Vor dem Volksentscheid: Selbstbestimmte Energie

Ein kommunales Stadtwerk zur Stromerzeugung will der Berliner Energietisch ebenso wie der Senat. Wo liegen die Unterschiede?

Welche Stadtwerksversion setzt wirklich auf regenerative Energien? Bild: AP

Zwölf Paragrafen mit insgesamt 60 Absätzen hat der vom Bündnis Berliner Energietisch vorgelegte Gesetzentwurf, über den die BerlinerInnen am 3. November abstimmen. Die Koalition aus SPD und CDU hat derweil in der vergangenen Woche ein eigenes Konzept für ein Stadtwerk beschlossen. Wir fragen: Wo liegen die Unterschiede zwischen beiden Positionen?

Zunächst fällt auf: Die Koalition hat in vielen Punkten das Konzept des Energietischs wortwörtlich übernommen. In beiden Texten heißt es, die Stadtwerke trügen dazu bei, dass „langfristig die Energieversorgung Berlins zu 100 Prozent auf der Grundlage dezentral erzeugter erneuerbarer Energien erfolgen“ könne. Unternehmensziel ist des Weiteren die „Senkung des Energieverbrauchs“ und Förderung von „Energieeffizienz- und Energiesparmaßnahmen“. Übereinstimmend heißt es auch: „Produktion und Vertrieb von Energie aus Atom- und Kohlekraftwerken sind ausgeschlossen.“

Den ersten größeren Unterschied gibt es bei der Frage, woher der erneuerbare Strom stammen soll. Laut Energietisch-Konzept soll er sowohl selbst produziert als auch auf dem freien Markt zugekauft werden. Die Koalition ist da ambitionierter: Ihr zufolge sollen die Stadtwerke genügend eigene Anlagen betreiben, um damit alle Kunden zu versorgen.

Dafür geht der Gesetzentwurf des Energietischs in anderen Punkten deutlich weiter. Bei ihm sollen die Stadtwerke auch „die ökologische und sozialverträgliche energetische Gebäudesanierung unterstützen“ – eine wahre Mammutaufgabe in einer Stadt, in der erst ein kleiner Teil der Häuser eine moderne Dämmung von Außenwänden und Dach besitzt. Vergleichsweise günstig und ebenfalls nur im Konzept des Energietischs vorgesehen ist die Förderung „energiesparender Haushaltsgeräte für einkommensschwache Haushalte“ und die Unterstützung von „privaten Initiativen für die Energieeinsparung und dezentrale Erzeugung von erneuerbaren Energien“.

Der Energietisch wirbt, sein Stadtwerk sei „demokratisch, ökologisch, sozial“. Hier fehlt eigentlich noch das Schlagwort „selbstbestimmt“, denn die Mitarbeiter des Stadtwerks sollen erheblichen Einfluss erhalten.

Zentrales Entscheidungsgremium bei den Energietisch-Stadtwerken ist ein Verwaltungsrat: Er kann Geschäftsführer einstellen und jederzeit ohne Begründung rauswerfen, er beschließt zudem den Wirtschaftsplan mit Einnahmen und Ausgaben und gibt die Richtlinien für die Geschäftsführung vor.

Von den fünfzehn Mitgliedern des Verwaltungsrats sollen sieben von den Mitarbeitern der Stadtwerke gewählt werden. Die hätten dort also fast die Hälfte der Sitze. So ist es bei vielen Großunternehmen üblich, auch bei landeseigenen Anstalten wie BVG oder BSR. In deren Aufsichtsräten haben die Eigentümer – bei Landesunternehmen der Senat – die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Es ist aber üblich, dass diese Vertreter ihre Differenzen vorher klären und in den offiziellen Sitzungen einheitlich abstimmen. Die Arbeitnehmervertreter haben dadurch nur formal eine fast gleichberechtigte Position. Real entscheiden sie nichts, weil die andere Seite zusammenhält.

Beim Energietisch läuft das anders: Neben den sieben Arbeitnehmervertretern gibt es acht weitere Mitglieder des Verwaltungsrats. Davon stellt der Senat zwei. Die übrigen sechs werden von den Berlinern bestimmt, alle fünf Jahre durch landesweite Wahl zusätzlich zu den Europa-, Bundestags- und Abgeordnetenhauswahlen. Deshalb bezeichnet der Energietisch sein Stadtwerk auch als „demokratisch“.

Dass die sechs gewählten Mitglieder einen festen Block mit dem Senat gegen die Arbeitnehmer bilden, ist kaum vorstellbar. Stattdessen dürfte es wechselnde Mehrheiten je nach Abstimmungsfrage geben. Die Mitarbeiter könnten ihre formal gute Position in vielen Fällen auch real in Entscheidungen umsetzen. Immerhin entsenden sie eine Person mehr in den Verwaltungsrat als die Berliner durch die landesweite Wahl. Das Unternehmen käme also einem selbstbestimmten Betrieb sehr nahe.

Es gibt einige weitere Unterschiede zwischen den Gesetzestexten von Senat und Energietisch. Aber eigentlich sind sie nicht so wichtig. Denn was entscheidet über den Erfolg eines Stromanbieters? Der Werbeslogan. Der Strompreis. Motivierte Mitarbeiter. Die Höhe des Startkapitals. Eine Geschäftsführung, die im operativen Geschäft die richtigen Entscheidungen trifft. Zum Beispiel, ob das Unternehmen mehr Windkraftanlagen bauen sollte oder mehr Blockheizkraftwerke. Über all das wird am Sonntag nicht entschieden. Da geht es nur um den juristischen Rahmen für das Unternehmen. Es geht darum, nach welchen Regeln später die Entscheidungen getroffen werden.

Aber diese Betrachtung ist wohl zu formal. Man darf die Symbolkraft des Volksentscheids nicht unterschätzen. Beim Volksentscheid über die Wasserbetriebe im Februar 2011 ging es formal nur um die Veröffentlichung von Verträgen. Aus dem Abstimmungserfolg entstand jedoch eine Dynamik, die dazu führte, dass das Land die Anteile privater Miteigentümer zurückgekauft hat und das Unternehmen wieder gänzlich kommunal ist.

Genauso ist es beim Energie-Volksentscheid: Je mehr am 3. November mit Ja stimmen, desto größer wird der Druck auf die Politik, die Stadtwerke zu einem Erfolg zu machen – egal unter welchen juristischen Rahmenbedingungen.

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