Überwachung in China: Leben unter strengen Augen

Der taz-Korrespondent in Peking fühlt sich beobachtet. Wenn er ins Internet geht, trifft er Vorsichtsmaßnahmen. Die totale Kontrolle hat China aber nicht.

Wer hier wohl alles mitliest? Ein Internetcafé in Peking Bild: dpa

PEKING taz | In einem autoritären Staat wie China gehen Journalisten ständig davon aus, dass sie abgehört werden. Sehr wahrscheinlich passiert das auch. Mir persönlich ist in meiner bislang anderthalbjährigen Tätigkeit als Chinakorrespondent noch nichts Konkretes aufgefallen. Höchstens einmal vielleicht.

Ich wohne hier mit vielen Diplomaten, Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen und anderen Korrespondenten unter einem Dach. Im Erdgeschoss, direkt unter meiner Wohnung, unterhalten drei ältere Damen ein Büro. Es geht dort häufig recht fröhlich zu. Viel zu tun scheinen sie nicht zu haben.

Bis vor Kurzem dachte ich, sie gehörten zur Wohnungsverwaltung – bis ich einmal wegen einer defekten Steckdose bei ihnen hineinplatzte. Sie starrten mich ganz verschreckt an, als hätte ich sie bei etwas ertappt. Stammelnd antwortete mir eine, mit der Verwaltung hätten sie nichts zu tun. Ich hatte aber dennoch den Eindruck, dass sie mich sehr genau kannten. Seitdem verdächtige ich sie der Spitzelei.

Ich mag mich täuschen. Aber so wie die meisten in- und ausländischen Journalisten hier in China gehe auch ich davon aus, dass der chinesische Staat uns beobachtet und unsere Laptops anzapft. Meistens gehe ich damit recht entspannt um. Denn für uns hier gilt generell: Wir haben den Behörden gegenüber nichts zu verheimlichen. Zumindest nichts auf unseren Rechnern.

Chinesische Netzaktivisten enttäuscht von den USA

Dennoch versuche ich zumindest einige Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Wichtige Mails verschlüssele ich. Geht es um sensible Themen, treffe ich Gesprächspartner nur persönlich. Und auch wenn mir das keinen Schutz vor Cyberattacken garantiert: Die meiste Zeit bin ich in China über ein sogenanntes VPN (Virtual Privat Network) im Netz. Dabei handelt es sich um Dienste, die zumeist in den USA oder in europäischen Ländern Server stehen haben, in die ich mich über eine verschlüsselte Verbindung – auch Tunnel genannt – einlogge. Der VPN-Provider leitet die Webanfragen weiter und verpasst mir als Nutzer eine neue, anonyme IP-Adresse.

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Nicht nur dass ich auf diese Weise Chinas Great Firewall, die staatliche Internetüberwachung, umgehe und mir darüber Zugang zu den an und für sich gesperrten Seiten von Facebook, YouTube oder Twitter verschaffe. Alles, was ich von meinem Rechner aus abrufe, befindet sich in diesem Tunnel und ist von außen nicht ohne Weiteres einsehbar. Anders als beim normalen Surfen erkennt der chinesische Staat damit dann auch nicht ohne Weiteres, auf welchen Webseiten ich mich befinde. Er sieht nur, dass ich mich in den einen VPN-Server eingewählt habe. Nur der VPN-Provider weiß, wer ich bin und welche Seiten ich abrufe. Und ihm kann ich vertrauen – zumindest dachte ich das bislang.

Mit den Snowden-Enthüllungen über die Spähdienste des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA stellt sich jedoch heraus: Vor dem chinesischen Staat mögen uns die VPN-Zugänge schützen. Dafür werden wir aber von den USA ausgespäht. Das hat Whistleblower Snowden nämlich ebenfalls enthüllt: Die NSA hat sich mit ihren Spähprogrammen auch Zugang zu sämtlichen VPN-Servern verschafft.

Ich persönlich gehe zwar davon aus, dass ich hier für die NSA nicht so interessant bin wie für die chinesischen Behörden. Und dennoch: Auch chinesische Netzaktivisten, von denen die meisten ebenfalls über VPN-Zugänge verfügen, sind enttäuscht von den USA. „Vom chinesischen Staat wussten wir, dass er nicht viel von Datenschutz hält“, schreibt die Bloggerin Akid. „Nun müssen wir uns zusätzlich vor den USA schützen.“ Und Netzaktivist Mingli bedauert: „Die Hemmschwelle vor der totalen Überwachung ist mit den Machenschaften des NSA komplett gefallen.“

Topkader mit Hilfe des Internets gestürzt

Tatsächlich gehen Chinas Behörden gegen eigene Whistleblower sehr rigide vor. So ist etwa seit Anfang der Woche der chinesische Netzaktivist Zhou Lubao verschwunden. Zhou ist bekannt dafür, Beamte der Korruption zu überführen, indem er Bilder von ihnen ins Netz stellt, auf denen sie mit teuren Schweizer Armbanduhren zu sehen sind. Die Annahme: Vom regulären chinesischen Beamtengehalt können sie sich solche Uhren in der Regel nicht leisten. Netzaktivisten haben auf diese Weise bereits eine Reihe von Topkadern gestürzt. Seit Anfang der Woche ist Zhou aber nicht mehr aufgetaucht. Seine Freundin befürchtet, dass die Staatssicherheit ihn eingesperrt hat. Hinzu kommt, dass die chinesischen Zensoren allein seit März schon wieder mehr als 100 Websites gesperrt haben, stets mit der Begründung, die Betreiber hätten sie nicht ordnungsgemäß angemeldet.

Und trotzdem floriert im chinesischen Internet die freie Meinungsäußerung. Täglich werden Zehntausende kritische Einträge und Kommentare gepostet und binnen weniger Sekunden weiterverbreitet. Die Zensurbehörden kommen mit dem Löschen gar nicht hinterher. Und besonders kritische Texte finden sich häufig als Fotodateien im Netz. Auf diesem Weg umgehen die Verfasser die Suchfunktionen der Zensoren, die meist nur auf Wörter ausgerichtet sind.

Der chinesische Staat zensiert, späht aus und geht gegen Netzaktivisten vor. Die totale Kontrolle über das Netz scheint er aber nicht zu haben. Dafür arbeiten seine Behörden entweder nicht gründlich genug, oder die flächendeckende Überwachung war bisher gar nicht ihr Ziel. Schon möglich, dass die NSA nun auch in China neue Maßstäbe setzt.

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