Fußballweltmeisterschaft in Brasilien: Wem gehören die Auserwählten?

Politik und Industrie versuchen den Mythos der erfolgreichen Seleção für sich zu nutzen. Es ist die Geschichte einer Gefangennahme.

So sieht ein Mythos aus. So oft wie Brasilien hat keine Mannschaft die WM gewonnen Bild: dpa

Ein Feuer lodert in Deutschland. Es breitet sich von Supermarktregalen und Baumärkten auf unsere Haushalte aus. Es ist das Feuer Brasiliens.

Im Vorfeld der WM, die ab dem 12. Juni in Brasilien stattfindet, bedienen sich viele Produktdesigner und Werbetexter der Klischees, die man gemeinhin mit dem südamerikansichen Land verbindet. Besonders beliebt ist das Bild von den feurigen Latinos. Eine Bratwurst-Werbung fordert uns auf: „Schmecke das Feuer Brasiliens!“

Eine Kräuterbutter verspricht, besagtes Feuer in unsere Lieblingsgerichte zu bringen, ein Handyhersteller in unsere Smartphones. Die Vitalität der Brasilianer ist ein anderes beliebtes Werbemotiv. Da drückt eine Parfum-Verpackung „die überschwängliche Lebensfreude Brasiliens aus“. Polstermöbelhersteller schwärmen von „dem Lifestyle Brasiliens, dem Flair und dem bunten Treiben unter dem Zuckerhut“, das im Design ihrer Sitzmöbel zum Ausdruck kommt.

Und Chipsfabrikanten locken ihre potentiellen Abnehmer mit der Möglichkeit, auf dem heimischen Sofa ein bisschen Samba-Atmosphäre abzubekommen: „Das bunte, lebensfrohe Brasilien genießen: Fruchtig, tomatig, lecker!“ Derselbe Snackproduzent beschwört auf seiner Website auch die Legende des kreativen brasilianischen Fußballs. Ein Mythos, der nicht allein den tatsächlichen sportlichen Erfolgen des fünffachen Fußballweltmeisters geschuldet ist.

Verspielte, leichtfüßige Fußballgenies

Niemand wurde so oft Fußballweltmeister wie Brasilien. Wie Minister, Konzerne und Aktivistinnen diesen Mythos benutzen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Juni 2014. Außerdem: Sechs Kinder und Jugendliche aus Syrien erzählen, wie es ihnen in Flüchtlingslagern im Libanon ergeht. Und: Was der Hausmeister und die Hausdame der legendären Sportschule von Malente über Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus wissen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ein Interesse – und auch einen nicht unerheblichen Anteil – an der Verbreitung des sagenumwobenen Image des brasilianischen Herrenfußballs hat vor allem eine Firma: Nike.

Der Sportartikelhersteller und Großsponsor inszeniert die Mannschaft gerne als verspielte, leichtfüßige Fußballgenies. Zur WM 1998 brachte Nike //:einen Werbespot heraus, in dem Ronaldo und Co die langweilige Wartezeit im Flughafen überbrücken, indem sie sich fröhlich quer durch Gateways dribbeln und Bälle in Gepäckschächten versenken. Nike ist es wichtig, ein positives, Image der Seleçãu zu vermitteln. Schließlich profitiert der Mannschaftsausrüster vom Verkauf der gelb-grünen Trikots. Hinter den Kulissen geht es dabei nicht immer sonnig und fair zu.

In der Titelgeschichte „Die Auserwählten“ in der taz.am wochenende vom 7./8. Juni 2014 gehen Martin Kaul und Constantin Wissmann der Frage nach, wem die Seleção eigentlich gehört. Denn die Mannschaft wird nicht nur für Werbezwecke vereinnahmt.

Sponsoren wie der Turnschuhfabrikant Nike, der Fußballverband FIFA und PolitikerInnen in Brasilien versuchen den Mythos einer der besten Mannschaften der Welt für ihre Zwecke zu benutzen. Und selbst jene, die Rio de Janiero und Sao Paulo gegen das Überkomerzialisierte der Fußballweltmeisterschaft protestieren, instrumentalisieren die brasilianische Elf.

Kollaps ist keine Entschuldigung

Die Geschichte der Seleção, zu deutsch „Auswahl“, sei die Geschichte eine fortwährendenden Aneignung, ja einer Gefangennahme schreiben die Autoren in der taz.am wochenende. Als Stürmerstar Ronaldo im WM-Endspiel 1998 über das Spielfeld taumelte, obwohl er noch ein paar Stunden zuvor kollabiert war, hieß es bald Nike habe Druck gemacht, „damit der bekannteste brasilianische Spieler nicht bloß auf der Ersatzbank säße“. Ein Untersuchungsausschuss des brasilianischen Parlaments deckte auf, dass Nike tatsächlich Einfluss auf die Spielaufstellungen der Mannschaft nehmen konnte.

Ein Mann stellte sich damals besonders vehement solchen Verstrickungen entgegen: der kommunistische Politiker Aldo Rebelo. Martin Kaul und Constantin Wissmann folgen Rebelos Werdegang der letzten Jahre, angefangen mit dem von ihm angestoßenen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum fragwürdigen Sponsoringvertrag mit Nike über seine Ernennung zum Sportminister //www.youtube.com/watch?v=YVeMKmusYDo:bis hin zu den Videochatkonferenzen, die er heute abhält.

Auf diesem Weg versucht Aldo Rebelo derzeit, die Bevölkerung im Hinblick auf die anstehende WM positiv zu stimmen. Ein radikaler Rollenwechsel. Als Kämpfer gegen Nike war Rebelo der Angreifer, heute muss er heute das umstrittene Turnier verteidigen. Und auch er kann heute der Versuchung nicht widerstehen, den Nimbus der erfolgreichen Nationalmannschaft für sich zu nutzen.

Skandale, Zwangsräumungen, Streiks – die WM scheint viele Brasilianer eher vom Fußball zu entfremden. Viele DemonstrantInnen haben das Gefühl, die Seleção spiele nicht mehr für sie.

Aber für wen dann? Ist die Seleção überhaupt noch die Mannschaft der Brasilianer? Oder ist sie komplett von kommerziellen und politischen Interessen vereinnahmt? Wem gehört die brasilianische Elf? Diskutieren Sie mit! Die Titelgeschichte „Die Auserwählten“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Juni 2014.

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