Kolumne Die eine Frage: Geilheitsmainstreaming

Frauen über fünfzig beklagen, dass die Blicke der Männer ausbleiben. Heike-Melba Fendel sieht darin einen grundsätzlichen Denkfehler.

Hält die Klagen über Unsichtbarkeit für vorpubertäre Beleidigtheit: Heike Melba-Fendel. Bild: privat

Jetzt klagt schon wieder eine Frau um die fünfzig, dass sie „unsichtbar“ geworden sei und die Kanalarbeiter ihr nicht mehr hinterherpfeifen würden. Ich weiß einfach nicht, was ich darauf antworten soll. Ich bin fünfzig, und die Kanalarbeiterinnen stöhnen lauter denn je, wenn sie mich sehen.

Dass sie zum Anbeißen aussieht, kann ich der Frau auf keinen Fall sagen, denn Oberflächenreduzierungen sind strengstens verboten, und das hat ja auch Gründe. Dass ich sie intellektuell anziehend finde? Das würde sie vollends ins Elend stürzen. Oder soll ich verständnisvoll flüstern: „Dafür kriegen Männer Prostata, wenn sie nicht vorher an Herzinfarkt sterben“? Schon besser, aber nein, ich brauche Rat.

Ein sonniger Vormittag im Berliner Stadtteil Schöneberg. Heike-Melba Fendel, zweiundfünfzig, frühstückt vor einem Café. Fendel ist Chefin der Künstleragentur Barbarella. Schriftstellerin. Blonde Haare, blaue Augen. Wenn man einen Essay liest, der pointiert ist und das eigene Denken gefährdet, könnte er von Heike-Melba Fendel sein. In ihrem FAZ-Blog hat sie sich mit „diesen an selbst diagnostizierter Unsichtbarkeit erkrankten Frauen“ beschäftigt und der Frage, warum sie „nach Aufmerksamkeit selbst solcher Männer hungern, deren Pfiffe sie vormals peinlich berührten“.

Also: Werden Frauen ab fünfzig systematisch benachteiligt, und zwar nicht nur als Managerinnen, Fernsehjournalistinnen und Talkshow-Personal, sondern weil sie im Gegensatz zu gleichaltrigen Männern nicht mehr als sexuell attraktiv gelten?

„Begehren kann man nicht einfordern“

Fendel lächelt. Sie spricht dann über den politischen Feminismus in Deutschland, seine Erfolge und sein Erfolgsprinzip. Frauen der geburtenstarken Post-68er-Generation haben sich in den letzten Jahrzehnten ihnen zustehende Rechte erkämpft. Ihre historische Erfahrung: Kampf führt zu Erfolg. Mehr noch: Die Protagonistinnen wurden durch den Kampf für die Sache individuell sichtbar.

Und nun kämpfen sie mit der Schwierigkeit des Altwerdens und stellen fest: auch ungerecht. So nicht. „Die einzige Form, die sie gelernt haben, ist Anklage und Einforderung“, sagt Fendel. „Das Drama ist, dass sich das nicht übertragen lässt auf den Bereich des Sexuellen und der Gefühle zwischen Mann und Frau.“ Konkret: „Begehren in den Blicken der Männer kann man nicht einfordern.“

Die Forderung, dass Männer gefälligst Frauen über fünfzig attraktiv zu finden haben, ist wirklich so putzig und menschenignorant, dass sie aus dem kommenden Wahlprogramm der Grünen sein könnte. Sie könnten es Geilheitsmainstreaming nennen. Weder sexuelle noch emotionale noch intellektuelle Begehr ist gesetzlich oder humanistisch einzuklagen. Manchen Frauen und Männern hat auch mit zwanzig kein Schwein hinterhergeschaut. Da muss man improvisieren. Manche Männer wurden dann reich. Oder lustig. Wie ich.

Essen mehr Menschen weniger Tiere, wenn Veganer statt Bildern von gequälten Masthähnchen lieber die von saftigen Seitan-Schitzeln posten? Zu Besuch bei drei Genuss-Missionaren in der taz.am wochenende vom 26./27. Juli 2014. Außerdem: Wie die ersten beiden Weltkriegstoten nach hundert Jahren immer noch keine Ruhe finden. Und: „Ein flaues Gefühl in der Magengegend begleitete mich jeden Tag.“ Die Filmemacherin Elfe Brandenburger über ihre Jugend an der Odenwaldschule. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Aber wie geht Heike-Melba Fendel eines Tages mit womöglich ausbleibenden Blicken um? Sie schüttelt den Kopf. Grundsätzlich falscher Denkansatz. „Die wirkliche Dummheit dieser Frauen“ nennt Fendel, dass sie sich auf den abstrakten Allgemeinfall fixieren („Männer“). Dadurch entstehe ein „falsches me too“, also das Gefühl anderer Frauen, dass es ihnen auch so gehe wie den Hauptklägerinnen.

Ein Zeichen von Unreife

Aber Männer haben es doch besser? Mag sein, sagt Fendel, aber Gleichberechtigung sei nicht, dass es dem anderen Geschlecht auch schlecht zu gehen habe. Die ganze Sache sei ein Zeichen von Unreife. „Die postklimakterische Frau pflegt eine vorpubertäre Beleidigtheit.“ Die Folge ist für sie der klassische Fall eines Diskurses, in dem mal wieder nur Missverständnisse ausgetauscht werden. Und Marken und Denken des 20. Jahrhunderts gepflegt.

Es geht nicht um Sichtbarkeit in Beziehung auf irgendwelche Männer, die keiner braucht. Schon gar nicht um das Einklagen, sagt Fendel. Es geht um „den Mann, der einen interessiert“. Es geht um das „Erkennen“ zwischen der einen Frau und dem einen Mann (LSBTTIQ bitte entsprechend übertragen). Was nützen einem die pfeifenden Kanalarbeiterinnen am Wegesrand, wenn DIE nicht (mehr) hinschaut, um die es nicht theoretisch oder einen Moment gehen soll, sondern existenziell und möglichst lange?

Es muss furchtbar sein, wenn man wirklich unsichtbar ist. Verhindern kann das aber letztlich keine Kanalarbeiter-Truppe und auch kein Gesetz. Sondern nur man selbst. Der erste Schritt ist, dass man sich keinen Unsinn einreden lässt.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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