Kolumne Besser: Wer zum Teufel seid ihr?

Bürgerrecht oder ein Quadratmeter Unfreiheit – im türkischen Parlament tragen einige Frauen seit wenigen Tagen wieder ein Kopftuch.

Eine Maske mit Tapa-Stoff aus Neuseeland ist derzeit im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen Bild: dpa

Ja, es war ein historischer Moment, als vorige Woche vier Abgeordnete der AKP mit Kopftüchern im türkischen Parlament auftraten. Man kann sagen: Endlich wird dieses Bürgerrecht gewährt. Ebenso kann man sagen: Das Kopftuch ist ein Quadratmeter Unfreiheit.

Der Hoffnung, dass die Legalisierung des Kopftuchs im öffentlichen Raum der gesellschaftlichen Polarisierung ein wenig entgegenwirkt, steht die Befürchtung entgegen, dass Frauen, die kein Kopftuch tragen, unter einen religiösen Druck geraten. Aber lassen wir das und stellen stattdessen eine Frage, die in der Türkei vergessen wurde: Wer zum Teufel sind Erdogans Kopftuchmädchen?

Soweit bekannt, trug keine vor ihrem Mandat ein Kopftuch. Drei wollen auf der Pilgerfahrt nach Mekka in diesem Sommer beschlossen haben, sich künftig zu verhüllen. In den Medien tauchten sie vor der Kopftuchnummer nicht auf, auch in der türkischen Wikipedia werden sie erst seither aufgeführt. Dem Archiv des Parlaments zufolge haben alle einige Gesetzesinitiativen mitunterschrieben, waren aber nie Erstunterzeichnerinnen. Was man sonst noch über die vier sagen kann:

Gülay Samanci: 36, Rechtsanwältin aus der zentralanatolischen Provinz Konya. Sie gab als erste bekannt, fortan ein Kopftuch zu tragen. Sie ist auch die einzige, die nach dem Auftritt im Parlament ein Interview dazu gab: „In der Türkei gibt es nun eine fortgeschrittene Demokratie.“ Im Parlamentsarchiv sind vier Reden von ihr notiert.

Gönül Bekin Sahkulubey: 43, Apothekerin aus der kurdisch-arabischen Provinz Mardin. Sie sitzt bereits seit 2007 im Parlament, wo sie in dieser Legislaturperiode dreimal gesprochen hat. Sie hat eine eigene Website und nutzt eifrig Twitter, wo sie jedoch meist nur Fotos von Besuchen im Wahlkreis und Passagen aus Erdogan-Reden postet. Auf ihrer Website finden sich sechs Pressemitteilungen aus den letzten zwei Jahren, unter anderem zum „Tag des Apothekers“ und zur Geburt des Propheten Mohammed.

Sevde Bayazt-Kaçar: 39-Jährige mit Doppelnamen und Abgeordnete für die südanatolische Provinz Kahramanmara. Ihr Vater war der Dichter Erdem Bayazit, den Erdogan sehr schätzte – auf dem Album mit Gedichten, das er Ende der Neunziger im Gefängnis aufnahm, finden sich gleich zwei Gedichte von Bayazit. Über dessen Tochter hingegen meckerten lokale Medien vor der Wahl im Jahr 2011: „Wir kennen ihren Vater. Aber das reicht uns nicht.“ Ob es bis letzte Woche anders war, ist nicht bekannt. Im Parlament hat sie noch nie geredet.

Nurcan Dalbudak: Mit 34 Jahren die jüngste der Kopftuchmädchen. Sie hat Textiltechnik studiert und stammt aus der südwestlichen Provinz Denizli. Bei ihrer Vereidigung sorgte sie für eine Randnotiz, weil auf der Besuchertribüne ihr Ehemann mit den beiden Kindern zusah. Zweimal ergriff sie im Parlament das Wort. Einmal wurde sie von einem lokalen Fernsehsender nach ihrer Meinung zu den Gezi-Protesten befragt. Ihre Antwort: Die jungen Leute wurden von ausländischen Kräften angestachelt und missbraucht.

Besser: Ohne.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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