Doppelausstellung in Hamburg: Gespinst und Serie

Die Kunsthalle Hamburg zeigt Werke von Eva Hesse und Gego – zwei jüdischen, vor den Nazis emigrierten Künstlerinnen.

Gego während der Installation von „Reticulárea“. Museo de Bellas Artes, Caracas 1969. Bild: juan santana /kunsthalle hamburg

„Skulptur: aus festen Stoffen körperhafte Gebilde. So etwas mache ich nie!“ Dieser Satz ist symptomatisch für die jüdische Künstlerin Gertrud Goldschmidt, die 1939 aus Hamburg nach Caracas floh und in Venezuela zu den wichtigsten Künstlerinnen ihrer Zeit avancierte.

Sie starb 1994 und ist hierzulande immer noch kaum bekannt. Deshalb hat ihr die Hamburger Kunsthalle – zusammen mit der Hamburger Jüdin Eva Hesse, die gleichfalls vor den Nazis floh – eine Doppelausstellung gewidmet, und das Konzept geht auf: Es vereint zwei Künstlerinnen, die die Skulptur neu erfanden und sehr eigenwillige Ideen von deren Volumen entwickelten.

Da wäre einmal Gertrud Goldschmidt, die sich nach einem Kindheits-Kosenamen Gego nannte. Sie studierte zunächst Architektur und kam erst mit 41 zur Kunst. Zentrales Thema wurde schnell die Linie, die Gego aus ihrer dienenden Funktion befreien wollte. „Autobiographie einer Linie“ heißt deshalb ein frühes Buch, in dem eine Linie – gedreht, gestaucht, gedehnt – auf ewig fortgeschrieben wird.

 Bis 2. März 2014, Hamburger Kunsthalle.

Später verband Gego Linien zu geometrischen Formen, schuf Muster, die wie gekrümmter Raum aussehen. Dort kam Gego auch bald an: Zunächst ragen sie noch etwas starr in die Luft, die zu Drähten mutierten Parallel-Linien. Ab 1969 begann sie aber ihre „Reticularea“-Netze zu flechten, bestehend meist aus Dreiecken, die zu multipel verflochtenen Drahtkonstruktionen wurden.

Ihre Bichotos, also Viecher

Gego war handwerklich geschickt, und dieses intuitive Flechten, für das sie nie Vorzeichnungen machte, gefiel ihr, weil sie so quasi live Leben erschuf. Tatsächlich hat sie ihre späten Skulpturen „Bichitos“ – Viecher – genannt.

Aber es ging nicht nur ums Handwerk. Denn diese Netze mit ihren unregelmäßigen Löchern umfassen den Raum, definieren ihn für eine Weile, spielen mit der Leere. Da werden kugelförmige Gebilde verbunden, und innen wachsen neue, als gäbe es eine Zellteilung im Atom.

In der Tat simulieren diese Gespinste die stetige Veränderung auf der molekularen Ebene, aber diese Bewegung ist fein und drängt sich nicht auf. Deshalb wollte Gego auch nie kinetische Künstlerin sein, obwohl sie den venezolanischen Cinetismo von Alejandro Otero und Jesús Rafael Soto ja kannte.

Aber Gego ist moderner, auch in ihrem Interaktionsangebot, denn man kann durch ihre Werke hindurchgehen und Teil der Performance sein. Zudem sind ihre Arbeiten mit ihren Unregelmäßigkeiten frei von konzeptueller Strenge und der zugehörigen Hierarchie: Die geodätischen, aus gleichberechtigten Vernetzungen geformten Kuppeln Richard Buckminster Fullers hat Gego sehr geschätzt – und damit das, was Gilles Deleuze und Félix Guattari als Rhizom bezeichnen: eine nichthierarchische Querverbindungsstruktur.

Der innere Kreis

Die aber stand bei Gego für mehr, wie sie schrieb: „Mit jeder Linie, die ich zeichne, warten Hunderte weitere darauf, gezeichnet zu werden. Das ist der mit einem Ring umgebene Kreis des Wissens, man dehnt den inneren Kreis aus, und der äußere wächst ins Endlose.“

Ins Endlose wuchs auch das Spektrum ihres Materials: Für ihre späten Skulpturen – jene „Bichitos“ – verwandte sie nicht mehr Draht, sondern alles, was sie fand: Plastiknetze, Eisen, Kupfer – eine Readymade-Methode, mit der sie industriellem Material Leben einhauchte.

Mit noch künstlicherem Material hat die zweite in Hamburg gezeigte Künstlerin gearbeitet. Eva Hesse, die 1970 mit 34 Jahren starb, lebte – abgesehen von einem Stipendiatenjahr in Deutschland – in den USA und schuf als erste Skulpturen aus Polyester, Glasfaser und Latex. Eine Reihe glasartiger Behälter namens „Repetition Nineteen“ wurde in Hamburg auf ein weißes Bodenkarree gesetzt, als handle es sich um Funde aus der Römerzeit.

Die Objekte sind transparent, und eigentlich dürften sie so perfekt nicht aussehen: Mühsam ist hier restauriert worden, womöglich gegen Hesses Willen. Die hatte ja bewusst vergängliche Stoffe gewählt – und das ausgerechnet für scheinbar streng serielle Arbeiten. Aber der Widerspruch war gewollt. Hesse war zwar vom Serialismus eines Sol LeWitt beeinflusst und schätzte auch manche Minimalisten. Aber deren Sterilität, das Diktatorisch-Normative ewig gleicher Serien mochte sie nicht.

Hesse hatte Humor

Das unterlief sie nicht nur mit ihrem Material, sondern durchs Spiel mit der Illusion: Ihre „Gläser“ und Polyester-Schachteln sind ähnlich, aber nicht identisch. Und wenn sie identisch zu werden drohten, beulte sie sie aus. Denn Hesse hatte Humor und glaubte einerseits, dass Wiederholung Absurdität anzeige.

Andererseits wusste sie, dass exakt Identisches in der Natur nicht existiert und der Grat zwischen organischem und künstlichem Material schmal ist: Da liegen Objekte, die wie Moosteppiche aussehen, aber es ist latexbeschichtete Leinwand.

Zugleich hat Hesses Trompe-l’OEil eine zeitliche Dimension: Der scheinbar gleiche Abstand zwischen den Halbkugeln in „Addendum“ vergrößert sich in Wahrheit in mathematisch exakter Weise. Man denkt an die Zahl Pi, die immer noch nicht fertig ausgerechnet ist. Hesses Serien – eine Anspielung auf die ewige Ausdehnung auch des Universums?

Wenn man es zu Ende denkt, liegen Hesse und Gego gar nicht so weit auseinander in ihrem Rekurs auf die in Distanz, Form und Ausdehnung mäandernde Welt. Der Kniff, nur scheinbare Regelmäßigkeit zu bieten, zeigt zudem ihren erkenntnistheroretischen Ansatz. Denn Berechenbarkeit ist Illusion. Und die Serie ist gar keine.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.