Bela B. über Karma, Politik und Musik: „Ich habe Spaß an der Irritation“

Bela B. von den Ärzten heißt eigentlich Dirk Albert Felsenheimer – und mag auffällige Frisuren. Ein Gespräch über politisch missbrauchte Songs und Spermaflecken.

„Das Auge rockt mit“: Bela B. sagt von sich selbst, dass er eitel ist. Bild: dpa

sonntaz: Bela B., wann hatten Sie das letzte Mal Sex in einem Auto?

Bela B.: Oh, das ist schon eine Weile her.

Offensichtlich können Sie sich aber noch ganz gut erinnern. „Sentimental“, ein Song auf Ihrem neuen Album, handelt davon, wie Sie auf der Rückbank eines Wagens auf dem eigenen Spermafleck sitzen.

Der Song ist schon etwas älter, den habe ich ursprünglich mal für Die Ärzte geschrieben. Ja, der Spermafleck, über den stolpern alle.

Das wundert Sie jetzt nicht wirklich.

Ich muss zugeben, dass ich mich über den Kontrast zwischen dem großen, schwermütigen, tragischen Liebeslied und dem profanen Wort Spermafleck totlachen könnte. Aber in der ersten Fassung war das Wort Spermafleck sogar noch fünf- oder sechsmal drin. Dann habe ich ewig an dem Song herumgeschraubt, jedes Mal fiel ein Spermafleck raus …

Und jetzt ist das Wort nur noch einmal drin.

Genau. Und jetzt ist der Song viel besser, lange nicht mehr so platt.

Der Mann: Dirk Albert Felsenheimer wird am 14.12.1962 in Berlin-West geboren. Ausbildung zum Schaufensterdekorateur. Felsenheimer gründet erste Bands und nennt sich fortan, inspiriert von Bela Lugosi, Bela B. Mit seiner Lebensgefährtin hat er einen Sohn. Er wohnt in Hamburg.

Der Arzt: 1982 gründet er mit Jan Vetter (Farin Urlaub) Die Ärzte. Sie schaffen es in die Bravo und auf den Index. Heute bespielen sie Stadien.

Soloalbum: „bye“ (B-Sploitation/Rough Trade

Live: 5. 5. Bielefeld, 6. 5. Magdeburg, 7. 5. Rostock, 9. + 10. 5. Berlin, 11. 5. Leipzig, 12. 5. Dresden, 14. 5. Erlangen, 15. 5. München, 20. 5. Stuttgart, 21. 5. Karlsruhe, 22. 5. Hannover, 23. + 25. 5. Hamburg, 26. 5. Offenbach, 27. + 28. 5. Oberhausen, 30. + 31. 5. Köln

Platt passt also besser zu den Ärzten?

Das würde ich jetzt auch wieder nicht so gesagt haben wollen. Auch die erste Fassung hat gut funktioniert. Aber das war schon sehr plakativ. Mittlerweile ist mir an „Sentimental“ aber der melancholische Aspekt wichtiger.

Oder war das Angst vor der eigenen Courage?

Nein, gar nicht. Ob ein Wort wie Spermafleck einmal oder fünfmal in einem Song auftaucht, ist auch egal, der wird so oder so nicht im Radio gespielt.

Schon Die Ärzte wurden immer wieder indiziert. Setzen Sie jetzt diese Tradition auch als Solist fort?

Ach, so ein einzelner Spermafleck führt dann wieder nicht zur Indizierung. Die Radiosender spielen so einen Song einfach nicht, da braucht es gar keine Indizierung.

Ist das Teil einer neuen Schamhaftigkeit?

Nein, ein Spermafleck hatte es schon immer schwer im Radio. Aber man fragt sich schon, was da gerade los ist in der Welt. Auf der einen Seite wird alles immer offener, Lars von Trier hat einen vierstündigen Porno gedreht, und die ganze Welt kann es kaum erwarten, den Film zu sehen. Auf der anderen Seite hat man in Baden-Württemberg oder Russland Angst vor Homosexualität.

Können Sie als Vater die protestierenden Eltern in Baden-Württemberg verstehen?

Da muss ich jetzt aufpassen, wie ich das formuliere. Ich will es mal so sagen: Wenn Leute, die wirklich Dreck am Stecken haben, ihren Heiligenschein aufpolieren wollen, dann sind sie bei „Ein Herz für Kinder“ und ähnlichen Aktionen dabei, spenden öffentlich eine Million und halten publikumswirksam ihre Botoxfressen in die Kamera. Denn Kinder gehen immer. Uns aber wird glauben gemacht, die ganze Welt besteht aus Räuber Hotzenplotz und Rumpelstilzchen, die unsere Kinder verderben, missbrauchen oder gleich umbringen wollen. Unter dem Deckmäntelchen, gegen Pädophilie vorzugehen, werden dann homophobe oder auch fremdenfeindliche Ideen umgesetzt. Und in dem Zug kommen Parteien nach oben, die zwar nicht mehr NPD heißen, aber dafür Pro NRW. Da macht man sich schon Gedanken, denn ich möchte nicht, dass mein Kind in einer homophoben Welt aufwächst.

Das scheint Sie ja ganz schön aufzuregen?

Ach, eigentlich nicht. Man muss da vorsichtig sein. Es ist ein sehr schmaler Grat, wenn man als öffentliche Person für etwas einsteht. Da kommt schnell der Verdacht der Eigenwerbung auf. Man muss auch aufpassen, dass man nicht anfängt, sich wichtiger zu nehmen, als man ist. Ich spende auch gern mal was, aber das tu ich dann heimlich und auch für mich, um mein Karmakonto auszugleichen.

Sie engagieren sich aber immer wieder auch gerne mal öffentlich für die gute Sache. Die Ärzte werben zum Beispiel für Viva con Agua, die in Entwicklungsländern Brunnen bauen.

Wir sagen, die Leute sollen bei den Konzerten für //www.vivaconagua.org/:Viva con Agua ihre Bierbecher auf die Bühne werfen. Jeder Becher bringt einen Euro Pfand, am Ende sind dann ein paar tausend Euro zusammengekommen. Dafür halten wir gerne den Kopf hin – und hoffen, dass die Becher immer leer sind, wenn sie angeflogen kommen. Mittlerweile bin ich sogar Stifter der Viva-con-Agua-Stiftung und demnächst nehme ich mit Irie Révoltés …

einer Reggae- und Dancehall-Band, die aus Heidelberg stammt …

… einen Song für Viva con Agua auf. Aber, um ehrlich zu sein, weil ich endlich auch mal Dancehall machen wollte. Und das ist doch ideal: Das mag für einen guten Zweck sein, macht aber auch und zuerst Spaß.

Fühlen Sie eine Verpflichtung, sich zu engagieren?

Ja, diese Verpflichtung gibt es durchaus. Gerade als Die Ärzte sich 1993 wiedervereinigt haben, war das ja die Zeit, in der Deutschland seine hässlichste Fratze gezeigt hat. In den Jahren zuvor waren Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Mölln passiert, und da wussten wir, wenn wir zurückkommen, dass wir als eine der bekanntesten deutschen Rockbands ein Statement dazu abgeben müssen.

Warum? Die Ärzte galten als weitgehend unpolitische Fun-Punks.

Ja, wir waren damals die subversivste Bravo-Band oder die kommerziellste Underground-Band, wir hatten ein sehr ambivalentes Image. Wir hatten bis dahin nie ausdrücklich politische Songs gemacht, haben uns aber nie als unpolitisch gesehen. Als Punk konnte man sich gar nicht als unpolitisch sehen. Außerdem muss man wissen, dass sich bei unseren Konzerten – wie bei anderen Punkkonzerten auch – schon mal Skinheads herumgetrieben haben, die sich zwar nie selbst als Nazis gesehen hätten, aber als Witz schon mal den Hitlergruß gezeigt haben. Das war in der Punk-Szene damals durchaus ein probates Mittel, um zu schockieren. Deswegen hatten wir das Gefühl, wir brauchen einen Song, der ein eindeutiges, klares Statement ist, waren aber sehr unsicher, weil so etwas leicht ins Peinliche kippen kann. 1993 haben wir dann „Schrei nach Liebe“ als erste Single nach unserer Wiedervereinigung herausgebracht. Und heute bin ich sehr stolz, dass Jan und mir aus der Verzweiflung heraus das beste Anti-Nazi-Lied gelungen ist, das je eine deutsche Band geschrieben hat. Okay, BAP denken das von „Kristallnacht“ wahrscheinlich auch, aber das ist ja nicht mal Deutsch, was die da singen.

Was kann so ein Song erreichen?

Er kann helfen. Es gab vor einigen Jahren mal ein Spiel von Hansa Rostock beim FC St. Pauli, in dessen Vorfeld die Nazis im Internet massiv mobilisiert hatten, das Stadion zu stürmen. Ich war damals bei dem Spiel im Stadion und die Stimmung war sehr seltsam, sehr beklommen, unheimlich still. Und in diese Stille hinein wurde – ich hatte damit nichts zu tun – „Schrei nach Liebe“ gespielt. Das hat geholfen, das hat Mut gegeben und die ängstliche Stimmung vertrieben.

Auf der anderen Seite passiert es den Ärzten – wie anderen Bands auch – immer wieder, dass ihre Songs von rechten Bands adaptiert werden.

Ja, das ist eine Masche, die nicht ganz neu ist. Erst letzte Woche haben wir zusammengesessen und mussten aus aktuellem Anlass mal wieder beratschlagen, wie man verhindern kann, dass rechtsradikale Parteien auf Demonstrationen Songs von uns wie „Deine Schuld“ spielen können.

Was ist das für ein Gefühl, wenn ein Song missbraucht wird?

Das ist natürlich schrecklich. Die nehmen sich Songs, deren Text man falsch verstehen kann. Aber Hoffnung macht, dass diese Taktiken ja offensichtlich nicht sonderlich erfolgreich waren. Einen großen Zulauf scheinen sie jedenfalls nicht ausgelöst zu haben. Eher im Gegenteil, die Nazis schaden sich mit solchen Verwirrspielen eher selbst – wenn nämlich so ein rechtsnationaler schwarzer Block, der aussieht wie ein Haufen Antifa-Autonome, von den Alt-NPDlern nicht mehr verstanden wird. Aber generell sollten wir alle uns nicht so sehr darüber aufregen, sonst haben die nämlich geschafft, was die wollen. Die wollen doch nur ihre Gegner ärgern, indem sie auf rechtsradikalen Demos auch Songs von Bands spielen, die sich eindeutig links bekennen.

Solch eine Aneignung ist also vor allem eine Provokation. Da kennen Sie sich ja aus?

Ich? Ich will gar nicht provozieren. Ich habe Spaß an der Irritation.

Die Ärzte galten lange als am häufigsten indizierte Band Deutschlands.

Wir haben die Indizierungen damals als Zensur verstanden. Die Leute haben uns sogar vorgeworfen, wir hätten diese Indizierungen absichtlich provoziert, um unseren Ruhm zu mehren. Als wäre das eine Masche gewesen. Tatsächlich gab es nach uns Bands, die versucht haben, absichtlich Straftatbestände in Songs reinzubauen, um indiziert zu werden. Das hat dann oft genug nicht geklappt, während wir indiziert wurden, ohne dass wir das gewollt hätten. Ich kenne einen Song über Inzest von einer Band, der ist nie verboten worden – weil er nie jemanden gekümmert hat. So einfach ist es nämlich auch nicht mit dem Provozieren.

Darf Ihr fünfjähriger Sohn denn Ihre neues Album hören?

Ja, klar. Aber es gibt sicher Songs, an denen ich beteiligt war, die würde ich ihm nicht vorspielen.

Das indizierte „Schlaflied“ von den Ärzten?

Ja, zum Beispiel. Aber die Verantwortung haben alle Eltern. Ich finde das Lied immer noch großartig. Farins Idee eines Schlafliedes, das einem so viel Angst macht, dass man erst recht nicht mehr einschlafen kann, das ist genau der Humor, den ich liebe. Das würde ich zwar meinem Sohn noch nicht vorspielen, weil er sonst nicht einschlafen könnte. Trotzdem verstehe ich ich die Indizierung des „Schlafliedes“ nicht, denn Kinder haben sich das bestimmt nicht gekauft, um sich damit selbst in den Schlaf zu wiegen. Und Elfjährigen kann man das „Schlaflied“ schon ohne Bedenken vorspielen. „Geschwisterliebe“ ist vielleicht der einzige Ärzte-Titel, bei dem ich eine Indizierung halbwegs verstehe, obwohl ich Zensur natürlich grundsätzlich ablehne. Alle anderen unserer Indizierungen finde ich geradezu lächerlich.

Ein anderer berühmter indizierter Song ist „Claudia hat ’nen Schäferhund“, der von Sodomie handelt. Was sagen Sie einem Fünfjährigen, der fragt: Was macht denn die Claudia mit dem Schäferhund unterm Tisch?

Das erkläre ich dir später, wenn du groß bist. Und jetzt iss deinen Teller auf … Ich glaube, so ein Song ist nicht gefährlich für Kinder. Kinder machen doch einfach zu, wenn sie etwas nicht verstehen. Indizierungen sind in erster Linie für Erwachsene gemacht.

Ob ungewollt oder nicht: Die Provokation diente den Ärzten als erfolgreiche Marketingstrategie.

Das ist ein Vorwurf, der schon deshalb nicht stimmt, weil man durch so eine Indizierung erst einmal tatsächlich weniger Platten verkauft. Wenn die Platte dann trotzdem Erfolg hat, dann hat das zuletzt damit zu tun, dass die Band indiziert wurde, es funktioniert nur, weil sie schon mit der Provokation auf sich aufmerksam machen konnte. Aber da muss man sich dann fragen: Warum provozieren die denn gerade? Vielleicht weil sie etwas ansprechen, das in der Luft liegt? Weil sie den Finger in eine Wunde legen? Und das kann im Idealfall sogar politisch sein.

Wo ist die politische Ebene bei den Provokationen eines, sagen wir mal, Bushido?

Zugegeben, das ist das Gegenbeispiel einer absichtsvollen Provokation, die trotzdem funktioniert. Dazu muss man aber wieder wissen, dass heutzutage, da es kein Musikfernsehen mehr gibt und kaum noch Radiosender, die Musik spielen, die nicht schon jeder kennt, Fernsehsender wie Pro7 und vor allem die Bild-Zeitung immer wichtiger werden, wenn es darum geht, Musik bekannt zu machen und zu verkaufen. Und die Bild-Zeitung bedient ein Bushido mit seinen pseudosubversiven Provokationen mustergültig.

Ist Popmusik generell zu unpolitisch?

Ich würde mir schon wünschen, dass Musik wieder weniger Beschwichtigung ist und mehr Relevanz bekommt. Dass dezidiert politische Bands wie die Goldenen Zitronen es aus der Nische heraus schaffen würden, dass bekannte Bands sich wieder mehr trauen – das sagt jetzt zwar ausgerechnet jemand, der auf seinem neuem Solo-Album selber ziemlich unpolitisch ist. Aber mir ist wichtig, wenn Musiker klare politische Standpunkte beziehen. Da muss ich dann aber als Fan auch damit leben, dass ein Alice Cooper während des Irakkrieges sich als übler Reaktionär entpuppte und die Bush-Fahne schwenkt.

Böse Überraschung.

Allerdings. Vorher war Alice Cooper für mich ein Sprachrohr für unverstandene Jugendliche. Ich habe „I Wanna Be Elected“ immer für einen politischen Song gehalten, für eine ironische Abrechnung mit Politikern, die sich nicht um Jugendliche kümmern. Ähnlich wie „Summertime Blues“ von Eddie Cochran. Beide Songs sagen: Ihr versteht uns nicht, und die Politik, die ihr macht, die macht ihr nicht für uns.

Wird die Musik von Alice Cooper durch seine reaktionäre Einstellung schlechter?

Finde ich schon, ein bisschen zumindest. Popmusik ist nun mal nicht nur einfach Musik. Auftreten, Stil, Haltung, das ist wichtig. Es gibt mir Kraft, wenn ich Leute wie Lemmy oder Iggy Pop auf der Bühne sehe. Die stellen auch etwas dar, weil sie aussehen, wie sie aussehen. Ist das gleich politisch? Links oder rechts? Nicht unbedingt, aber Stil bedeutet, dass man den Leuten auf der Bühne ansieht, wie ernst sie es meinen. Ich war eine Zeit lang ein Riesenfan von Hanoi Rocks.

Eine finnische Glamrock-Band mit sehr extravaganten Frisuren.

Ja, allerdings. Dass ich die gut fand, das hatte – muss ich zugeben – wohl mehr mit dem Aussehen als mit der Musik zu tun, denn die waren, seien wir ehrlich, nicht die allerbesten Songwriter. Aber was ich immer sage: Das Auge rockt mit. Die Erfahrung zeigt aber auch: Paradiesvögel gehen unter, wenn ihre Songs nichts taugen. Auf der anderen Seite können Superlangweiler erfolgreich sein, wenn ihre Musik großartig ist. Aber ich gebe gerne zu, dass ich nicht zu selten schon Platten nur deswegen gekauft habe, weil die Band auf dem Cover großartig aussah.

Sie selbst haben auch die eine oder andere auffällige Frisur getragen.

Ich bin eben eitel. Als wir 1993 zurückkamen, habe ich mir Glitzeranzüge nähen lassen, wie sie T. Rex oder The Sweet getragen haben, als ich ein Kind war. Ich dachte, das muss jetzt sein, solche Bühnenklamotten. Die habe ich zwei Jahre lang getragen, dann war es wieder gut.

Welcher Aufzug war Ihnen retrospektiv peinlich?

Sicher habe ich es oft auch übertrieben, aber peinlich? Ich habe mir 1994 einen Bay-City-Rollers-Anzug nähen lassen, so mit Karos. Aber als ich den anzog, wusste schon niemand mehr, wer die Bay City Rollers waren.

In den Siebzigerjahren eine sehr bekannte Boygroup.

Selbst ich kann mich heute nicht mehr an einen einzigen ihrer Songs erinnern.

Früher, als die Haare noch nicht grau waren, haben Sie Ihre Haare in allen denkbaren Farben getragen. Heute, wo die Schläfen grau werden, wird nicht mehr gefärbt.

Das ist sogar noch absurder: Früher habe ich mir eine Zeit lang die Haare an den Schläfen grau gefärbt, weil die Comic-Figur Mr. Fantastic von den Fantastischen Vier, die ich toll fand, graue Schläfen hatte.

Gibt es eine Kunstfigur Bela B.?

Ja, aber die unterscheidet sich kaum noch vom Privatmenschen. Als junger Punkrocker habe ich gesagt, ich gehe genauso auf die Bühne, wie ich auch privat rumlaufe. Mittlerweile, könnte man sagen, laufe ich privat rum, wie ich mich auf der Bühne anziehe. Ich glaube, ich komme mittlerweile ganz gut damit klar, wie ich bin und wer ich bin. Aber ich hatte immer den Wunsch, mich abzuheben. Für mich war Punkrock immer individueller als nur Nietenlederjacke und Irokesenschnitt. Ich habe als blutjunger Punk auf dem Flohmarkt eine türkisblaue Jacke gekauft, ABBA auf den Rücken geschrieben und um die beiden As einen Kreis gemacht – dafür wurde ich dann von einem Skinhead-Punk zusammengeschlagen. Da ist mir mein Hang zur Individualität nicht so gut bekommen.

Sie sind extrovertiert, haben sogar eine Zweitkarriere als Schauspieler gestartet, doch Ihr Privatleben halten Sie recht konsequent unter Verschluss.

Allerdings wurde mir auch schon mal vorgeworfen, ich würde mein Privatleben nur halbherzig geheim halten. Vor allem in der Zeit, als ich angefangen habe mit dem Schauspielern und öfter auf Filmpremieren war, da habe ich mich auch mal hinreißen lassen, in ein Mikro, was mir hingehalten wurde, einen Kommentar zu Boris Becker abzulassen. Da habe ich Dinge getan, die ich eigentlich schlimm finde, weil dieses Gelaber auf roten Teppichen die Welt nicht besser oder schöner macht. Ansonsten haben wir uns immer rausgehalten und uns, so weit es ging, nicht verbrüdert mit diesem Unterhaltungsbetrieb oder auch dem Musikgeschäft. Bloß weil ich Musiker bin und jemand anderes auch was mit Noten zu tun hat, ist der noch lange nicht mein Freund. Bestenfalls sind wir Kollegen im selben Betrieb und die Echo-Verleihung ist die Weihnachtsfeier – aber ich muss da nicht unbedingt hin.

Die Ärzte gehören zu den erfolgreichsten deutschen Rockbands. Gibt es Momente, in denen Sie Ihre Prominenz verfluchen?

Das kann man nicht kontrollieren. Ich versuche einfach, mich normal zu benehmen. Natürlich, wenn ich alle zwei Wochen mit 29.000 anderen zum FC St. Pauli ins Fußballstadion gehe, werden mir schon mal Handys ins Gesicht gehalten. Damit muss ich leben. Aber es gibt andere, die gehen mit sechs Bodyguards aufs Oktoberfest, die werden natürlich als Stars erkannt und entsprechend verfolgt. Es ist immer noch relativ einfach in Deutschland, unbehelligt zu bleiben. So lange die Boris Beckers dieser Welt in jede Talkshow rennen, um von ihren Problemen zu berichten, können Leute wie ich relativ ruhig leben.

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