Kolumne Liebeserklärung: Kolonie Deutschland

Nirgendwo ist die Aufregung über das Spähprogramm Prism so groß wie unter den Landsleuten. Woran mag das bloß liegen?

Ihnen fehlt es an Demut? fahren Sie doch mal an den Strand in der Normandie. Bild: ap

Erinnert sich noch jemand an die „Antideutschen“? Diese linksradikale Strömung hatte mit ihrer Warnung vor einer deutschen Hegemonie Anfang der 1990er Jahre Konjunktur – soweit man bei Linksradikalen von Konjunktur sprechen kann.

Als die deutsche Machtübernahme auf sich warten ließ, erlahmte allerdings das Interesse – bis die Eurokrise ausbrach und im Süden der Gemeinschaft deutsche Politiker mit „Heil Hitler!“ empfangen wurden. Hierzulande hatten dafür auch Wohlmeinende wenig Verständnis: Was bitte schön sollten denn griechische Misswirtschaft oder die Vorliebe der Italiener für einen kriminellen Lustmolch mit der deutschen Vergangenheit zu tun haben? Das war doch so was von 1933–45!

Man braucht aber nur nach Antwerpen fahren und erleben, wie jüdisch-orthodoxes Leben dort ganz ohne Polizeischutz auskommt; oder nach Ypern, wo im Vorfeld des Weltkriegsjubiläums 2014 an den ersten deutschen Griff nach der Weltmacht erinnert wird.

Und auch am Strand in der Normandie, wo man der Befreier gedenkt, die vor 70 Jahren ihr Leben aufs Spiel setzten, damit Europa keine Kolonie deutscher Herrenmenschen blieb, kann man sensibel werden für die nationalistischen Töne, die in Deutschland beim Protest gegen die angebliche Ausspähung durch „ausländische Dienste“ im Kontext der Prism-Affäre mitschwingen.

Dass Deutschland noch jemanden über sich hat, und sei es eine Krake wie die NSA, das macht es liebenswert – jedenfalls für alle, die sich erinnern, warum wir die erste Strophe des Deutschlandlieds nicht mehr singen.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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