Die Wahrheit: Denken im Dickicht

Jakob Augsteins „Schicksalsjahre eines Gärtners“. In dem viel beachteten Roman trinkt er Château Lafite und blättert niedergeschlagen in den Gelben Seiten.

Blumen in Augsteins Garten. Sind sie nicht wunderschön? Bild: dpa

Nach dem fulminanten ersten Band „Die Tage des Gärtners“ legt Jakob Augstein nun mit „Schicksalsjahre eines Gärtners“ die lang erwartete Fortsetzung vor. Mit einem Vorwort von Claus Kleber. Mit einem Nachwort von Hannes Jaenicke. Mit einer Empfehlung von Literaturnobelpreisträger Günter Grass: „Mit der Harke in der Linken bestellt Jakob Augstein in ’Schicksalsjahre eines Gärtners‘ furchtlos das weite Feld des Weltfriedens, auf dem Zwietracht zu säen sich gewisse Kreise immer wieder anmaßen.“

Kapitel 1

Dunkle Wolken hingen über Berlin-Zehlendorf. Jakob stand am Fenster des Bibliothekszimmers und dachte über seine geliebten Funkien nach und den Kapitalismus selbstverständlich. Es ging darum, glaubte er, die Begriffe zurückzuerobern: Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie, Freiheit: Ein trübsinniger Kapitalismus hatte uns diese Begriffe geraubt. Wir hatten unsere Verantwortung delegiert, und dann war sie im Dickicht der von Gier getriebenen Banken verschwunden.

Melancholisch ließ er den Blick über den parkähnlichen Gartens seines Anwesens schweifen. Die sechsstufigen Terrassen am Südhang waren dem Garten von Schloss Sanssouci im nahen Potsdam nachempfunden. Oder verhielt es sich nicht genau umgekehrt? Jakob könnte die junge Kunsthistorikerin fragen, die gerade beim Meinungsmagazin Freitag volontierte. Mit Geschichte kannte er sich nicht wirklich gut aus.

Kein Wunder. Seine Geschichtslehrerin war eine mittelalte Frau mit hängenden Mundwinkeln und kräftigen Hüften gewesen, die von den Schülern wegen ihrer Frisur stets verspottet worden war. Ahnungslose Allgemeinplätze, das war alles, was sie von sich gab. Eine Frau, die er verachtet hatte. Genau wie heute die Kanzlerin. Jakob verzog angewidert das Gesicht bei dem Gedanken an die träge Frau, die Deutschland regierte.

Unwillkürlich folgte sein Blick nun den Bewegungen des kräftigen Mannes in einer moosgrünen Latzhose, der geschäftig im Garten zwischen seinen geliebten Funkien hin und her lief. „Der grüne Heinrich GmbH“ stand in weißer Schrift auf dem Latz seiner Arbeitshose. „Der grüne Heinrich GmbH“ war die Gartenbaufirma, die Jakob beauftragt hatte, seinen Park zu pflegen. Jedes Mal schickten sie andere Leute. Die Zeiten des sozialpolitisch eingehegten Arbeitsmarkts waren vorbei. Hire and Fire herrschten wie drüben in Amerika. Das politische System war in der Hand des Kapitals und seiner Lobbyisten. Die Checks and Balances hatten versagt.

Mit schweren Schritten bewegte der Gartenarbeiter eine Schubkarre in Richtung des östlichen Gartenflügels. Nur ab und zu telefonierte der Mann oder tippte irgendwas in sein Handy. Warum eigentlich? Und warum würdigte er seine geliebten Funkien nicht eines Blickes.

Jakob ließ sich gereizt am Sekretär aus Walnussfurnier in Fensternähe nieder und schaute mit gerunzelter Stirn dem Treiben des schlecht rasierten Arbeiters in der grünen Hose zu. Seine Gedanken kreisten um das Elend der Postdemokratie. Es war ein System der Lüge, fand er. Die Ideologen des Neoliberalismus redeten gern von Leistung, die sich wieder lohnen sollte. Aber wir lebten nicht in einer Leistungsgesellschaft, sondern in einem Ständestaat.

Apropos Leistung. Was machte der grüne Bursche da eigentlich mit seinem japanischen Ahorn? „Moooment!“, entfuhr es Jakob unwillkürlich, als er der Heckenschere ansichtig wurde, mit der der freche Gärtner sich entschlossen den Zweigen des kostbaren japanischen Ahorns näherte. Der Baum war ein Geschenk des japanischen Kaisers an seinen Vater gewesen.

Oder hatten wir ihn aus dem Pflanzencenter an der Clayallee? Sicher war sich Jakob da nicht. Aber jeder kultivierte Mensch wusste, dass man die Zweige des Ahorns im Herbst nicht schneiden durfte. Sonst würde er ausbluten. Verkümmern. Wie Deutschland unter Merkel.

Mit einem Ruck stieß Jakob die Flügeltür auf und rannte mit wehender Mähne in östlicher Richtung durch den Garten auf den Ahorn zu. „Ich glaub, ich seh nicht recht!“, stieß er schwer atmend hervor und schlug dem verdutzten Arbeiter die Gartenschere aus der Hand, bevor dieser Trottel sein schäbiges Werk vollenden konnte. Zum Glück hatte Jakob sein geliebtes Manufaktum-Beil jetzt nicht zur Hand, mit dem er sich einmal beim Holzhacken eine Wunde ins Bein gehauen hatte.

Später, am Abend, saß Jakob im Kaminzimmer und dachte über Gerechtigkeit nach. Warum wurden die Reichen reicher und die Armen ärmer? Das drängendste Problem in Deutschland war die wachsende Ungerechtigkeit und Ungleichheit in der Gesellschaft.

Es war ganz gleich, welche Statistik man zur Hand nahm, die Ergebnisse wiesen alle in dieselbe Richtung: Die Republik hatte sich verändert. Jakob nahm einen großen Schluck vom Château Lafite Rothschild und blätterte niedergeschlagen in den Gelben Seiten unter G wie Gartenpflege nach. Einen neuen Gärtner brauchte er jetzt zu all dem anderen Ungemach nämlich auch noch.

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