Kommentar Koalition und Europa: Politik verdrängt Euro-Debatte

Schwarz-Rot stellt dringend zu klärende Europa-Fragen in den laufenden Verhandlungen hintenan. Mit weitreichenden Konsequenzen.

Europawahl 2014: Führt Merkels Spardiktat zum Votum gegen Deutschland und die EU? Bild: dpa

Die deutsche Politik lebt auf einem eigenen Kontinent, der nicht Europa heißt. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen spielt die Eurokrise also kaum eine Rolle. Stattdessen wird Normalität inszeniert und so getan, als wäre das Thema Mindestlohn schon die größte Herausforderung, vor der Deutschland steht.

Diese Verdrängung wird brutale Folgen haben. Im Mai 2014 finden die Europawahlen statt – die nahezu in der gesamten Eurozone als ein Votum gegen Deutschland und gegen Kanzlerin Merkel ausfallen werden.

Wir haben uns daran gewöhnt, das Europaparlament als ein bräsiges Gremium zu betrachten, in dem vor allem verdiente Altpolitiker sitzen, die zu Hause nicht mehr gewollt werden. Diese Atmosphäre der gemächlichen Konsenssuche wird im Mai vorbei sein. Stattdessen werden viele rechte und linke Populisten in das Europaparlament einziehen, die die ohnmächtige Wut ihrer Landsleute artikulieren. Nur ein Beispiel: In Frankreich dürften die meisten Stimmen an die rechtspopulistische Front National gehen, die für einen Austritt aus dem Euro ist.

Populismus wird gern als eine Verirrung der Wähler abgetan. Doch das ist zu einfach. Die Deutschen müssen einsehen, dass der Kurs von Angela Merkel gescheitert ist. Ihre europaweiten Spardiktate sind kontraproduktiv, weil sie in anderen Ländern nur Arbeitslosigkeit produzieren.

Die Populisten stellen also eine Frage, die legitim ist: Was bringt uns der Euro noch? Für viele Länder ist der Euro tatsächlich schädlich, wenn die Gemeinschaftswährung bedeutet, dass sie bedingungslos den Weg in die Massenarbeitslosigkeit antreten müssen. Der Euro steht kurz vor dem Crash.

Es wird sich bald rächen, dass die deutschen Koalitionäre so tun, als würden sie auf einem eigenen Kontinent namens Deutschland sitzen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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