von ihnen war je auf die Idee gekommen, sich selbst einmal den Nachbarn vorzustellen. Aber sie erwarteten, dass man ihnen versicherte, dass mit diesem jungen schwarzen Mann alles in Ordnung sei.

Mein Sohn und ich hatten lange vor dem Nachbar, der ihn anpöbelte, in dem Apartmenthaus gewohnt. Mein Sohn hatte sich um die Haustiere der Mitbewohner gekümmert und mit ihnen Kochrezepte ausgetauscht. Viele fanden das amüsant und charmant. Aber alle Weißen, die zuzogen, verlangten eine Versicherung, dass er für sie keine Bedrohung darstellte.

Es ist ermüdend

Typisch war zum Beispiel, dass ein Anwohner schnell die Eingangstür zum Apartmenthaus hinter sich zuzog, wenn er meinen Sohn kommen sah. Der musste dann seinen Schlüssel hervorholen. Im Fahrstuhl standen sie wieder nebeneinander. Mein Sohn versuchte, die Situation mit Humor zu nehmen. Aber es war ermüdend.

Wenn ich über den Zwischenfall vor dem Haus nachdenke, glaube ich, dass es um Einschüchterung ging. Wäre mein Sohn älter und vielleicht wirklich eine Bedrohung gewesen, hätte ihn der Mann vermutlich nicht so angepöbelt. Mein Sohn trug weder einen Kapuzenpulli noch irgendetwas anderes, was sein Gesicht verborgen hätte.

Wenn ich an Trayvon Martin denke und an die Art, wie dieses Gerichtsverfahren vollkommen auf den Kopf gestellt wurde und zur Anklage gegen das ermordete Kind führte, frage ich mich, ob George Zimmerman, der ja bewaffnet war, sich wirklich bedroht fühlte und ob er Trayvon Martin auch gefolgt wäre, wenn er ihn nicht als einen jungen und verletzlichen Mann ausgemacht hätte.

Wenn ich an die Erfahrung meines Sohnes denke, daran, wie aufgewühlt er war in einer Mischung aus Angst und Wut, dann scheint mir von Leuten wie George Zimmerman und meinen Nachbarn, die junge Schwarze als Bedrohung ansehen, die größere Bedrohung auszugehen. Was für andere eine harmlose Frage sein mag, bedeutet für junge Schwarze, dass ihr gesamtes Sein infrage gestellt wird.

Nach dem Freispruch für Zimmerman ist eine Stille über mich gekommen. Es ist nicht einmal Resignation. Ich habe bewusst versucht, an den jungen Trayvon Martin zu denken. Irgendwie wollte ich ihn immer noch retten, ihn wiederbeleben, wenigstens im Geiste. Ich dachte an seine Mutter. Sie hatte geglaubt, ihren Sohn zu seinem Vater geschickt zu haben, raus aus dem Stress von Miami. Auf der vergeblichen Suche nach einem Ort in Amerika, wo ein schwarzes Kind nichts zu befürchten hat.

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