Türkische Aktivistin über die Wahl: „Man wird uns einlochen“

Die Architektin und Gezipark-Aktivistin Mücella Yapıcı sieht die Opposition harten Zeiten entgegengehen. Trotzdem kann sie der Wahl etwas abgewinnen.

Polizei auf dem Taksim-Platz: „Aggressivität, Härte, Dreistigkeit“. Bild: dpa

taz: Frau Yapıcı, gratulieren Sie der AKP zu Ihrem Sieg?

Mücella Yapıcı: Man kann der AKP gratulieren. Weil sie es geschafft hat, mit Verboten, Zensur und Betrug diese Wahl zu gewinnen. Es gibt in diesem Land genug Menschen, die nur in Sorge um ihre eigene Existenz sind und nichts mitbekommen. Aber dieses Wahlergebnis ist weniger ein Erfolg der AKP als ein Misserfolg der Opposition.

Was hat die Opposition falsch gemacht?

Sie hätte darauf bestehen müssen, dass die Wahlen unter diesen Umständen illegitim sind. Stattdessen hat sie der Unterstützung der konspirativen Gülen-Gruppe vertraut.

Viele junge Leute aus der Gezi-Bewegung sind enttäuscht. Ein häufiger Kommentar auf Facebook lautet: „Ich will hier weg.“

Diese Generation hat im vergangenen Jahr ihren ersten politischen Aufbruch erlebt. Jetzt erlebt sie ihre erste große Enttäuschung. Ich habe schon andere Enttäuschungen erlebt, den Militärputsch 1980 zum Beispiel. Ich sehe, dass sich die Gesellschaft auf einem guten Weg befindet. Der Geist von Gezi ist immer noch lebendig.

63, Architektin, ist das bekannteste Gesicht der Istanbuler Anwaltskammer, die Teil des Bündnisses Taksim-Solidarität ist. Das hatte die Proteste gegen den Abriss des Geziparks initiiert. Im Prozess gegen 26 Mitglieder der Taksim-Solidarität fordert die Staatsanwaltschaft für Mücella Yapıcı und vier andere 29 Jahre Haft.

Wo war dieser Geist bei der Wahl?

Er hat sich in den Zehntausenden Menschen gezeigt, die die ganze Nacht Wache vor Wahllokalen gestanden haben, um eine Wahl zu verteidigen, an die sie nicht geglaubt haben. Darauf können wir aufbauen.

Am Ende hätten sich viele Linke damit getröstet, wenn in Ankara der Kandidat der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP gewonnen hätte. Der Mann stammte usrprünglich aus der ultranationalistischen MHP. Zeigt sich darin die Tragödie der Linken?

Das Gegenteil ist richtig: Wenn Menschen, die nie zuvor die CHP gewählt und es vielleicht auch jetzt nicht getan haben, sich von selber organisieren und die Auszählung überwachen, dann zeigt dies das tiefe Misstrauen gegen diesen Staat – aber auch das demokratische Bewusstsein in diesem Teil der Gesellschaft.

Auch wenn es um einen ehemaligen MHP-Mann wie Mansur Yavaş geht?

Gerade dann. Im Übrigen hat sich die Definition des Faschismus geändert. Die Welt sollte wissen, dass wir es in der Türkei mit einem diktatorischen Regime zu tun haben.

Was wird das Regime nun machen?

Sie werden uns noch härter angreifen. Alles, was wir in den letzten Monaten an Unterdrückung und Kontrolle der Medien, der Straße und des Internets erlebt erlebt haben, wird zunehmen. Das hat Ministerpräsident Erdoğan mit seinem Auftritt in der Wahlnacht deutlich gemacht. Diese Aggressivität, diese Härte und diese Dreistigkeit, dort mit Leuten aufzutreten, die so schwer belastet sind. Wir gehen harten Zeiten entgegen, mindestens bis zur Parlamentswahl 2015.

Und wie wird der Prozess ausgehen, in dem Sie und 25 andere Aktivisten angeklagt sind?

Man wird uns einlochen.

Und was wird aus dem Gezi-Park? Wird man ihn abreißen?

Nein.

Was macht Sie so sicher?

Der Dieb weiß sehr genau, was er geklaut hat. Der Betrüger kennt seinen Betrug. Ich glaube, die Regierung weiß viel besser als die Opposition, wie sie diese Wahl gewonnen hat. Sie hat Angst, sie hat immer noch Angst.

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