Nachdenken über den Ernstfall: Was kümmert uns der Krieg?

Der Krieg kommt näher, zumindest geografisch. Kein Konflikt geht uns so nahe wie der in der Ukraine. Krieg – was bedeutet das heute?

Herrscht hier Krieg? Soldaten nahe Donezk am Donnerstag, dem 22. Mai. Bild: dpa

Es war eine Woche der rhetorischen Bewaffnung: Nach der Konferenz zum Vorgehen gegen Boko Haram am vergangenen Wochenende erklärt Idriss Déby, Präsident des Tschad, man habe einen gemeinsamen „totalen Krieg“ gegen die Islamisten beschlossen. In Thailand verhängt das Militär nach Monaten gewaltsamer Proteste das Kriegsrecht – „bis Sicherheit und Ordnung wiederhergestellt sind“ – und putscht sich an die Macht.

Die malische Armee rüstet sich nach einer Massengeiselnahme für einen Einsatz gegen die Tuareg-Rebellen. Man werde „alle Mittel aufbringen, um diesen Krieg zu führen“, heißt es von Regierungsseite. Im Konflikt im Osten der Ukraine werden wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl bei Gefechten mehrere Soldaten getötet. Man werde jetzt endlich „den terroristischen Abschaum wegfegen“, schreibt der ukrainische Innenminister Arsen Awakow auf seiner Facebook-Seite.

Indes in Berlin: eine SPD-Wahlkampfveranstaltung auf dem Alexanderplatz. „Kriegstreiber, Kriegstreiber!“ skandieren Besucher aus den hinteren Reihen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, roter Kopf, schiefer Krawattenknoten, erhobener Zeigefinger, brüllt von der Bühne zurück: „Ihr solltet euch überlegen, wer die Kriegstreiber sind! Wer eine ganze Gesellschaft als Faschisten bezeichnet, der treibt den Krieg, der treibt den Konflikt!“

Märchenhaftes Bild vom Krieg

Panzer in der Ukraine, Militärputsch in Thailand, Anschläge in Nigeria. Alle reden vom Krieg. Aber worüber reden wir da eigentlich? Ein Essay des Sozialpsychologen Christian Schneider in der taz.am wochenende vom 24./25. Mai 2014 . Außerdem: Wen bewegt Europa? Vier Portraits europäischer Wanderarbeiter zum Wahltag. Und: Von der DDR-Liedermacherin zur ZDF-Hundeflüsterin. Ein Gespräch mit Maike Maja Nowak. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Es war eine starke Erregung gemessen an dem, was von den gewaltsamen Konflikten in anderen Teilen der Welt hierzulande ankommt: Affektausläufer. Rote Köpfe und erhobene Zeigefinger, zarte Besorgtheit um das eigene Wohl: 32 Prozent der Deutschen haben laut einer GfK-Studie Angst vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung. Fast doppelt so viele fürchten sich vor steigenden Lebenshaltungskosten.

Die „neuen“ Kriege sind heute scheinbar die Konflikte der anderen, selbst wenn deutsche Soldaten sie mitbestreiten. 414 Konflikte – 45 davon hochgewaltsame – zählte das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung 2013 in aller Welt. 20 dieser Auseinandersetzungen wurden als Kriege eingestuft, die meisten im subsaharischen Afrika und im Nahen Osten. Wir diskutieren heute über Kämpfe, die wir nicht erleben.

Der Sozialpsychologe Christian Schneider denkt in seinem Essay „Krieg ist Fiktion“ in der taz.am wochenende vom 24./25. Mai darüber nach, was wir vom Krieg wissen und was er mit uns macht. Schon seit unserer Kindheit, so Schneider, haben wir ein verklärtes, märchenhaftes Bild vom Krieg: „Es gibt einen Anfang, der voll von Wünschen und Idealen ist. Es geht gegen das Böse und für die gerechte Sache. Am Ende steht Sieg oder Niederlage.“ Obwohl wir eigentlich genau wüssten, dass die Kriege von heute nicht mehr zu gewinnen sind, begleitet uns dieser Kinderglaube ein Leben lang.

„Szenarien von Ego-Shootern“

Damit einher gehe, dass uns Kriege immer weniger betreffen, immer abstrakter und virtueller erscheinen: „Sie gleichen mehr den Szenarien von Ego-Shootern als einer greifbaren Realität“, schreibt Schneider. So seien wir „weitgehend affektfreie Zuschauer im TV- und Internetwelttheater geworden, weil uns die persönliche Bindung an die Kämpfenden fehlt“.

Als „dauernder Begleiter unserer digital erweiterten Realität“ sei Krieg kein Ausnahmezustand mehr, der uns bewegt und beschäftigt: „Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt.“

Christian Scheider überlegt, warum beim Konflikt in der Ukraine plötzlich eine andere Art von Betroffenheit einsetzt. Er denkt über die Vorstellungen vom Eigenen und vom Fremden nach, die dazu führen, dass die Ukraine – flugs als westlich definiert – als Teil eines kollektiven, guten Wir verstanden wird - in Abgrenzung zum östlichen bedrohlichen Russland. Und er fragt sich, warum beim Krieg eigentlich so selten an den Krieg innerhalb unserer Gesellschaft gedacht wird – dem zwischen dem großen Wir und den Abgehängten.

Was meinen Sie: Bewegen uns diese neuen Kriege noch, die unzähligen gewaltsamen Konflikte in aller Welt, die konstant unseren friedlichen Alltag begleiten? Wie nehmen Sie teil? Wie sollten wir uns zu ihnen verhalten? Und hat Christian Schneider recht, wenn er das Auseinanderdriften von Arm und Reich in der Wohlstandsgesellschaft als Binnenkrieg bezeichnet?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Krieg ist Fiktion“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. Mai 2014

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