Kommentar Edathy-Affäre: Das Strafrecht ist keine Moralkeule

Edathys Handeln kann man verwerflich finden. Doch das Strafrecht darf nicht missbraucht werden, um Menschen zu outen, die keine Gesetze gebrochen haben.

„Bürgerlich und politisch tot“ aber wohl kein Gesetzesbrecher: Sebastian Edathy. Bild: dpa

Die Berliner Charité betreibt seit einigen Jahren das hochgelobte Projekt „Kein Täter werden“. Männer mit pädophilen Neigungen sollen dort lernen, ihre sexuellen Fantasien nicht auszuleben. Auch wenn sie nicht therapierbar seien, bedeute dies nicht, dass jeder von ihnen Kindesmissbrauch begehen müsse, betonen die Ärzte.

Bleibt die Frage, was Pädophile, die keine Straftaten begehen, beruflich machen dürfen. Kindergärtner oder Lehrer sollten sie nicht werden. Aber dürfen sie Bäcker, Richter oder Bundestagsabgeordneter werden? Ja, natürlich. Die Alternative hieße, ihnen ein lebenslanges Berufsverbot zu erteilen.

Die Mehrheit in Deutschland dürfte allerdings Männer mit pädophilen Neigungen ebenso wenig in öffentlichen Ämtern sehen wollen wie etwa Bordellbesucher. Dafür mag es gute Gründe geben. Nicht legitim ist es aber, das Strafrecht zu missbrauchen, um Personen zu outen, die sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen haben lassen.

Bei Edathy argumentieren Ermittler damit, dass ein Teil derjenigen, die strafrechtlich belanglose Nacktbilder von Jungen bestellen, auch strafrechtlich relevante Kinderpornografie ordern würden. Dass auch der andere Teil nach einem solchen Verfahren „bürgerlich und politisch tot“ ist, wie es die Strafrechtlerin Monika Frommel formuliert, nehmen sie billigend in Kauf.

Wenn die Bundesregierung den Ankauf solcher Bilder für strafwürdig befindet, muss sie ihn verbieten. Macht sie das nicht, müssen Käufer vor Verfolgung geschützt werden. Schließlich ist auch nicht jeder Porschefahrer ein Temposünder – selbst wenn der Verdacht naheliegt.

Ähnlich bei Prostitution

Ähnlich ist die Lage derzeit beim Thema Prostitution. Ein Teil der Bevölkerung drängt auf ein vollständiges Verbot. Die Bundesregierung lehnt das ab, plant aber einen fragwürdigen Mittelweg: Die Freier von Zwangsprostituierten sollen bestraft werden. Weil in der Praxis der Nachweis kaum zu führen ist, dürften zahlreiche Bordellbesucher geoutet werden, denen juristisch nichts vorzuwerfen ist.

Auch hier gilt: Wenn die Bundesregierung Prostitution für schädlich hält, muss sie sie direkt verbieten. Sie darf aber nicht den Umweg über das Outing wählen. Strafrecht muss präzise sein, es darf nicht als Moralkeule genutzt werden.

Wenn der Fall Edathy zu etwas gut sein könnte, dann dazu, der Bundesregierung diese Erkenntnis nahezubringen. Schon aus Eigeninteresse: Dass sich Männer mit pädophilen Neigungen im Bundestag befinden, war nicht unbedingt zu vermuten. Dass Abgeordnete Bordellbesucher sein könnten, ist schon wahrscheinlicher.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.

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