Geshe Pema Samten über Buddhismus und Emanzipation: „Meine Wut ist seltener geworden“

Der buddhistische Abt Geshe Pema Samten bezweifelt, dass der Mönchsberuf eine Zukunft hat. Andererseits freut er sich über die Emanzipation der tibetischen Frauen

Längst nicht mehr so zornig wie früher: Der in Hamburg lebende tibetische Mönch Geshe Pema Samten. Bild: dpa

taz: Herr Pema Samten, warum sind Sie nicht Regenmacher geworden wie Ihr Vater?

Geshe Pema Samten: Er war ja nicht nur Regenmacher, sondern war auch geistlicher Lehrer, hat Buddha-Statuen hergestellt und das Orakel befragt. Das klingt für Sie sicher befremdlich, aber so war das im alten Tibet.

Und Sie wollten diesen Job nicht machen?

Wenn es nach meiner Mutter gegangen wäre, hätte ich gar keine geistliche Laufbahn eingeschlagen. Dafür muss man aber auch unsere damalige familiäre Situation verstehen: In meiner Kindheit war meine Mutter schwer krank, und mein Bruder hatte eine Art Kinderlähmung. Mein Vater war viele Jahre auf der Flucht. Ich war also quasi die einzige Arbeitskraft.

Was mussten Sie tun?

Da ich aus einer sehr armen Gegend in Osttibet stamme, waren das ganz grundlegende Arbeiten: Ich habe die Felder bestellt und Dung eingesammelt, den wir trockneten, um Feuer machen und Essen kochen zu können. Abgesehen davon war die Situation in Tibet während meiner Kindheit und Jugend bedrückend, und ich war sehr unausgeglichen. Ziemlich jähzornig sogar, um ehrlich zu sein. Und irgendwann dachte ich, dass es nicht gut wäre, ein Leben lang so weiterzumachen.

Und dann sind Sie einfach Mönch geworden?

Ganz so schnell ging es nicht. Als ich mich mit diesen Überlegungen trug, dachte ich, dass wenigstens einer aus unserer Familie einen anderen Weg einschlagen sollte. Da mein Bruder sich körperlich erholte, schlug ich ihm vor, Mönch zu werden, während ich weiter arbeiten wollte. Aber er war nicht interessiert, und dann dachte ich: Gut, dann mache ich es eben.

Wie funktioniert das?

Da es damals verboten war, eine Religion auszuüben, habe ich buddhistische Lehrer aufgesucht, die im Geheimen unterrichteten. Was sie sagten, hat mir enorm geholfen. Sie haben mir zum Beispiel erklärt, wie ich an meinen Gedanken und Gefühlen arbeiten konnte, um zufriedener zu werden. Irgendwann war mir klar, davon will ich mehr wissen. Ich bin dann nach Indien gegangen, um an einer Klosteruniversität zu studieren.

Wie fand Ihre Mutter das?

Sie war strikt dagegen und ich bin heimlich abgereist.

Und dann saßen Sie mit schlechtem Gewissen in Indien.

Ja. Jahrelang habe ich meiner Mutter geschrieben, ohne dass sie ihre Haltung änderte. Aber nach drei Jahren verschwand plötzlich ihre Wut, und sie sagte: Meinen Sohn hat die Tara geschickt. Tara ist eine Art weiblicher Buddha. Ich weiß nicht, wie ihr Sinneswandel zustande kam. Aber ich war unendlich erleichtert.

Wie stark werden die buddhistischen Klöster in Tibet vom Volk unterstützt? Ist man stolz, wenn ein Angehöriger Mönch wird – oder ungehalten, weil eine Arbeitskraft abhanden kommt?

Die Klöster standen nie außerhalb der Gesellschaft, denn die Mönche und Nonnen kommen ja aus den Dörfern der Umgebung. Und früher war es Usus, dass ein Kind der Familie ins Kloster geschickt wurde. Das lag auch daran, dass Klöster früher die einzige Bildungseinrichtungen waren. Dadurch, dass es inzwischen genug andere Schulen gibt, hat das etwas nachgelassen. Aber ein echtes Nachwuchsproblem sehe ich nicht.

Als Sie ins indische Kloster gingen, um zu studieren, hat man Ihnen gesagt, mit Mitte 20 seien Sie zu alt.

Ja, das hing genau mit dieser Tradition der Kindermönche zusammen. Deshalb haben all meine Lehrer gesagt, das Studium anzufangen sei hoffnungslos, eine Koryphäe würde ich ohnehin nicht mehr. Aber ich war entschlossen und dachte, ich lasse sie reden und probiere selbst aus, ob es realistisch ist.

56, stammt aus dem Dorf Jatzi in der strukturschwachen, sehr ländlichen, osttibetischen Provinz Kham.

1982 wurde er in Tibet zum Mönchsnovizen ordiniert. Dann ging er nach Indien, wo er 1997 an der Exil-Klosteruniversität Sera Je das Studium als Doktor der buddhistischen Philosophie abschloss.

1999 kehrte er für drei Jahre als Abt des osttibetischen Dargye-Klosters in die Heimat zurück.

Seit 2003 ist er Lehrer am Tibetischen Zentrum in Hamburg-Rahlstedt, wo er lebt. 2003 initiierte er den Verein Tashi Dargye, um die medizinische Versorgung und die Bildungschancen der Landbevölkerung seiner Heimat zu fördern.

2006 gründete er ein weiteres Tibet-Zentrum in Hannover.

Derzeit bereitet er für Hamburg das Projekt Pema Ling vor, das unter anderem Kita, Heilhaus und Hospiz bieten soll.

Darüber hinaus ist er weiterhin Abt des Mönchsklosters Dargye, wohin er jedes Jahr für zwei Monate reist. Außerdem betreut er zwei tibetische Nonnenklöster, in denen 60 bzw. 80 Frauen leben.

Warum wollten Sie eigentlich unbedingt Mönch werden? Sie hätten ja auch „freischaffender“ Yogi ohne Kloster werden können.

Diese Frage hat sich für mich nie gestellt. Denn die meisten frei umherziehenden Yogis in Tibet lehren kaum. Genau das war aber mein Ziel. Deshalb war für mich klar: Wenn ich anderen als Lehrer nützen will, ist es das Beste, selbst als Mönch zu leben.

Ist das ein Beruf mit Zukunft?

Ich weiß es nicht genau. Der westliche Lebensstil etabliert sich ja immer mehr. Ich könnte mir also vorstellen, dass künftig nur noch wenige Mönche den Buddhismus lehren und Laien an ihre Stelle treten.

Und was wird aus den tibetischen Mönchen im Westen?

Die meisten von ihnen sind ja keine Mönche mehr. Von den 1.000 bis 2.000 Tibetern, die als Mönche in den Westen kamen, leben vielleicht noch 50 als Mönch. Sie praktizieren den Buddhismus zwar noch, pflegen aber einen anderen Lebensstil.

Und wie gut fühlen Sie selbst sich in Hamburg integriert? Sie sprechen fast kein Deutsch.

Meine fehlenden Sprachkenntnisse machen mich schon ein bisschen traurig. Und ein Grund ist sicher, dass ich es leicht habe, da immer Übersetzer zur Verfügung stehen. Andererseits müsste ich, um Deutsch zu lernen, viel Zeit investieren, die für andere Projekte fehlen würde. Da setze ich dann Prioritäten.

Engagieren Sie sich auch für die Nonnen-Ordination, die es in Tibet immer noch nicht gibt?

Dass es das noch nicht gibt, liegt vermutlich daran, dass das Interesse der tibetischen Nonnen nicht so groß ist. Ich kann ja nur für die Klöster sprechen, für die ich mich verantwortlich fühle – unter anderem zwei Nonnenklöster. Diese Nonnen sind in ihren Entscheidungen recht autonom, und niemand würde sie hindern, die Ordination bei zum Beispiel chinesischen Nonnen zu nehmen. Aber sie tun es nicht, und ich glaube, sie müssen dieses Bedürfnis erst noch entwickeln. Die derzeit von außen kommende Diskussion nützt da nicht viel: Sie drängt die Nonnen, sich zu positionieren, sodass sie nicht mehr frei entscheiden können. Aber ich finde die Diskussion über Gleichberechtigung in Tibet überhaupt problematisch.

Warum?

Weil im Westen oft ohne genaue Kenntnis der tibetischen Gesellschaft argumentiert wird. Die ändert sich nämlich gerade dramatisch. Früher haben die Familien in der Tat eher die Jungen zur Schule geschickt als die Mädchen. Inzwischen hat sich das gewandelt: Die Mädchen sind gut in der Schule, und die jungen Frauen zwischen 20 und 30 bekommen entsprechend gute Jobs. Die Jungen dagegen rauchen oder frönen dem Glücksspiel. Das hat dazu geführt, dass man inzwischen eher Mädchen zur Schule schickt als Jungen.

Kommen wir zurück ins Hier und Jetzt. Im Westen wird der Buddhismus oft mit dem Argument propagiert, dass die Neurowissenschaften die Wirkung von Meditation belegen können. Halten Sie das für eine flache Verkaufsstrategie?

Diese Parallele zur Wissenschaft existiert ja, und sie zu erwähnen finde ich nicht verkehrt. Die westlich geprägte Gesellschaft funktioniert nun mal stark über den Intellekt und solche Informationen erleichtern den Zugang. Problematisch wird es erst, wenn der Lehrer das Wissenschafts-Argument als eitlen Verkaufstrick benutzt.

Sie sprachen vorhin von Ihrem Jähzorn. Haben Sie ihn inzwischen überwunden? Sind Sie durch den Buddhismus ein anderer Mensch geworden?

Das funktioniert natürlich nicht nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip, und wenn ich gar keinen Zorn mehr empfände, wäre ich ja schon erleuchtet. Aber ich kann damit besser umgehen, und das habe ich durch die langjährigen Meditationsübungen gelernt. Meine Wut ist seltener geworden, das ist gar kein Vergleich zu früher!

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