Nahrungsergänzungsmittel bei Olympia: Stimulierende Unwissenheit

Der Fall Sachenbacher-Stehle zeigt ein altbewährtes Muster im Umgang mit Doping: Funktionäre und Verbände fühlen sich nicht verantwortlich.

Beispielhaft: DOSB-Generaldirektor Michael Vesper warnt die SportlerInnen immer wieder vor „der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln“. Bild: dpa

SOTSCHI taz | „Wir sprechen hier nicht von Designerdrogen oder von Epo.“ Als Michael Vesper, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes und Chef de Mission der deutschen Teams in Sotschi das sagte, hatte er wohl das Gefühl, dass der Dopingfall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle größer gemacht wird, als er ist. „Wir sprechen hier nicht von Heroin“, sagte er, als er nach den staatsanwaltlichen Ermittlungen gefragt wurde, die zu Hausdurchsuchungen in Sachenbacher-Stehles Wohnung und am Bundesstützpukt der Biathleten in Ruhpolding geführt haben.

„Wir sprechen von Nahrung, die jeder ganz legal kaufen kann“, meinte er und verwies auf die sattsam bekannte Sprachregelung des DOSB in Sachen Nahrungsergänzungsmitteln. „Wir warnen die Sportler immer wieder vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln“, sagte Vesper am Samstag auf der Bilanzpressekonferenz des deutschen Teams in Sotschi.

Nachdem Sachenbacher-Stehle am Freitag ihren positiven Dopingbefund selbst bestätigt hatte und sich in einer Stellungnahme völlig ratlos gab, wie dieses auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur stehende Stimulanzmittel Methylhexanamin in ihren Körper gelangen konnte, stand ein Wort im Zentrum aller Diskussionen um den Fall: „Nahrungsergänzungsmittel“. In solchen ist die Substanz schon oft nachgewiesen worden.

Sachenbacher-Stehle ist eifrige Konsumentin von Nahrungsergänzungsmitteln. Ihr Mentaltrainer versorge sie damit, heißt es. Und Sachenbacher-Stehle schreibt dazu in ihrer Stellungnahme: „Entsprechende Nahrungsergänzungsmittel hatte ich vorher im Labor prüfen, beziehungsweise mir die Unbedenklichkeit von den Herstellern bestätigen lassen, um immer auf der sicheren Seite zu sein.“ Dementsprechend schockiert sei sie vom positiven Test gewesen.

Die Fälle: Skilangläufer und Medaillenhoffnung Johannes Dürr aus Österreich wurde positiv auf das Blutdopingmittel EPO getestet. Zuvor waren die deutsche Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, Eishockey-Spieler Vitalijs Pavlovs (Lettland), der Bobfahrer William Frullani (Italien) und die Skilangläuferin Marina Lisogor (Ukraine) des Dopings überführt worden. Bei allen wurden die im Wettkampf verbotenen Stimulanzmittel entdeckt.

Die Reaktion des DOSB: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat nach dem Dopingfall von Evi Sachenbacher-Stehle am Sonntag Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Dies teilte der DOSB am Schlusstag der Olympischen Winterspiele in Sotschi mit. Außerdem werde der DOSB der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft alle ihm vorliegenden Informationen zur Verfügung stellen, hieß es in der Mitteilung. „Mit diesem Schritt gehen wir konsequent den in unserem Anti-Doping-Management vorgezeichneten Weg“, sagte Chef de Mission Michael Vesper.(dpa)

Nach den Anti-Doping-Regeln sind die Athletinnen alleine für all das verantwortlich, was in ihrem Körper gefunden wird. Bei einem positiven Dopingtest ist es an ihnen, die eventuelle Unschuld zu beweisen. Das kommt den Sportverbänden ganz gelegen. Bei positiven Test zeigen sie mit dem Finger auf die Sportlerinnen. Sie selbst stellen sich so dar, als hätten sie gar nichts mit all dem zu tun, was die Sportlerinnen mit ihren Körpern machen.

Usus bei AusdauerathletInnen

Am Samstagvormittag behaupteten also Michael Vesper, der Leistungssport-direktor des DOSB Bernhard Schwank und Verbandspräsident Alfons Hörmann unisono, dass den Sportlern immer wieder abgeraten wird, Nahrungsergänzungs-mittel zu nehmen. Sie taten so, als wüssten sie nicht, dass beinahe kein Sportler, Ausdauerathleten schon gar nicht, ohne diese Mittel auskommt. Es kann schon stimmen, was Schwank gesagt hat, dass im deutschen Team keine Nahrungsergänzungsmittel zentral vergeben werden. Dass es absolut Usus ist, sich entprechende Mittel zuzuführen, musste aber erst der Athletensprecher des DOSB, der frühere Eisschnellläufer Christian Breuer, bestätigen.

Ganz normal sei es, Proteinpräparate zu sich zu nehmen. Er machte sich – das sieht er wohl als seine Aufgabe als Athletensprecher an – zum Anwalt von Sachenbacher-Stehle und versuchte zu erklären, wie dieses Methylhexanamin in ein Nahrunsgsergänzungmittel kommen kann, dass die Sportlerin für sauber hält. Erstens sei der Markt nicht so gut kontrolliert wie der für Medizin. Zum anderen könnte es zu Verunreinigungen kommen, wenn Mittel in Geräten abgefüllt würden, in denen zuvor mit Methylhexanamin hantiert wurde.

Dann verwies Breuer auf die „Kölner Liste“. In der werden Nahrungsergänzungs-mittel aufgeführt, die nach Tests als unbedenklich gelten. Die Liste ist ein Service für Sportler, den der Olympiastützpunkt Rheinland in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für präventive Dopingforschung an der Sporthochschule Köln anbietet. Allein die Existenz dieses Service' zeigt, dass auch die Verbände sehr wohl wissen, dass die meisten ihrer Athleten diese Fitnessprodukte schätzen, die nicht selten über eine fettverbrennenden und muskelaufbauenen Wirkung verfügen.

„Fünf, sechs, sieben“ Präparate

Und doch saßen da am Samstag drei Funktionäre und sagten, sie wüssten von nichts. DOSB-Präsident Hörmann sagte, „diese Form der Unachtsamkeit hätte es nicht geben müssen und dürfen.“ Aber wahrscheinlich waren sie nicht einmal überrascht, dass es „fünf, sechs, sieben“ Präparate, so Vesper, waren, die Sachenbacher-Stehle da während der olympischen Spiele eingenommen hat. Die hat jetzt der Präsident des Deutschen Skiverbands an sich genommen.

Franz Steinle, der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, ist gewiss ein ehrenwerter Mann, aber Beweismittel in einem Dopingfall dem Präsidenten eines Fachverbandes zu übergeben, erinnert an Zeiten, als das Anti-Doping-Regime noch ganz allein bei den Sportverbänden lag. Es waren finstere Zeiten.

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