Gursky, Wall und Rauch: Nervige Superhelden

Die Kestnergesellschaft zeigt Werke von Gursky, Wall und Rauch. Das erweist sich als Bumerang. Trost bietet da eine junge US-Amerikanerin namens Dana Schutz.

Keineswegs unterwegs aufgegriffen, sondern sorgfältig inszeniert: Jeff Walls Porträt eines nassen jungen Mannes. Bild: Kestnergesellschaft

HANNOVER taz | Die Kestnergesellschaft Hannover zeigt derzeit Andreas Gursky, Jeff Wall und Neo Rauch in einer Gruppenausstellung. Man vermutet dahinter ein kuratorisches Konzept. Etwa bereits in der Gegenüberstellung der Strategien zweier, auf den ersten Blick so verschiedener Fotografen wie Gursky und Wall. Gursky ersinnt in seinen digitalen Farbfotomontagen ja gnadenlos, aber auch ganz offensichtlich erkennbar, fiktive Bildwelten. Was er da zeigt, das gibt es so nicht. Das alles will auch gar nicht erst den Glauben an die Verlässlichkeit der Fotografie als Abbild einer realen Szene aufkommen lassen.

Tagelange Inszenierung

Bei Wall hingegen könnte man zumindest bei seinen analogen Schwarz-Weiß-Fotografien vermuten, dass er eine präzise Aufnahme der Wirklichkeit liefert, also die dokumentarische Fotografie pflegt. Seine Fotos sind aber ebenso konstruiert wie die von Gursky. In tagelangen Inszenierungen arrangiert er seine meist sozial unterprivilegierten Protagonisten in eher handlungsarmen Situationen. Ein Motorblock wird getragen, ein Pärchen greift gemeinsam in die Fritten-Tüte, zwei Personen gehen an einer städtischen Kreuzung vorbei, ein junger Mann steht da, nass vom Regen. Die lakonischen Bildtitel beschreiben nüchtern, was der Betrachter sieht: „Young man wet with rain“ beispielsweise.

Walls Fotografien wirken wie Genre-Malerei des 17. Jahrhunderts, aber modern in Sujets und Technik, und äußerst schonungslos. Ein Augenblick menschlicher Verfasstheit wird eingefroren. Wäre das die Verbindung zu Neo Rauch? Aber der ist nicht mit seiner großen figurativen Malerei im hannoverschen Reigen vertreten, sondern mit 35 kleinformatigen Zeichnungen und zwei wuchtigen Plastiken.

Freundliche Absagen

Veit Görner, Direktor des Kunstvereins, sagt es ohne Umschweife: Die Konstellation ist Zufall. Als er vor elf Jahren die Leitung der Kestnergesellschaft übernahm, war eine seiner ersten Amtshandlungen, bei Gursky & Co. nach Einzelausstellungen anzufragen. Görner hatte bereits 1998, an seiner vorherigen Wirkungsstätte im Kunstmuseum Wolfsburg, Andreas Gurskys junges Werk gezeigt, ihn auch privat gesammelt. Er erhielt freundliche Absagen, es ginge zeitlich gerade nicht, erklärte Gursky.

Jetzt, kurz vor Görners Abschied, hatte er dann doch ein Einsehen. Und brachte eine neue Folge seiner „Lehmbruck“-Serie mit. Dort montiert Gursky fiktive Kunstsammlungen in den Innenhof der feinen Duisburger Museumsarchitektur. Wer will, könnte auch hier wieder kunsthistorische Bezüge ausmachen, etwa zu Antwerpener Galeriebildern des Barock. Auch damals waren üppige, zumeist fingierte Hängungen das Ideal.

Ein irrwitziger Zentaur

Bei Gursky finden sich nun ein Damien Hurst, ein Jeff Koons – und die dunkle Monumentalplastik „Nachhut“ von Neo Rauch. Dieser irrwitzige Zentaur, der menschliche Teil müde und zwei nicht erklärbare Kanister schleppend, steht in Hannover nun neben zwei Exemplaren der Lehmbruck-Serie. Daneben hängt Jeff Walls Foto des nicht minder monumentalen Innenraumes eines Kühllagers. Inszenatorisch ist das überwältigend, inhaltlich bleibt es dünn.

Brutale Nachbarschaft

Im zweiten Saal wird es dann ärgerlich. Zwölf großformatige Fotos, eine weitere Bronze Neo Rauchs und seine Zeichnungen prallen hier in räumlich brutaler Zwangsanordnung aufeinander. Voller Stolz zeigt man hier und damit erstmalig in Deutschland zwei ganz neue Gurskys aus seiner Serie „Superhelden“ von 2014. In ihnen ist Spiderman stummer Akteur. Eine urbane Szenerie zeigt ihn in Tokio, ein kitschiger Liebesmoment am thailändischen Strand.

Mit diesen Arbeiten löse sich Gursky endgültig vom Authentizitätsdiktum der Fotografie, schwärmt Ulf Poschardt dazu in der Welt. Er durfte vorab exklusiv berichten, traf auch Gursky in Hannover, der vor der Eröffnung bereits wieder abreiste. Gurskys infantilen Ästhetizismus könnte man aber auch als weit überschrittenen Zenit einer künstlerischen Entwicklung lesen.

Übermächtige Superhelden

In V-Formation zueinander gestellt, dominieren die Superhelden den Saal. Und lassen Neo Rauchs Zeichnungen erbarmungslos untergehen. Seine spontanen kleinen Szenen, nicht als Vorstudien zur Malerei angelegt, sind eigenständige, wie Karikaturen überzeichnete Welten mit fantastischen Wesen oder Figurengruppen. Zartfarben und filigran können sie der visuellen Macht der Monumentalfotografie kein Paroli bieten, erhalten keinen Raum.

Aber auch Wall tut sich hier schwer. Immer als eine in sich abgeschlossene Einheit angelegt, konkurrieren seine Fotos in der Enge nun miteinander. Statt eines intelligenten Dialoges schafft diese Konfrontation ein Haifischbecken, einen darwinistischen Kampf dreier etablierter Herren um Aufmerksamkeit.

Für dieses Ärgernis entschädigt die junge US-amerikanische Künstlerin Dana Schutz. Souverän beherrscht ihre farbenfrohe Malerei mit allerlei körperlich verfänglichen Situationen das Obergeschoss. Sie dekliniert das Repertoire der Kunstgeschichte zwischen Futurismus und Pop, ist explosive Geste ohne tiefgründige Story. Ist es nicht Aufgabe eines Kunstvereins, solch frische Positionen zu entdecken und ins Haus zu holen?

Die Ausstellungen Andreas Gursky| Neo Rauch | Jeff Wall und Dana Schulz laufen bis zum 26. 10. in der Kestnergesellschaft Hannover
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