Neuer Tatort-Kommissar Fabian Hinrichs: „Ich brauche Partner, keine Chefs“

Fabian Hinrichs kommt aus einer Polizisten-Familie, wollte aber nie einer sein. Jetzt wird er Kommissar im Franken-„Tatort“. Ein Gespräch über Hobbits und rote Ampeln.

Fabian Hinrich bei einer Fotoprobe am Schauspielhaus Hamburg. Bild: dpa

Fabian Hinrichs mag nicht gerne fotografiert werden, aber er lässt es über sich ergehen. Es blitzt, die Leute drehen sich um. Ein Mädchen bleibt vor dem Café Goldberg in Berlin-Neukölln stehen: „Kommst du ins Fernsehen?“ Hinrichs: „Manchmal.“ Mädchen: „Ich will auch ins Fernsehen.“ Hinrichs: „Das würde ich mir noch mal überlegen.“ Am Vorabend lief der Polizeiruf „Wolfsland“ mit Hinrichs in der Rolle des Aussteigers. Die Kritiken waren durchwachsen. Hinrichs selbst hat ihn nicht gesehen.

Fabian Hinrichs: Wenn man am Abend vorher im Fernsehen war, dann gucken die Leute immer so komisch.

sonntaz: Sie haben nicht gerade ein Allerweltsgesicht.

Das sagen Sie, aber ich weiß nicht, ob der durchschnittliche ZDF-Zuschauer mich erkennen würde. Das Gesicht vielleicht, den Namen eher nicht. Ich habe mal gehört, dass Thomas Gottschalk auf einem Flughafen zur Toilette musste, weil er Durchfall hatte. Das hat natürlich Geräusche gemacht. Und irgendeiner hat durch die Tür gerufen: „Mensch Tommy, da hast du wohl was Falsches gegessen.“ Das stelle ich mir furchtbar vor. In Deutschland sind die Gagen nicht so hoch, dass man sich komplett abschotten könnte. Durch abgeschiedene Anwesen mit hohen Mauern. Jeder kennt einen, aber man kommt nicht weg. Das kann unangenehm werden.

Würden Sie denn gerne hinter Mauern leben?

Nein. Aber ich bin nicht Schauspieler geworden, um auf der Straße erkannt zu werden. Jammere aber auch nicht, wenn es passiert. George Clooney wird nirgends ein Bier trinken können. Das wäre nichts für mich.

Was kommt 2014? Die taz wagt den Blick in die Zukunft: In der taz.am wochenende vom 28./29. Dezember 2013 . Fabian Hinrichs wird „Tatort“-Kommissar, der Manhattan zum In-Getränk und Drohnen alltäglich. Außerdem: Prominente erzählen, was sich ändern muss. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Sind Sie bewusst in eine Stadt wie Berlin gezogen, damit Sie weniger auffallen?

Als ich nach Berlin kam, kannte mich ja kein Schwein. Ich war Schauspielstudent und habe das Stück „Paul und Paula“ mit Leander Haußmann an der Volksbühne gemacht. Ich habe mir damals nicht klar die Frage gestellt, was ich werden will. Vor der Schauspielerei habe ich Jura studiert, aber das hat mich irgendwann nicht mehr befriedigt. Schauspieler zu werden war wohl eher der Versuch der Vermeidung einer Berufswahl. Berufe an sich finde ich absurd.

Warum das?

Der Mensch: Fabian Hinrichs wurde 1974 in Hamburg geboren. In seiner Familie werden die Männer häufig Polizisten, er studierte zunächst Jura in Hamburg und wurde anschließend in Bochum an der Westfälischen Schauspielschule ausgebildet. Hinrichs wohnt in Berlin.

Der Schauspieler: Von 2000 bis 2005 gehörte Hinrichs zum Ensemble der Berliner Volksbühne und tritt seither an allen großen deutschen Bühnen auf. Im Spielfilm "Sophie Scholl - Die letzten Tage" spielte er 2005 den Hans Scholl. 2010 zeichnete ihn die Zeitschrift "Theater heute" für seine Rolle in René Polleschs Solostück "Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!" als "Schauspieler des Jahres" aus. Seine Karriere beim "Tatort" begann 2012 als Assistent Gisbert des Münchner Ermittlerteams, 2014 wird er selbst Chef - beim Franken-"Tatort".

Es ist ja meistens Erwerbsarbeit oder Selbstverwirklichung. Wobei auch die penetrante Selbstverwirklichung eine Sklaverei ist. Als Drittes gibt es das große Glück, dass man seinen Beruf mit Leidenschaft ausübt, nicht nur aus Interesse.

Als Schauspieler müssen Sie sich nicht festlegen. Letzte Woche spielten Sie im „Polizeiruf“ einen Tierschützer, nächstes Jahr werden Sie „Tatort“-Kommissar.

Das stimmt. Ich habe eine einigermaßen große Freiheit erreicht. Doch jede Freiheit hat eine Kehrseite: Wenn ich einen Film drehe, bin ich vielleicht sechs Wochen unterwegs. In dieser Zeit ist man nahezu versklavt. Man lebt nur für den Film. Auch das kann schön sein, aber nicht, wenn man nach Hause will. Und ich will mehr Zeit mit der Familie verbringen, nächstes Jahr werde ich Vater. Das Reisen erlebe ich mittlerweile als Schattenseite meines Berufs. Früher war das anders. Heute genieße ich es, monatelang zu Hause zu sein, ohne zu arbeiten, höchstens ein wenig zu studieren vielleicht.

Sie studieren?

Bis vor Kurzem habe ich Politik studiert, musste aber abbrechen, weil das ein Präsenzstudium ist. Das ging einfach nicht mehr. Jetzt bin ich für Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Geschichte und Philosophie eingeschrieben.

Der Kellner, runder Hut zu rundem Bauch, klimpert mit Tassen und Tellern. Hinrichs stockt kurz, schaut zu ihm rüber.

Der Kellner kam mir gleich so grob vor. Sind Sie Hutträger?

Nein, ich trage nur Mützen.

Ich finde Hutträger komisch.

Warum?

Wenn man nicht irgendeine Kopfverletzung hat, sind Mützen und Hüte so ein Modeding, ein Accessoire. Hutträger haben heutzutage meistens etwas Prätentiöses. Ich hab mir auch mal einen gekauft, als ich ganz jung war. Den habe ich aber nie getragen. Einen Panamahut aus Mittelamerika – völlig bescheuert.

Der Hutträger kommt und räumt das alkoholfreie Bier ab. Hinrichs bestellt ein Wasser, das er etwa eineinhalb Stunden später bekommt. Er sei schüchtern, sagt er. Gegen die Schüchternheit redet er an.

Wissen Sie schon etwas über Ihre Figur im neuen Franken-„Tatort“?

Die wird gerade entwickelt. Viel kann ich darüber nicht sagen. Das wäre zu früh. Ich wurde schon ein paarmal gefragt, ob Konrad Wagner – falls das wirklich der Rollenname sein wird – brutal oder lustig sein wird. Es gibt offenbar nur diese beiden Seiten. Aber die Schauspielerei hat meiner Ansicht nach nicht unbedingt etwas mit der Arbeit eines Kochs zu tun. Man kann nicht einfach ein paar Zutaten zusammenrühren wie bei einem Rezept – und am Ende kommt ein Charakter raus. Davon halte ich nicht viel.

Viele Zuschauer assoziieren Sie mit der Rolle des Gisbert Engelhardt im München-„Tatort“ „Der tiefe Schlaf“. Ein nervig-nerdiger Charakter, der nach einer Stunde stirbt. Im Anschluss formierte sich eine Art digitaler Widerstand bei Facebook und Twitter. Glauben Sie, dass Ihnen der Internet-Hype die Rolle im „Tatort“ verschafft hat?

Nein. Ich habe ja nun schon ein paar Filme gemacht. Ich freue mich sehr darüber, aber mein Leben wäre auch ohne den „Tatort“ weitergegangen.

Haben Sie sich wenigstens gebauchpinselt gefühlt?

Ich habe mich gefreut. Es gibt die Möglichkeit, über eine längere Zeit eine Rolle zu entwickeln. Der „Tatort“ ist hier die einzige grundsätzlich anspruchsvolle Reihe, die ich kenne, in der das möglich ist. Natürlich ist die Erzählstruktur eher konservativ und nicht wie in den amerikanischen HBO-Serien avantgardistisch. Das wird in Deutschland noch dauern. Wobei ich das auch kaum noch hören kann, dass die amerikanischen Serien so toll seien. Wenn jedes dritte Wort „fuck“ ist, mag das in Detroit in Ordnung sein. In Wuppertal muss man sich was anderes einfallen lassen, sonst wirkt es bemüht. Da stellt sich die Frage: Was ist die deutsche Identität? Oder die süddeutsche, die norddeutsche.

Sie sind gebürtiger Hamburger und leben in Berlin. Jetzt werden Sie „Tatort“-Kommissar in Nürnberg. Lokalkolorit bringen Sie nicht mit.

Aus familiären Gründen kenne ich mich mit der Polizei ganz gut aus. Und da ist es so wie in vielen Berufen: Wenn eine interessante Position winkt, wechselt man die Stadt. Es ist zwar noch nicht klar, woher mein Kommissar stammt, einen Franken werde ich aber nicht spielen. Für den Film wird es von Vorteil sein, denke ich. Man kann die Eigenarten der Region durch meine Fremdheit deutlicher zeigen. Frank-Markus Barwasser – mein Kollege im Ermittlerteam – ist Franke und der Kontrast wird größer, wenn ich von außerhalb komme.

Sie kommen aus einer Polizisten-Dynastie: Großvater, Vater, Bruder – alles Polizisten. Sprechen Sie in der Familie über Ihre Rolle?

Ehrlich gesagt rede ich mit ihnen überhaupt nicht darüber. Vielleicht mache ich das mal. Ich finde es pikant und nicht unlustig, dass ich jetzt auch Polizist bin. Mittlerweile bin ich ja der Meinung, dass es die Polizei geben muss. Wenn meine Frau ermordet werden würde, würde ich auch wollen, dass der Täter gefasst wird.

Mittlerweile? Wie haben Sie die Polizei früher gesehen?

Naja, es gab und gibt Fragen, die ich mir gestellt habe und die ich mir stelle. Was ist der Staat und warum muss es ihn geben. Und wie darf der Schutz eines Staates aussehen. Ein Beispiel, das jeder kennt: Es gibt Menschen, die nachts um drei an einer roten Fußgängerampel stehen bleiben, obwohl kein Auto weit und breit zu sehen ist. Wer dort steht und auf Grün wartet, hat meist eine komische Vorstellung vom Staat als Ordnungsmacht.

Sie wollten die Familientradition also nicht fortführen.

Nein. Im richtigen Leben wollte ich nie Polizist werden. Umso mehr freue ich mich jetzt, es machen zu können, ohne es wirklich machen zu müssen.

Gibt es Rollen, die Sie nicht spielen würden?

Darüber müsste ich nachdenken. Ich habe kürzlich ein Interview mit einer Schauspielerin aus dem Film „Blau ist eine warme Farbe“ gelesen. Das war furchtbar. Die vertritt eine Auffassung vom Schauspielberuf, die ich fatal finde. Ich will das Interview einscannen und ein paar befreundeten Schauspielern und Regisseuren schicken.

Was hat sie Schlimmes gesagt?

Es geht in dem Film anscheinend um ein lesbisches Paar. Und es gibt wohl eine zehnminütige Sexszene, in der die beiden Latexschamlippen über ihren echten hatten, damit die dann da rumlecken können. Das finde ich schon so bizarr, dass ich das niemals machen würde. Der große Peter O’Toole ist vor ein paar Wochen verstorben, „a decent man in a decent job“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der je an Latexschamlippen rumgeleckt hat. Jedenfalls haben die zehn Tage an dieser zehnminütigen Sexszene gedreht. Der Regisseur kann nur ein Schwein sein, auch wenn ich den gar nicht kenne. Das ist so manipulativ und bescheuert. Ich würde ihm sofort eine knallen. Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Er ist ein Filmregisseur. Mittlerweile gibt die Schauspielerin auch Interviews, in denen sie sagt, wie peinlich ihr das im Nachhinein ist.

Dann hätte sie vielleicht vorher darüber nachdenken sollen.

Wenn sich Extrovertiertheit mit Dummheit paart, entsteht eine üble Mischung. Aber wenn Menschen das gerne gucken und die Leute es gerne herstellen – meinetwegen. Nur besser ohne mich. Ich brauche immer Partner, keine Chefs.

Wer ist ein guter Partner für Sie?

Am Theater bin ich mit René Pollesch sehr produktiv, der größte Theaterautor, den wir haben. Als nächstes wollen wir die „West Side Story“ umschreiben. Grundsätzlich mag ich es nicht, wenn mir ein riesenhaftes Ego gegenübersteht, das mir zubrüllt: „Mehr Schmerz!“ Das sollte ein Schauspieler selber wissen. Wenn es eine gute Zusammenarbeit ist, dann gibt es keine Kämpfe. Ich habe dieses Gesicht, diese Stimme und diese Bewegung. Da geht dann noch plus/minus 20 Prozent. Mehr nicht. Bei jedem.

Sind Sie eitel?

Das wird über Schauspieler und von Schauspielern gern behauptet, aber ist mir zu allgemein. Es gibt wohl verschiedene Formen der Eitelkeit. Was mein Äußeres betrifft, bin ich weniger eitel als früher. Wenn ich aber etwas mache, was mir wirklich am Herzen liegt, treffen mich schlechte Kritiken. So gesehen bin ich eitel. Ich müsste mal über den Begriff „Eitelkeit“ nachdenken. Ich gehe ja in die Öffentlichkeit. Es geht dabei aber wohl eher darum, überhaupt jemanden zu erreichen. Und diesen Versuch würde ich mit dem Begriff „Eitelkeit“ belegen.

Im Theater spielen Sie verstärkt Solostücke. Haben Sie dort mehr Kontrolle als beispielsweise im „Tatort“?

Das sind unterschiedliche Berufe. In dem Theater, wie ich es betreibe, wird keine kontingente Geschichte erzählt. Es gibt also keine Erzählung in Form eines konventionellen Drehbuchs wie beim Film. Im „Tatort“ zum Beispiel muss der Fall gelöst werden, jeden Sonntagabend. Und das ist auch eine Gewissheit für den Zuschauer, der vor dem Fernseher sitzt. Egal, wie unsicher meine eigenen Verhältnisse sind, egal, wie es um meinen Arbeitsplatz steht, um meine Gesundheit, meine Ehe – der Fall wird gelöst.

Mittlerweile gibt es 21 „Tatort“-Teams. Die „Süddeutsche Zeitung“ fragte vor einem Jahr: „Soll also die deutsche Gegenwart tagein, tagaus durch Kommissare erzählt werden, die auf eine jeweils regionale Wasserleiche starren?“

Natürlich: Gäbe es nicht so viele Krimis im deutschen Fernsehen, dann gäbe es auch nicht die Lust, diese Sendungen medial zu zerfleischen. Viele Tatorte sind tolle Filme, viele nicht. Redaktion, Drehbuch, Regie und Schauspiel sind sehr unterschiedlich. Und mit unserem Team und dem Sender bin ich sehr glücklich. Es geht also eher darum, ob ein Film innerhalb der Genregrenzen gut oder schlecht ist. Es ist billig, sich als Filmverständigen zu markieren, indem man sagt: Ich liebe Francois Truffaut, ich liebe Jean-Luc Godard. Ich bedauere solche Leute.

Welche Filme mögen Sie?

Ich bewundere beispielsweise Ingmar Bergmann, ich kenne viele seiner Filme, und dennoch ist „Die Nackte Kanone“ einer der größten Filme, die ich jemals gesehen habe. Ich war gerade gestern im Kino, in „Hobbit 2“. Das ist, etwas provokant formuliert, wagnerische Überwältigungskunst, also mit dem ganz dicken Pinsel gezeichnet, Zwischentöne wird man da vergeblich suchen. Der „Hobbit“ ist eher wie Heavy Metal. Und ich mag Heavy Metal.

Hinrichs wird lauter, seine Wangen bekommen dieses Heidi-Alm-Rot, das man aus dem Fernsehen kennt. Die Leute an den Nachbartischen schauen kurz rüber. Ihm ist das unangenehm. Fabian Hinrichs flüstert jetzt.

So etwas wie den „Hobbit“ kann in Deutschland keiner machen. Und nicht nur, weil wir nicht das Geld dafür haben und keinen internationalen Markt für die meisten unserer Filme. Ich würde behaupten, dass hier keiner weiß, wie so etwas geht. Und es gibt Serien und Filme aus Skandinavien, mit denen sich die meisten heimischen Produktionen nicht messen können. Da kann man dann mit Hölderlin kommen: „Handwerker siehst du, aber keine Menschen.“

Wir Deutsche machen tolle Waschmaschinen und Autos. Aber wir haben keine ausdifferenzierte Populärkunst. Das heißt nicht, dass hier nur Idioten rumlaufen. Aber wenn man am Samstagabend Fernsehen schaut, dann ist das krass und beklemmend. Und dann kommt Barbara Schöneberger und sagt, sie findet Volksmusiksendungen voll okay, weil die Leute das sehen wollen. Das ist zynisch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.