Ein Jahr danach in Hellersdorf: Die Randlage im Blick

Ein Jahr nach den rechten Protesten gegen Flüchtlinge in Hellersdorf ist die Lage ruhiger, aber nicht entspannt. Heute startet eine Aktionswoche gegen Rassismus.

Vor einem Jahr steppte hier der Mob: Junge am Flüchtlingsheim. Bild: dpa

Viel ist nicht los rund um den U-Bahnhof Hellersdorf, dabei soll hier doch nach Willen des Bezirks so etwas wie der „Dorfplatz“, der zentrale Treffpunkt, sein. Die Alice-Salomon-Hochschule am gleichnamigen Platz wirkt an diesem Vormittag verwaist, es sind schließlich Semesterferien. Auch jenseits dieses Platzes ist es im Vergleich zum vergangenen Sommer ruhiger geworden in und um Hellersdorf: Vor einem Jahr gab es hier im August massive Proteste gegen ein neues Flüchtlingsheim, in das die ersten Bewohner unter Polizeischutz einziehen mussten. Jetzt steht der Stadtteil, kurzzeitig zum Symbol geworden für das, was die einen als Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und die anderen als Horrorszenario in einem abgehängten Randviertel beschreiben würden, kaum noch im Fokus der Medien und auch derjenigen, die sich jenseits von Hellersdorf gegen Neonazis und Rassismus engagieren.

Übrig sind die, die schon vorher da waren: Barbara und Robert zum Beispiel, sie aus dem Asta der Alice-Salomon-Hochschule, er aus dem Umfeld des linksalternativen Wohn- und Kulturprojekts La Casa. Die beiden gehören zum Vorbereitungsteam einer „Aktionswoche gegen Rassismus und Ausgrenzung“, die ab Montag in Hellersdorf stattfindet. Mit Vorträgen zu Asylrecht, die sich explizit nicht an die linke Szene, sondern an Hellersdorfer AnwohnerInnen richten, und mit Skateboard- oder Bastelworkshops, zu denen besonders die Kinder aus der Asylbewerberunterkunft in der Maxi-Wander-Straße eingeladen sind.

Denn die mal mehr, mal weniger offen rassistischen Vorurteile, die gibt es in Hellersdorf ja nach wie vor, genauso wie die mal mehr, mal weniger fest organisierten Neonazi-Strukturen.

Die selbsternannte Bürgerbewegung „Nein zum Heim“ sei zwar ruhiger geworden, sagt Barbara, aber keineswegs inaktiv. Im Winter, lange nach der großen Hellersdorf-Aufregung, gab es mehrere Anschläge mit Böllern auf die Unterkunft wie auch das La Casa. Immer noch gibt es regelmäßig Berichte von HeimbewohnerInnen, am U-Bahnhof oder auf dem Weg in die Unterkunft angepöbelt und rassistisch beschimpft worden zu sein. Und am Pfingstsonntag, während in Kreuzberg der Karneval der Kulturen gefeiert wurde, zogen in Hellersdorf etwa 60 Menschen unter der Führung von NPD-Kadern durch den Kiez und wurden von der Polizei unmittelbar an der Unterkunft vorbeigeleitet.

Anschlussfähige Nazirhetorik

„Wir waren selbst überrascht davon, wie weit verbreitet hier rassistische Vorurteile sind, wie anschlussfähig Neonazi-Rhetorik ist“, sagt Robert, der in Hellersdorf geboren ist und sich hier seit Jahren politisch engagiert. Zwar hätten Antifa-Gruppen schon länger darauf aufmerksam gemacht, dass in Hellersdorf viele Neonazis wohnen und etwa bestimmte Kneipen als Treffpunkte nutzen. Doch die Eigendynamik, die der Protest der HeimgegnerInnen teilweise auch ohne das Zutun organisierter Neonazis entwickelte, überrumpelte selbst die Kreise, in denen Robert sich bewegt.

Gleichzeitig ist es Robert wichtig, die Ereignisse in Hellersdorf nicht größer und vor allem einzigartiger darzustellen, als sie aus seiner Perspektive sind. „Wenn ich jetzt zu jemandem sage, dass ich aus Hellersdorf komme, denkt der sofort an die Nazis“, sagt er, „dabei gibt es die und auch diese Heimgegner-Gruppen fast überall in Berlin.“

Linken Gegenprotest zu organisieren ist in Hellersdorf allerdings oft schwieriger als etwa in Kreuzberg, das wissen auch Barbara und Robert. „An der Alice-Salomon-Hochschule gibt es viele politisch interessierte Studis“, sagt Barbara, „aber kaum einer von denen wohnt in Hellersdorf und will sich hier längerfristig engagieren.“ Auch Robert will den politischen Gruppen aus der Innenstadt keinen Vorwurf machen. „Die stecken halt alle in ihren eigenen Geschichten drin“, sagt er. Trotzdem sei es manchmal ein komisches Gefühl, „wenn sich in der Innenstadt die Leute dafür feiern, dass sie gerade einen Naziaufmarsch verhindert haben, und die gleichen Nazis dann halt in Adlershof oder Hellersdorf marschieren, und keinen interessiert’s“. Seit Kurzem gebe es deswegen Vernetzungstreffen zwischen verschiedenen politischen Gruppen und jugendkulturellen Einrichtungen aus Bezirken außerhalb des S-Bahn-Rings, um sich bei solchen Problemen zu unterstützen.

Die Ereignisse in Hellersdorf vor einem Jahr haben beide verändert: „Im Asta haben wir früher eigentlich nur klassisch hochschulpolitisch gearbeitet“, sagt Barbara, erst jetzt würden sie sich verstärkt mit Antirassismus wie auch ihrem Hellersdorfer Standort befassen. Das La Casa wiederum habe deutlich an Bekanntheit und Popularität gewonnen, sagt Robert, „es kommen jetzt auch mehr Leute zu uns, die mit linker Politik vielleicht gar nicht so viel am Hut haben und einfach nett ein Bier trinken wollen.“

Antirassistische Aktionswoche 25.–30. August in Hellersdorf, Info:
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