Der Bundespräsident in Kreuzberg: Unterm Volk

In einem linken Café sprach Joachim Gauck mit jungen Migranten erfrischend ehrlich über das Deutschsein. Das Setting bleibt dennoch künstlich.

Es blieb ein wenig verkrampft: Joachim Gauck im Café Kotti. Bild: dpa

BERLIN taz | Joachim Gauck in Berlin-Kreuzberg, das ist wie Ariel Scharon auf dem Tempelberg in Jerusalem. Dachte man. Doch bis auf eine Hundertschaft Demonstranten, die ihn mit Sprechchören wie „Hau ab“ und „Kriegstreiber“ begrüßten, blieb es während des Besuchs des Bundespräsidenten in dem berühmten Berliner Bezirk ungewöhnlich entspannt.

Im Café Kotti, einem linken Treffpunkt im Herzen von Kreuzberg, traf sich Gauck am Mittwoch mit Vertretern junger migrantischer Initiativen und Vereine, um sich über den aktuellen Stand des Zusammenlebens auszutauschen. Der Kontrast war durchaus apart: hier der höchste Repräsentant des Staates, der ein betont positives Verhältnis zu seiner Nation pflegt. Auf der anderen Seite junge Berliner, die ganz selbstverständlich einen interkulturellen Alltag leben.

Und diese Runde traf sich, von Journalisten umsäumt, auch noch an einem wahrhaft symbolhaften Ort. Denn das Café Kotti, zwischen einem Wettbüro und einer Shisha-Lounge auf der ersten Etage des berühmtesten Sozialpalastkomplexes der Stadt gelegen, bietet einen weiten Blick auf den U-Bahnhof Kottbusser Tor, und ist damit quasi der Balkon von Kreuzberg.

Rasch kam das Gespräch mit dem Präsidenten mit den jungen Leuten auf die alte Frage, was Deutschsein heute bedeutet. Manche der Teilnehrem nutzten die Gelegenheit, auch heikle Themen wie Diskriminierung und Rassismus anzusprechen.

Von sich auf andere schließen

Gauck machte keinen Hehl daraus, dass er sich als Bürger aus dem Osten Deutschlands an die Durchmischung, die in westdeutschen Großstädten längst der Normalfall ist, selbst erst gewöhnen musste. In seiner ihm typsichen Art setzte er dabei seine eigene Erfahrung mit jener der gesamten Bundesrepublik gleich, als er daraus folgerte, auch Deutschland müsse sich erst noch an sein Dasein als Einwanderungsland gewöhnen: „Wir lernen noch, eine vielfältige Gesellschaft zu sein“, sagte er. Nun ja.

Auch wenn es Gauck durch seine Zugewandtheit in kurzer Zeit gelang, Nähe zu seinen Gesprächspartnern herzustellen, konnte dies das künstliche Setting nur schwer vergessen machen. Außerhalb des Schlosses Bellevue wirkt der Bundespräsident einfach recht fremd – insbesondere in der Wohnzimmeratmosphäre eines Stadtteilcafés, an dessen Wänden die Fotos von den brennenden Barrikaden des letzten 1. Mai in Kreuzberg hängen.

Von manchen Königen geht die Legende, sie hätten sich gerne unerkannt unters Volk gemischt. Weil es als Bundespräsident aber unmöglich ist, auf einer ganztägigen Erkundungstour durch Berliner Einwandererbezirke inkognito zu sein, musste die Gegend um den U-Bahnhof Kottbusser Tor während seines Besuchs weiträumig abgesperrt werden. Nur so konnte Gauck den Ort am Ende auch wieder unbeschadet verlassen.

Von den Protesten leß er sich aber nicht beirren: betont ungerührt probierte er in einem anliegenden Imbiss noch eine Portion Köfte, bevor er in seiner Limousine wieder abbrauste.

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