Straße oder Atelier: „Wir sind so sichtbar, dass wir unsichtbar sind“

Das Street-Art-Kollektiv "We are visual" baut Betten für Obdachlose, macht Apple-Stores zu Windows-Läden und "Caspar David Friedrich" für alle Hamburger erschwinglich.

Das Kollektiv ist sichtbar: Jung und Einsiedel. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Einsiedel, Herr Jung, wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Marc Einsiedel: Wir schwimmen in der Bildhauerei, machen konzeptionelle Installationskunst, haben aber auch einen gewissen Teil politischer Kunst.

Felix Jung: Ich würde das noch korrigieren: Wir machen gerne politische Kunst, sind aber nicht in jeder Arbeit politisch orientiert. Wir machen nebenbei Brotjobs, künstlerische Assistenz, Ausstellungsaufbau. Ich arbeite mein ganzes Leben, ich war kein einziges Mal auf Unterstützung angewiesen.

Es ist interessant, dass Sie das extra erwähnen.

Jung: Ich wollte damit sagen, dass wir nicht herumschweifende Schöngeister sind. Installationen verkaufen sich ganz schwer. Spritgeld ist eine tolle Sache, Kost und Logis auch, aber dass wir von unserer Arbeit leben können, dahin ist es noch weit.

Ist es ein Ziel?

Einsiedel: Natürlich.

Warum natürlich? Man könnte fürchten, dass man dadurch marktabhängiger ist.

Einsiedel: Weil ich hauptberuflich Künstler sein will. Wir können natürlich Produkte schaffen, die sich gut verkaufen lassen, Felix war sehr erfolgreich mit der Kunst, die er vorher gemacht hat, ist damit aber künstlerisch nicht weitergekommen. Unser Wunsch ist, dass unsere Kunst so anerkannt wird, wie sie ist.

Und welche Kunst war verkäuflich?

Jung: Ich habe Schablonen geschnitten. In Frankreich ist das ein etablierter Markt. Aber das wurde langweilig – und ich habe gesehen, dass sich meine Helden von früher nicht weiterentwickelt haben. Man arbeitet sich hoch, lernt sie kennen und denkt: Das ist langweilig. Es gab keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr für mich.

Um dieser Langeweile zu entgehen, ziehen Sie sich Arbeitswesten an und mauern Werbeaufsteller zu.

Jung: Sie werden uns nicht sagen können, wie viele Servicekräfte Sie auf dem Weg hierher gesehen haben.

Das heißt, man nimmt Sie dann auch nicht wahr.

Jung: Nein, wir sind nicht zu erkennen. Der Bürger erkennt den Arbeiter heute nicht mehr und wir sind ja als Servicekräfte unterwegs.

Einsiedel: Wir sind so sichtbar, dass wir unsichtbar sind. Das haben wir uns aber hart erarbeiten müssen. Durch unsere Arbeit beim Messebau und beim Film haben wir von den Produktionen eingeprügelt bekommen, was man alles nicht darf. Da kann man sich einiges abgucken.

Jung: Aber als wir in Kapstadt waren, war unsere Aufmachung plötzlich politisch: Es gibt da keine weißen Servicekräfte. Und trotzdem waren wir unsichtbar, weil sich niemand getraut hat, uns anzusprechen.

Einsiedel: Wenn man sich viel dort bewegt, wo man sich eigentlich nicht bewegen dürfte, entwickelt man mit der Zeit ein Bauchgefühl. Man weiß, wann man sich zu lange an einem Ort aufhält oder man dreht schon auf dem Weg dorthin um. Das ist eine der wenigen Dinge, die wir nicht diskutieren.

Viele Ihrer Arbeiten sind sehr flüchtig.

Einsiedel: Deswegen gibt es die Filme und die Fotodokumentation. Es sind Arbeiten, die wir sechs Tage vorbereitet haben und dann bleiben sie nur eine, zwei Stunden vor Ort oder wir werden direkt blockiert. Zum Beispiel beim „Baum“: Da hat der Entwurf eine Woche gedauert, wir haben zuvor ein Jahr lang Objekte aus dem öffentlichen Raum gesammelt, die mit Verkehrssicherung zu tun haben. Daraus ist eine Installation entstanden. Die ist am nächsten Tag abtransportiert worden.

Ist ein Anspruch Ihrer Arbeit, witzig zu sein?

Jung: Nein. Wir haben Spaß daran, man kann unsere Arbeit als Performance sehen, es kommt durchaus vor, dass uns Freunde dabei zugucken. Aber es ist für uns eine ernst zu nehmende Arbeit – und die Freunde sind angewiesen, nicht danebenzustehen und uns zuzutexten.

Wie ist die Reaktion von außen auf Ihre Arbeiten?

Einsiedel: Manche Sachen, in denen viel Arbeit steckt und auf die wir sehr stolz sind, kommen überhaupt nicht an und simple, stupide kleine Dinge werden total abgefeiert.

Zum Beispiel?

Einsiedel: Mit „Windows“ haben wir zwei Marken angegriffen. Am Jungfernstieg sollte es einen neuen Apple Store geben, der vor der Eröffnung als schwarzer Kasten dekoriert war, das ist die Corporate Identity von Apple. Wir wollten da ein Windows-Logo aufhängen, sind aber erst einmal gescheitert.

Jung: Es ist schwierig, mit einer Sechs-Meter-Leiter unauffällig am Jungfernstieg zu sein. Beim zweiten Mal hat es geklappt und vier Tage lang war ein Windows-Logo am Apple-Store. Das hat zu einem Krieg zwischen Apple- und Windows-Usern geführt, ging durchs Internet, bis zu CNN online. Für uns war es nur ein witziger Nachmittag, produziert, weil wir bei einem Hamburger Kino-Kabarett mitmachen wollten.

Und die großen Arbeiten, die nicht wahrgenommen werden?

Einsiedel: Mit „Caspar David Friedrich“ haben wir eine sozialkritische Skulptur gebaut, die wir auf der Innenalster platziert haben, was wahnsinnig schwierig war. Sie hat sechs Stunden gehalten. Die Vorgeschichte war, dass der Künstler Boran Burchardt die Alsterfontäne entführt hatte, die in Harburg den Stadtteil aufwerten sollte. Das war perfekt für uns, weil wir dachten: Jetzt ist Platz dafür, dass wir das Eismeer von Caspar David Friedrich nachbauen, ein Bild, mit dem die Stadt so wirbt. Aber es ist unglaublich teuer, sich das im Museum anzugucken. So haben wir es öffentlich und doch nicht öffentlich, zugänglich und doch nicht zugänglich platziert.

Viel Resonanz gab es auf Ihre Arbeit „Zwei Betten“, wo Sie über einem zugebauten Abluftschacht zwei Betten für Obdachlose installiert haben.

Jung: Wir hatten nicht gedacht, dass es so viele Menschen beschäftigte, dass dort ein warmer Punkt für die Obdachlosen gewesen war, den man zugebaut hat. Es gab sehr viele positive Reaktionen.

Einsiedel: Am Abend nach der Aktion war ich Bier trinken und traf einen Freund, der sagte: „Hast Du das gesehen?“ – und nicht wusste, dass wir es gewesen waren. Er hat dann aber auch gesehen, wie um 18 Uhr die Betten wieder von der Polizei entfernt wurden.

Wie ist Ihr Kontakt zu anderen Künstlern?

Jung: Uns interessieren Freunde und talentierte junge Künstler, sei es etabliert oder nicht, die wir mit unserer überschüssigen Energie fördern können. Wir sind in der Lage, so etwas wie eine temporäre Galerie zu machen, und dann haben wir es einfach getan. Von unserer Seite kam Aufbauhilfe, Lichtsetzung und wir haben die Flyer bezahlt. Wir geben aber auch harte Kritik und wenn absehbar ist, dass etwas nicht funktionieren wird, dann brechen wir es auch ab.

Einsiedel: Wir haben 2013 die Kapriole eröffnet, sie aber bewusst nur zwei Monate mit vier Ausstellungen geführt, dazu gab es Konzerte – alles ungefördert. Es war total schön, wir hatten sehr viel gutes Feedback, 2.000 Gäste und wir werden es dieses Jahr noch einmal machen. Die Kapriole hat sich aber finanziell nicht selbst tragen können, deswegen werden wir diesmal Fördergelder beantragen.

Setzen Sie sich Ziele?

Einsiedel: Wir haben uns eine Frist gesetzt, als wir uns 2010 zusammengetan haben: Wenn wir innerhalb von zwei Jahren nicht zu einem bestimmten Erfolg kommen, nicht finanziell, sondern was Feedback und Qualität anbelangt, dann orientieren wir uns neu.

Jung: Das Ziel war, dass wir ernst genommen und nicht nur belächelt oder schlecht behandelt werden.

Von wem schlecht behandelt?

Das Kollektiv "We are visual" bilden Felix Jung und Marc Einsiedel.

Einsiedel, 30, hat Grafikdesign studiert und in London seinen Master of Arts gemacht.

Felix Jung, 28, hat nach langen Jahren auf der Berufsfachschule einen Abschluss in Wirtschaft gemacht.

Jung: Das passiert einem zu Anfang, wenn man jünger ist.

Einsiedel: Wir selbst sind früher oft enttäuscht worden, wenn es hieß: „Klar, alles ist da, komm vorbei.“ Dann war aber nichts da. Wenn wir heute wegfahren, nehmen wir alles mit, wir haben unser eigenes Werkzeug. Hauptsache, da steht eine Wand – die streichen wir zur Not auch. Hauptsache, wir müssen mit keinem diskutieren.

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