„Berliner Schule“ in Moskau: Außenstellen eines Begriffs

Das Filmfestival von Moskau zeigt Filme der „Berliner Schule“. Im Kontext des russischen Kulturkampfs gewinnen sie unerwartete Konturen.

Am 19. Juni 2014 wurde das Internationale Filmfestival von Moskau eröffnet. Auf dem Roten Teppich: das Team des US-amerikanischen Dokumentarfilms „Red Army“. Bild: dpa

Eigentlich wollte ich mich um den Begriff „Berliner Schule“ nicht mehr kümmern. Der heimische Diskurs darüber war mir in den letzten Jahren müßig geworden, oft schien das Sprechen hier von Missgünstigen mit kaum verhohlener Niedertracht angezettelt oder von Wächterfiguren geführt, die es vor allem auf Ein- und Ausschlüsse absehen.

Ende letzter Woche jedoch war ich in Moskau genau dafür als Experte eingeladen vom Goethe-Institut, das dort auf dem Internationalen Filmfestival eine Retrospektive organisiert hatte. Größtenteils als russische Premieren wurden acht Filme gezeigt, die im Deutschland der nuller Jahre produziert wurden und dem zugerechnet werden, was „Berliner Schule“ genannt wird: Filme von Angela Schanelec, Valeska Grisebach, Maren Ade, Maria Speth, Christian Petzold, Thomas Arslan, Christoph Hochhäusler und Ulrich Köhler.

Mit mir aus Berlin nach Moskau war auch Saskia Walker gereist, Regisseurin und Mitherausgeberin der Filmzeitschrift Revolver, welche manche als publizistisches Zentralorgan der Schule bezeichnen. Unsere Aufgabe war es, mit dem Publikum über die Filme und deren Zusammenhänge zu sprechen. Auf dieses Sprechen in der Fremde war ich neugierig. Vielleicht ließe sich dabei die Dichotomie von neidvoller Eifersucht und formelhafter Bewunderung auflösen, ließe sich anderes an den Filmen entdecken.

Politische Spannungen

Dieser andere Kontext (Moskau! Russland!) sorgte mich auch. Vor der Reise verfolgte ich die Nachrichten aus der Ukraine genau und las von den immer totalitaristisch-nationalistischer werdenden Gesetzen, die die Duma verabschiedete.

Auch das Festival selbst ist von politischen Spannungen durchzogen. Nikita Michalkow, Oscarpreisträger und Präsident des Festivals, die mächtigste Figur im russischen Regisseursverband und eng mit Putin verbandelt, hatte ein paar Tage zuvor die Bevölkerung der Ukraine zu Widerstand gegen die gerade gewählte Regierung aufgerufen; zeitgleich hatte jedoch ein anderer zentraler Regisseur, Alexander Sokurow („Faust“, „Vater und Sohn“), dem wie Michalkow gute Verbindungen zum Kreml nachgesagt werden, die Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland gefordert.

Auch wusste ich, dass manche der eingeladenen Berliner Regisseure aus politischen Gründen nicht nach Moskau kamen. Will man in einem Land Filme zeigen, dessen Regierung in einen Krieg einzutreten sich vorbereitet? Sendet man damit ein Signal, und wenn ja: an wen, an die reaktionären oder die progressiven Kräfte im Land?

Tatjana Kirjanowa, die Initiatorin der Schau, hatte in den nuller Jahren in Frankreich und Deutschland die Filme der Berliner Schule gesehen und in ihnen ihre eigene Wahrnehmung vom Leben in Deutschland präzise wiedergegeben gefunden. Zusammen mit Mikhail Ratgauz, Filmkritiker und Redakteur der Website www.colta.ru, verantwortete sie nun auch die erste russische Buchveröffentlichung über die „Bewegung“ der Berliner. Der Band erschien parallel zum Festival.

Neue narrative Formen

Im Versuch, die Besonderheit der Filme zu charakterisieren, entwickelt Ratgauz darin eine filmgeschichtliche Verortung, die die Berliner Schule als eine der letzten Gruppenbewegungen charakterisiert, die im historischen Vakuum der Transformationszeit der 90er und nuller Jahre das Kino vorangetrieben haben. Die Filmemacher, so Ratgauz, reagierten auf einen Mangel an Gegenwärtigkeit im (deutschen) Kino, das formal von postmoderner Referentialität und ökonomisch vom heillosen Simulieren amerikanischer Filmindustrie geprägt war. Dem setzten sie explizite Suchbewegungen nach Realitätsreflexionen und neuen narrativen Formen entgegen. Das Kino als Erzähl- und Darstellungssystem wurde wieder riskanter, auseinandersetzender aufgefasst.

In den Diskussionen mit uns und dem Publikum war Ratgauz nun daran gelegen, ein Verständnis der Filme mit dem in Russland der letzten Jahren immer dramatischer zutage tretenden „Kulturkampf“ zu verbinden. Mit diesem Begriff bezeichnet er die von Putin forcierte Abwendung von der westlichen Orientierung hin zu einer neuen, russisch-eurasischen Identität, die (spätestens seit der Annexion der Krim) von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt werde. Zeitgleich mit dem neuen Nationalismus setze aber auch eine Emigrationsbewegung der gebildeten Schichten ein, die in den 90er und nuller Jahren noch hofften, dass die Transformation der Gesellschaft sich in Richtung westlicher Kultur bewege.

Einige der gezeigten Filme wurden aus dieser russischen Perspektive auf die Suche nach einem neuen Selbst neu lesbar als Verhandlung von Tauschbeziehungen und Identitätsbestimmungen. Die Bewegungen von Yella (Nina Hoss) im gleichnamigen Film von Christian Petzold, der 2007 eine Geschichte aus der Perspektive einer Toten erzählte, die sich mit dem Sterben noch nicht abgefunden hat, ließen sich so als einer fantasmatisch-zerstörerischen Traumlogik folgend beschreiben, welche ausschließlich von ökonomischen Kategorien bestimmt ist. In Angela Schanelecs „Marseille“ wird die Identität der Hauptfigur Sophie (Maren Eggert) von einem konstellativ befremdenden Realen aufgesogen.

Diese beiden Extrempositionen der Berliner Schule – einer politischen Kritik der Imagination (bei Petzold) und einer Montage-orientierten Öffnung auf Realitätseffekte (bei Schanelec) – gewannen durch den Moskauer Kulturkampf-Kontext tatsächlich neue Konturen. Zumindest für mich markieren sie nun die Außenstellen eines reflektierten Gegenwartskinobegriffs, der es beispielsweise erlauben würde, Alternativen zum bei der Filmkritik unangemessen beliebten, transzendental-kontemplativen Kino und seiner Selbstschau zu entwerfen. Vielleicht taugt der Berliner-Schule-Begriff schließlich doch noch zu etwas.

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