Kolumne Macht: Recht gilt nicht nur für Nette

Die Verteidigung von Alice Schwarzer macht keinen Spaß. Aber sie ist Opfer eines Skandals geworden – ihr Steuergeheimnis wurde verletzt.

Man darf Alice Schwarzer doof finden, auch ihren moralischen Zeigefinger. Aber deshalb darf ihr kein Unrecht widerfahren. Bild: dpa

Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch darauf, in Talk-Shows eingeladen zu werden, und auch kein Recht auf Sympathien der Öffentlichkeit. Man darf Leute doof oder verlogen oder insgesamt unerträglich finden. Ganz unabhängig davon, ob sie Grund haben, die Justiz zu fürchten.

Der Ärger über Steuerbetrug ist nachvollziehbar. Zumal ja die meisten brav zahlen. Albern, wenn Alice Schwarzer nun eine Kampagne hinter der Empörung über ihr Verhalten vermutet. Trotzdem ist sie Opfer eines Skandals geworden.

Ein demokratischer Rechtsstaat funktioniert nur, wenn man sich darauf verlassen kann, dass seine Vertreter die geltenden Regeln einhalten. Es muss völlig egal sein, ob ein Finanzbeamter gerne das Steuergeheimnis abschaffen möchte. Ob eine Polizistin es für falsch hält, dass Homosexualität nicht mehr strafbar ist, oder ob ein Amtsarzt findet, dass die Namen aller Drogensüchtigen in die Lokalzeitung gestellt werden sollten.

Sie alle haben ihren Mund zu halten über das, was sie von Amts wegen erfahren. Es sei denn, sie sind – von Amts wegen – dazu verpflichtet, Sachverhalte öffentlich zu machen. Wer diese Unterscheidung nicht zu treffen vermag, sollte existenzgefährdende Sanktionen fürchten müssen.

Genau das passiert derzeit nicht. Wenn Volkes Stimme nach Vergeltung ruft, gelten Indiskretionen inzwischen als lässliche Sünden. Während gleichzeitig Edward Snowden – wie ich finde: zu Recht – als Held gefeiert wird. Weil er den Datenschutz verteidigt.

In der Prostitutionsdebatte reden alle, nur nicht die, ohne die es Prostitution nicht gäbe: Freier. Von vier Männern, die Sex kaufen, und ihren Gründen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. Februar 2014 . Außerdem: Claudia Pechstein und ich. taz-Sportredakteur Markus Völker, selbst einst Eisschnellläufer in der DDR, portraitiert eine sture Kämpferin. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das passt nicht zusammen. Das Recht auf Privatsphäre darf sich nämlich nicht an der Frage orientieren, ob jemand sich so verhält, wie es der Mehrheit gefällt.

Was ich verstehe oder nicht

Normen werden derzeit in alarmierendem Ausmaß vom Volksempfinden bestimmt. In Thüringen ist ein Beamter des Umweltministeriums in eine untergeordnete Behörde versetzt worden, weil er in Botswana auf Elefantenjagd gegangen ist.

Mir ist unbegreiflich, wie jemand Spaß daran haben kann, einen Elefanten zu erschießen. Oder einen Hirsch. Aber es geht bei dem Thema nicht darum, was ich verstehe oder nicht.

Das weltweite Verbot von Elfenbeinhandel schützt Elefanten vor dem Aussterben. Deshalb ist es sinnvoll. Aber es gibt Länder, in denen diese Tiere nicht von der Ausrottung bedroht sind, sondern sich so stark vermehren, dass sie das Ökosystem gefährden. Zum Beispiel in Botswana und Simbabwe.

Wenn also die Regierung eines unabhängigen Landes unter bestimmten Umständen eine Jagdgenehmigung erteilt und ein Beamter eines anderen Landes bereit ist, dafür zu bezahlen –worin besteht das Problem?

Man muss das Verhalten des Beamten nicht sympathisch finden. Man muss mit ihm nicht befreundet sein wollen. So wenig wie mit jemandem, der oder die jahrelang Steuern hinterzogen hat. Aber warum fragt niemand danach, ob es eigentlich legitim ist, die Zukunftsaussichten von jemandem zu vernichten, der sich korrekt an alle Gesetze gehalten hat?

Die Verteidigung von Alice Schwarzer und dem Beamten aus Thüringen macht keinen Spaß. Sie wecken keine Sympathien. Dennoch verfügen sie über Grundrechte. Hätten sie die nicht, dann wären es keine.

Und deshalb war es nicht in Ordnung, die Steuerprobleme von Alice Schwarzer zu veröffentlichen. Oder den Beamten aus Thüringen zu versetzen. Das Rechtssystem ist nicht nur für nette Leute erfunden worden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.