Wissenstest für Migranten in Russland: Die gute alte Völkerfreundschaft

Ab September müssen Migranten, die legal in Russland arbeiten wollen, einen Geschichtstest bestehen. Nach aktueller Politik wird nicht gefragt.

Willkommen in Russland: Nationalisten attackieren den Wagen eines vermeintlich nicht slawischen Fahrers. Bild: ap

Migranten haben es nicht leicht und in Russland schon gar nicht. Dort schuften sie – nicht selten ohne gültige Aufenthaltspapiere – für Hungerlöhne, werden bisweilen in konzertierten Aktionen zu Tausenden abgeschoben (nach dem Motto: Die Hauptstadt Moskau wird besenrein) oder auch mal zusammen- bzw. totgeschlagen.

Diejenigen, die schmerzfrei genug sind, um sich beim großen Bruder ausbeuten zu lassen und das auch noch legal, mussten für den Erhalt eines Arbeitsvisums bislang nur einen Sprachtest über sich ergehen lassen. Das wird zum 1. September dieses Jahres anders. Dann muss der nicht russische Arbeitnehmer auch noch eine Prüfung in sowjetischer und russischer Geschichte ablegen.

Die Tageszeitung Iswestija veröffentlichte unlängst einige der insgesamt 100 Quizfragen, von denen der Prüfling 20 im Multiple-Choice-Verfahren und innerhalb von 35 Minuten zu beantworten hat. So will die Russische Universität für Völkerfreundschaft, die den Fragenkatalog gemeinsam mit dem Bildungsministerium erarbeitet hat, beispielsweise wissen, welchen Beinamen Zar Iwan IV. trug: der „Stille“, der „Schreckliche“ oder der „Befreier“? Wie nennt man den Aufbau landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften in den 1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts? „Perestroika“, „Kollektivierung“ oder „Industrialisierung“?

Wurde 2008 Dmitri Medwedjew, Michail Gorbatschow oder Boris Jelzin (der lag da bereits schon seit ein paar Monaten auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof) zum Präsidenten gewählt? Als Austragungsorte für die XXII. Olympischen Winterspiele 2014 sind Moskau, Wladiwostok und Sotschi im Angebot.

Welches Parteiensystem?

Auch zum Thema Krim können die Testteilnehmer mit ihrem Wissen brillieren. Wer denn die Halbinsel im 18. Jahrhundert mit Russland vereinigt habe? Iwan der Schreckliche (da ist er wieder), Katharina II. oder Alexander II.? Danach, welcher „Zar der Befreier“ die Krim mit Unterstützung bewaffneter grüner Männchen auf ganz demokratische Art und Weise im 21. Jahrhundert mit Mütterchen Russland vereinigte, wird nicht gefragt. Genauso wenig wie danach, wer die kriegsgebeutelte Ostukraine im Zuge einer rein humanitären Hilfsmission wieder eingemeindete.

Die Iswestija verrät übrigens auch, welche Fragen aus dem Test wieder gestrichen wurden. Das Jahr des Rücktritts von Boris Jelzin? Desjenigen Staatschefs, der aufgrund eines gewissen Alkoholabusus auf Auslandsreisen nicht immer wusste, wo er sich gerade wirklich befand. Das Parteiensystem im heutigen Russland? Ja, welches Parteiensystem?

Der Historiker Nikolai Dobrjuch zweifelt stark an dem Nutzen derartiger Prüfungen. Einmal abgesehen davon, dass nicht einmal ein Großteil der russischen Schüler diese Fragen korrekt beantworten könne, trügen derartige Prüfungen wohl kaum dazu bei, das Verständnis für die Geschichte Russlands und historische Prozesse zu befördern.

Vielleicht befördern sie aber das Verständnis für die russische Gegenwart und damit auch für die grassierende Korruption unter Präsident Wladimir Putin. So sei es nicht auszuschließen, schreibt die Iswestija, dass die Migranten nach Möglichkeit versuchen würden, sich mit dem Prüfer zu „einigen“. Mal abgesehen von persönlichen Motivationshilfen für chronisch unterbezahlte Lehrkräfte: In Russland ist sowieso jedes Dokument käuflich. Warum sollte das ausgerechnet bei den Geschichtszertifikaten anders sein. Nachweise über russische Sprachkenntnisse sind derzeit für umgerechnet 75 Euro im Handel.

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