Journalistin über ihre ukrainische Heimat: „Ich habe Angst. Wir haben Angst“

Sie will sich in ihrer Arbeit als Journalistin nicht einschüchtern lassen. Aber die Ukrainerin Ilona Fanta hat Sorge vor einem Bürgerkrieg in ihrem Land.

Während der Ausschreitungen in Odessa. Bild: dpa

taz: Wie geht es Ihnen, Frau Fanta?

Ilona Fanta: Mein Herz ist gebrochen und ich kann gar nicht aufhören zu weinen. Es ist so schlimm und so traurig, was mit meinem wunderschönen Land passiert. Wir hatten so große Hoffnungen in die EU gesetzt, und nun passiert etwas, womit wir nie gerechnet haben. Und nun auch noch in Odessa – in dieser wunderschönen, weltoffenen Stadt.

Ilona weint. Kurze Pause.

Jetzt scheint alles möglich, auch das Schlimmste, ein brutaler Bürgerkrieg. Wir haben riesige Angst vor dem 9. Mai.

Das ist der Tag, an dem traditionell der Sieg über Nazi-Deutschland und über den Faschismus gefeiert wird. Was befürchten Sie?

Wir müssen davon ausgehen, dass das von ganz unterschiedlichen Gruppierungen für massive Provokationen genutzt wird. Und dann kann es zu einem richtigen Bürgerkrieg kommen, von dem auch Gebiete betroffen sind, in denen es bisher noch friedlich zugeht. Am 9. Mai kann es überall zu brutalen Gewaltexzessen kommen.

Ich wollte mit Ihnen darüber sprechen, wie Sie und Ihre ukrainischen KollegInnen, in diesen Zeiten überhaupt arbeiten können. Deshalb zunächst einmal die allgemeine Frage nach der Pressefreiheit in der Ukraine.

Wir haben eine freie Presse in der Ukraine. Die meisten unserer Fernsehsender gehören zwar Oligarchen, und entsprechend beeinflusst war die Berichterstattung vor dem Euromaidan. Aber das hat sich doch sehr zum Positiven hin verändert, und Sender wie beispielsweise 1+1 haben ihre Qualität verbessert. Während des Euromaidan sind außerdem verschiedene unabhängige Online-Kanäle sehr, sehr populär geworden, beispielsweise http://hromadske.tv. Sie haben durchgängig aus Kiew berichtet und hatten viele freie Mitarbeiter auf der Straße, die permanent Informationen und Bilder geliefert haben. So konnten sich alle Ukrainer mit einem Internetzugang einen wirklich guten Überblick verschaffen.

37, ist die Leiterin der Kommunikations- und Entwicklungsabteilung von RPDI, einer unabhängigen Stiftung, die Journalisten ausbildet. Zuvor war sie die Chefredakteurin von Kolo, einer Gruppe verschiedener Publikationen in der Zentralukraine.

Und Zeitungen?

Es gibt schon noch Zeitungen, aber deren wirtschaftliches Überleben ist sehr schwer geworden. Es gibt noch einzelne Regionalblätter, aber das werden immer weniger. Also eine gute Berichterstattung in den Regionen wird komplizierter.

Welchen Einfluss nehmen die russischen Medien?

Nun, die Hetzpropaganda, die in Russland läuft – ja durchaus auch gegen Deutschland – die ist euch ja sicher bekannt. Bis vor Kurzem gab es in der Ukraine viele sehr große russische Kanäle, die im ganzen Land ausgestrahlt wurden. Das hat sich seit den Vorfällen auf der Krim verändert, und sie sind in weiten Teilen des Landes verboten. Aber das gilt natürlich nicht für den Osten, dort machen die russischen Medien, vor allem das Fernsehen, immer noch ihren schmutzigen Propagandajob.

Was kann die unabhängige Presse dagegen tun?

Das ist schwierig, denn gerade die weniger ausgebildeten Arbeiter im Osten, die kommen halt abends nach Hause und schauen die Sender, die sie immer angeschaut haben. Und werden dann natürlich indoktriniert. Dabei haben unabhängige Journalisten extra eine Website ins Leben gerufen, die diese Lügen enttarnen soll. Aber es gibt eben viele, denen es zu anstrengend ist, die verschiedenen Informationen zu analysieren, um sich eine eigene Meinung zu bilden (den englischsprachigen Bereich der website findet man unter: www.stopfake.org/en). Sie fallen weiter auf die Propagandalügen herein.

Was? Kremlchef Wladimir Putin soll rund 300 Journalisten für ihre Berichterstattung über den Anschluss der Schwarzmeerhalbinsel Krim an Russland ausgezeichnet haben. Gelobt würden in Putins Dekret „hohe Professionalität und Objektivität“, berichtete die Moskauer Zeitung Wedomosti am Montag.

Wer? Die Orden für „Verdienste um das Vaterland“ seien unter anderem an den Generaldirektor des Fernsehsenders NTW, Wladimir Kulistikow, und den Leiter der Rundfunkaufsicht, Alexander Scharow, überreicht worden. Auch die Chefredakteure der Staatsagentur Rossija Segodnja (Russland heute) und der Boulevardzeitung Komsomolskaja Prawda, Margarita Simonjan und Wladimir Sungorkin, erhielten demnach die Auszeichnung.

Wer nicht? Kremlkritische Medien wie der Internet-Fernsehsender Doschd oder der Radiosender Echo Moskwy stünden dagegen nicht mit Mitarbeitern auf der Liste. Während der „Operation Krim“ im März ließen die Behörden zudem mehrere kremlkritische Internetportale sperren, auf denen russische Experten und Intellektuelle das Vorgehen Moskaus verurteilt hatten. (dpa)

Versucht Russland, den ukrainischen Medien zu drohen?

Das können sie nur bei denen, die vom russischen Geld abhängig sind. Wir anderen arbeiten unabhängig weiter und werden uns auch nicht einschüchtern lassen.

Und dennoch wird es ja immer gefährlicher, aus den Unruhegebieten zu berichten.

Das ist wahr. Wir haben zwar in Odessa sehr viele gute Kolleginnen und Kollegen, anders als beispielsweise in Slawjansk, wo es schwer war, gute Medienvertreter zu finden. Aber nun ist die Situation so eskaliert, dass es wirklich sehr gefährlich werden kann, wenn man als unabhängiger Journalist erkannt wird.

Wie werden Sie versuchen, eine Berichterstattung zu garantieren?

Nun, zum einen haben viele Journalisten, die aus Kiew arbeiten, Familie in Odessa, die werden natürlich als Informationsquellen genutzt. Wir arbeiten auch ganz intensiv mit den neuen Medien, wie Facebook, um die Leute vor Ort zu kontaktieren, denen wir vertrauen. Auch für ausländische Journalistinnen und Journalisten wird es immer gefährlicher, aus manchen Regionen zu berichten. Und das bedeutet auch, dass der Einfluss der prorussischen Medien immer größer und der Konflikt noch weiter angeheizt wird.

Was erwarten Sie vom Westen?

Eine aktive und ehrliche Unterstützung. Wir haben jetzt gerade des Genozids gedacht, der vor 20 Jahren in Ruanda passiert ist, richtig?! Ich habe mich immer gefragt, wie das passieren konnte, damals, in den 1990er Jahren. Und jetzt verstehe ich das ganz klar: Es passierte einfach, während die internationale Gemeinde verhandelt und darüber nachgedacht hat, was man denn tun könnte. Währenddessen wurden die Menschen einfach ermordet.

Aber was heißt das nun konkret?

Natürlich will niemand einen dritten Weltkrieg. Aber wir haben uns so angestrengt, ein Teil von Europa zu werden, und dürfen immer noch nicht frei und ohne Visa reisen. Und jetzt stehen wir Wladimir Putin gegenüber, von Angesicht zu Angesicht. Macht es wirklich nur uns Sorgen, dass er uns nun direkt in unserem eigenen Land bedroht? Was, wenn er gewinnt? Was, wenn er an die europäische Grenze kommt und noch mehr will? Soll die Ukraine wirklich einfach geopfert werden? Und wer will garantieren, dass es dabei bleibt? Ich weiß es nicht. Aber ich habe Angst. Wir haben Angst.

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