Volkswirtschaftler über die Zinssenkung: „Minizinssenkung bringt nichts“

Der konservative Ökonom Manfred Neumann hält die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank für Aktionismus – hat aber auch „keinen Patentvorschlag“.

Die EZB in Frankfurt am Main greift wieder mal zur Zinssenkung. Bild: dpa

taz: Herr Neumann, die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinsen um 0,1 Prozent gesenkt. War das richtig?

Manfred Neumann: Die Minizinssenkung bringt nichts. Das ist nur Aktionismus zur Beruhigung des Publikums. Die EZB steckt in einem Dilemma. Sie weiß nicht, wie sie die Geldmenge erhöhen kann, um die Inflation etwas anzukurbeln. Deswegen hat die EZB jetzt noch einmal angekündigt, dass sie den Banken Kreditpakete abkaufen will, in denen Unternehmenskredite gebündelt sind. Aber die Frage ist: Wer trägt das Risiko, wenn diese Darlehen ausfallen und nicht zurückgezahlt werden? Geht das zulasten der Banken, die die faulen Kredite vergeben haben? Oder haftet die EZB und damit der Steuerzahler?

Das Hauptproblem dabei ist doch: Die Banken schwimmen im Geld. Warum sollten sie Kredite an die EZB verkaufen, um noch mehr Geld zu haben?

Klar, die Banken würden die Kredite nur verkaufen, wenn sie einen Extragewinn machen, weil die Europäische Zentralbank zu viel bezahlt.

Könnte man sich den Umweg über die Banken nicht sparen, indem die EZB Staatsanleihen der Euroländer aufkauft?

Dann könnte man wie 1923 die Geldmenge beliebig ausweiten, weil es genug Staatsanleihen gibt. Aber wie Sie wissen, ist die indirekte Staatsfinanzierung laut Maastricht-Vertrag verboten.

Man könnte die Vorschriften kreativ auslegen.

Das sehe ich nicht.

Sie klingen recht froh darüber.

Ja, denn in der Politik gibt es zu viele Tunichtgute. Für sie ist das Leben viel leichter, wenn sie ihre Programme durch Verschuldung finanzieren dürfen statt solide über Steuern.

Eine Mega-Inflation wie 1923 ist nirgends zu sehen. Die US-Notenbank Fed hat seit der Finanzkrise 2008 etwa 3,4 Billionen Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Trotzdem kam es nicht zur Geldentwertung. Warum sollte dies nicht auch in der Eurozone funktionieren?

Die Geldpolitik in den USA hat wenig gebracht. Die Banken horten 2,6 der 3,4 Billionen US-Dollar unbeschäftigt auf Konten der Fed.

Der 73-Jährige ist emeritierter Volkswirtschaftsprofessor der Universität Bonn. Bereits 1992 hat er ein eurokritisches Manifest unterzeichnet. Auch die bisherigen Rettungsmaßnahmen der EZB lehnt er ab.

Immerhin haben die Vereinigten Staaten keine Deflation wie die Eurozone.

Aber das liegt nicht an der Geldpolitik. Die Zinssätze der EZB lagen schon länger fast bei null. Trotzdem lahmt Südeuropa, egal, was die EZB anstellt. Die Keynesianer haben recht: Im Grunde braucht es einen Nachfrageschub.

Ich hätte nicht gedacht, dass Sie jemals sagen würden, dass die Keynesianer recht haben.

Moment mal. Ich habe nicht gesagt, dass sie generell richtigliegen. Aber es stimmt, dass die Eurozone sich in einer Art „Liquiditätsfalle“ befindet. Die Banken schwimmen im Geld, aber sie vergeben kaum noch Kredite, weil sie Angst vor dem Risiko haben. Gleichzeitig wollen viele Firmen und Privatleute keine neuen Darlehen, weil die Wirtschaft stagniert.

Okay, wir sind uns einig: Der Staat muss für Nachfrage sorgen. Was schlagen Sie vor?

Der Süden muss Reformen konsequent verfolgen und Investitionen fördern. Aber auch Deutschland muss seine Infrastruktur ausbauen.

Aber im Grundgesetz steht eine Schuldenbremse, die Sie befürwortet haben. Wo soll das Geld herkommen?

Eins zu eins durch Kürzen der konsumptiven Ausgaben. Also zum Beispiel die Zahl der Staatsdiener reduzieren.

Hochschullehrer wie Sie gehören dazu. Also weg mit einigen Volkswirtschaftsprofessoren?

(lacht) Da hätte ich nichts gegen, ich bin ja schon emeritiert.

In den Euro-Krisenländern sind viele Menschen arbeitslos; die Jugend hat keine Chance. Was schlagen Sie da vor?

Ich fürchte, dass ich keinen Patentvorschlag habe. Als Angebotstheoretiker setze ich auf Reformen von Arbeitsmärkten und Berufsausbildung. Ansonsten muss man warten, bis die Arbeitskosten so weit runtergegangen sind, dass sich die Lage wieder stabilisiert. Sehen Sie sich Spanien an. Die Wirtschaft schrumpft nicht mehr.

Aber die Arbeitslosenquote in Spanien liegt momentan bei etwa 25 Prozent.

Studien zeigen, dass jede Finanzkrise etwa zehn Jahre dauert. Wenn man ins Wasser rutscht, wird man erst einmal nass, bevor man wieder ans trockene Ufer krabbeln kann.

Haben Sie nicht die Sorge, dass dieses Verarmungprogramm dazu führt, dass sich die Menschen radikalisieren und Rechtspopulisten wählen?

Es geht um dauerhafte Gesundung, nicht um Verarmung. Man muss die Marktkräfte wirken lassen, aber die Politik erklären. Leider: Blut, Schweiß und Tränen sind unumgänglich.

Sie sind der Doktorvater von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Es kursiert das Gerücht, dass er der nächste EZB-Chef werden will. Stimmt das?

Keine Ahnung. Wer würde es nicht wollen, wenn er an seiner Stelle wäre? Jens Weidmann ist jemand, der nicht aufsteckt, wenn er Kritik erfährt. Er hat eine gewisse Härte, obwohl er nach außen ausgleichend wirkt. Das ist seine Stärke.

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