Berliner Szenen: Der einzige Sinn

Wer eine Bäckerei als Büro benutzt, lernt nebenbei noch viel über Dinge wie Wirtschaft und Ernährung und Smartphones.

Isst du das noch? Bild: dpa

Ich trinke Kaffee und lese vor der Bäckerei in unserer Straße. Büroersatzbäckerei. Links neben mir sitzt eine Mutter mit ihrem Kind, die Mutter liest auch was, das Kind sitzt im Kinderwagen und macht Sachen mit einer Brezel. Also im Grunde isst es die Brezel, aber eher so über Umwege. Es reißt kleine Stücke ab, spielt damit rum, steckt sie in den Mund, nimmt sie wieder raus, guckt sie an, steckt sie wieder rein. Slow food.

Ein Mann kommt angeschlurft, er bettelt an allen Tischen, er hat ein Schild, das er zeigt, und sagt immer nur „biiitte“ mit sehr langem i. Niemand gibt ihm was. Neben dem Kinderwagen bleibt er stehen und sagt zum Kind: „Bisschen Brot gib mir auch, biiitte“, das Kind guckt ihn an und schreit sehr laut: „Näääää!“ Die Mutter guckt hoch, der Mann schlurft weiter.

Ein anderer Mann, der mehrere Taschen und Plastiktüten bei sich trägt und sich eine Stoffwindel um den Kopf gebunden hat, kommt aus der Bäckerei, er hat eine Flasche Vanillemilch in der Hand, schüttelt sie über seinem Kopf und ruft: „Proteine!“ Dann setzt er sich, trinkt, murmelt „In Vanillemilch sind einfach die besten Proteine“ und guckt einem kleinen Mädchen hinterher, das auf einem Kinderlaufrad vorbeifährt. Das Mädchen trägt Helm.

„Ja, ja“, sagt der Mann, „das ist so scheiße. Fahrradhelme machen überhaupt erst Sinn ab einer Geschwindigkeit von 40, 45 Kilometern. So schnell fahren die aber alle nicht. Na ja. Da hat sich die Industrie mal wieder was Feines überlegt. Und alle machen mit. Der einzige Sinn von Fahrradhelmen ist doch, dass sie scheiße aussehen.“

Dann bringt er die leer getrunkene Flasche zurück in den Laden. Beim Rausgehen sieht er mein Handy, auf dem ich tippe, ein altes iPhone. Ehrlich gesagt tippe ich gerade mit, was er gesagt hat. Weiß er natürlich nicht. „Ah“, sagt er, „Android. Besser als iPhone. Sehr gut.“ Dann geht er.

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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