Kommentar DFB-Elf im Achtelfinale: Ein Stil, der dem Trend entspricht

Bundestrainer Joachim Löw hat das Spektakel zugunsten der Defensive reduziert. Jetzt ist die Gegentorquote weltmeisterlich. Reicht das?

Hilflos in der Offensive, diszipliniert in der Abwehr: Linksverteidiger Höwedes (hier im Zweikampf mit Michael Bradley, r.) Bild: dpa

Ein Hauptvorwurf gegen Joachim Löw lautet, dass er das Verteidigen nicht ernst nimmt. Das lässt sich nach dieser WM-Vorrunde nicht erhärten: Der Bundestrainer hat viel versucht, um die hohe Gegentorquote der letzten Jahre zu reduzieren, mit der man erwiesenermaßen kein großes Turnier gewinnen kann.

Einmal war man zeitweise chaotisch, beim 2:2 gegen Ghana, aber zweimal hat man Spiel und Gegner fast über die ganze Spielzeit kontrolliert und jeweils zu null gespielt: 4:0 gegen Portugal und am Donnerstagabend 1:0 gegen die USA. Nun weiß man nicht genau, wie schwach die USA-Offensive wirklich war (der Verdacht ist: sehr schwach), aber aus deutscher Sicht hat man den Ball laufen lassen und den Gegner ins Leere geschickt, hat alles kontrolliert und sich keinen jener Fehler geleistet, die auf diesem Niveau häufig nicht mehr zu reparieren sind.

Deutschland lässt den Ball nicht so laufen wie der FC Bayern und presst nicht so existentiell wie Borussia Dortmund. Löw hatte seinen Tempokonterfußball von 2010 zunächst zu einem dominanteren Ballbesitzspektakel entwickelt. Erstens, weil man sich immer weiterentwickeln muss, sonst ergeht es einem wie Italien, Portugal und England. Spanien ist ein Sonderfall.

Zweitens, weil er damit bei den ganz großen Spielen nicht durchkam. Drittens, weil die deutschen Kreativspieler immer besser wurden und das Team sich immer besser eingroovte. Da aber nicht nur der Spektakelfaktor hoch war, sondern auch die Gegentorquote, hat Löw die nächste Stiladaption vorgenommen. Die Parole lautet: Defensive vor Spektakel.

Rettendes Tor gegen Ghana

Mit den vier Vorstoppern in der Abwehr gewinnt das Team bei eigenen und gegnerischen Standards – und verliert auf den Flügeln. Das personifiziert sich weniger in Boateng als in Linksverteidiger Höwedes, der mit seinem rechten Fuß und seiner kreativen Limitiertheit in der Offensive hilflos ist, aber diszipliniert verteidigt und nach einem Eckball per Kopf Kloses rettendes Tor gegen Ghana initiierte.

Schön ist das nicht, aber die WM wird sich über Tore, die nach Umschaltspiel und nach Standards fallen bzw. nicht fallen, entscheiden. Das gilt auch für das Achtelfinale am Montag gegen Algerien. Löws Stil entspricht in einigen Bereichen dem Trend. Etwa beim Versuch, mit Philipp Lahm auf der Sechs und zwei Achtern Stabilität und Kontrolle im Zentrum zu erlangen. Dies gelingt auch mit der Reduktion des Flügelspiels, der Reduzierung des Mittelstürmers auf eine Schrumpfvariante und dem Versuch, mit drei beweglichen Offensiven den Gegner in Unordnung zu bringen.

Das führt allerdings dazu, dass Deutschlands Offensive ohne Zehn agiert und darin überhaupt nicht geübt ist, was häufig weniger den Gegner als Mesut Özil in Unordnung zu bringen scheint. Wenn es aber bei Özil nicht läuft, fehlt das entscheidende Verbindungsstück zum Abschluss-Spieler. Alles Gründe, warum dem deutschen Spiel noch die ästhetische Begründung fehlt. Aber jeder Nachteil hat auch einen Vorteil, wie Johan Cruyff zu sagen pflegt.

Der Vorteil besteht darin, dass man mit dem derzeitigen Schnitt von 0,66 Gegentoren Weltmeister werden kann. Spanien und Italien hatten zuletzt eine Quote von 0,3 bzw. 0,8 pro Spiel. Doch die historische Leistung von Joachim Löw besteht in mehr als einem profanen Titel oder einer bestimmten Gegentorquote: Er ist der Trainer, der Deutschland gezeigt hat, dass es im Fußball nicht darum gehen kann, dass man gewinnt. Sondern nur darum, wie man gewinnt. Oder, Jogi?

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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