CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Pragmatischer Fundamentalist

Peter Tauber soll die CDU jünger machen und dynamischer. Und dabei nicht das konservative Profil der Partei infrage stellen.

Mann an Merkels Seite: Generalsekretär Peter Tauber mit der Kanzlerin. Bild: dpa

Am Ende des Gesprächs bin ich überrascht, als Peter Tauber Martin Luther als eines seiner Vorbilder nennt: Dessen bedingungsloses Festhalten an Prinzipien sei imponierend – gerade wenn man, wie er, Pragmatiker sei. Auch die Politiker, die er als vorbildlich empfindet, sind in mancher Hinsicht überraschend.

Tauber hebt, obwohl er nicht in allen Punkten mit ihm einverstanden ist, Roland Kochs analytische Fähigkeiten hervor und lobt Alfred Dreggers feine, geradlinige Art. Und, natürlich, seine Parteivorsitzende. Eine seltsam heterogene Riege von role models.

Was für ein Bild ergibt sich daraus von einem, der sich vorher als evangelischer Christ und Patriot geoutet hat, der offen sagt: „Ich liebe mein Land“? Dass der Offizier der Reserve bei Fragen wie dem Paragrafen 218 oder der Sterbehilfe sehr konservative Positionen vertritt, ist bekannt. Ja, und rundet es nicht den Gesamteindruck ab, dass er vor seiner Wahl in den Bundestag Pressesprecher einer großen Vermögensberatung war?

Alles passt: ein perfekter Christdemokrat! Wer sonst könnte auch die Position des obersten Parteimanagers bekleiden? Das Amt des Generalsekretärs ist das zweitwichtigste nach dem der Vorsitzenden. Hier sind zupackende, pragmatische Fundamentalisten gefragt.

Regierung und Opposition debattieren über ein neues Prostitutionsgesetz. In der taz.am wochenende vom 6./7. September 2014 streiten ein Streetworker, ein Freier und eine Prostituierte. Außerdem: Unsere Autorin hat eine Woche in einem Dorf in Mittelhessen verbracht. Ein reales Theaterstück. Und: Wie der Fotograf Kieran Dodds den Stolz rothaariger Schotten entdeckte. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Als mich Peter Tauber, der Überraschungsmann im Team Merkel, in seinem lichtdurchfluteten Berliner Büro begrüßt, treffe ich auf einen freundlichen jungen Mann mit der Ausstrahlung eines Schulsprechers. Nicht unbedingt der eines Profipolitikers und schon gar nicht eines klassischen Christdemokraten. Mit Glatze, Dreitagebart und Nerdbrille verbreitet er die Aura eines postmodernen Intellektuellen: multikompatibel, beweglich, schnell, irgendwie „überfraktionell“.

Tauber, promovierter Historiker, würde an einer Universität gewiss weniger auffallen als hier im CDU-Hauptquartier. Er sieht jünger aus als 40, zu seinen Lieblingswörtern gehört „cool“, und das ist er auch selbst: ein Jeanstyp, der, so scheint es, aus Versehen im Anzug gelandet ist. Zugleich geht etwas Bodenständiges, beinahe Naives von ihm aus. Vielleicht liegt es am kindlichen Timbre seiner Stimme, dass ich in ihm ein starkes Harmoniebedürfnis vermute.

Männer fürs Grobe

Schwer vorstellbar jedenfalls, mit ihm Streit zu haben. Streiten könnte man indes darüber, ob er das richtige Profil für den Job eines Parteimanagers hat. Sind das nicht traditionell jene legendären Männer fürs Grobe, die lange Zeit die politische Szene in der Bundesrepublik geprägt und beherrscht haben? Zumal die Hessen-CDU, aus der er kommt, stets das Bild des Kantholzkonservativen mit schroffer Abgrenzungsgestik nach links gepflegt hat.

Peter Tauber dagegen ist mit dem hessischen Grünenchef Tarek al Wazir per du, und der alte Sozi-Bürgermeister seiner „roten“ Heimatgemeinde, gegen den er als achtzehnjähriger Stadtverordneter Opposition machte, ist mittlerweile sein Freund. Demnächst wird er zu seiner Verabschiedung fahren. Tauber – ein Mann ohne Misere? Einer, der es versteht, Unvereinbares zusammenzubringen?

Tatsächlich gehört diese Fähigkeit gewissermaßen zu seiner Jobbeschreibung. Der Auftrag ist so klar wie kompliziert: Er soll die CDU jünger, moderner und dynamischer machen, ohne das Image einer konservativen Partei infrage zu stellen. Was, frage ich ihn, ist denn heute konservativ?

Erwartungsgemäß fallen Wörter wie Verantwortung und Freiheit – schließlich war Peter Taubers politisches Schlüsselerlebnis der Mauerfall. Da war er 16, und er spürte, hier geschah vor seinen Augen etwas Historisches, etwas, das zu politischem Engagement aufforderte. Er trat in die Junge Union ein. Was ihn angesichts dieses Erlebnisses von Freiheitswillen heute stört, ist der übergroße Wunsch der Deutschen nach Sicherheit – die möglichst gratis vom Staat geliefert werden soll. Verantwortung, das heißt für ihn in allererster Linie auch, sich um sich selbst zu kümmern.

Er jammert nicht

Taubers Definition des Konservativen ist bestechend schlicht: Für ihn sei „konservativ“ vor allem eine Haltung, die Sichtweise, „sich die Welt anzuschauen, ohne beleidigt zu sein, dass sie so ist, wie sie ist“, um herauszufinden, „was ist gut und soll so bleiben, was sich ändern, damit das, was gut ist, so bleiben kann“. Mit dem Gejammer altkonservativer Kreise kann er nichts anfangen. Schließlich geht es um ein neues Profil der Partei.

Warum, fragt er, hat die CDU bei der letzten Bundestagswahl in praktisch allen Wählergruppen mit Ausnahme der Arbeitslosen gewonnen – und bietet ihnen trotzdem keine wirkliche politische Heimat? Wieso gibt es zu wenige Frauen, Junge und Zuwanderer in der Partei? Und weshalb hat die vielleicht umstürzendste aller aktuellen Veränderungen, die digitale Revolution, immer noch zu wenig Platz in ihrer Agenda? Er hat diesen Kanon seit seinem Amtsantritt in Dutzenden von Interviews und Stellungnahmen heruntergebetet, aber es gelingt ihm, sie wie überraschende Neuigkeiten zu präsentieren.

Keine Frage, Peter Tauber ist ein Mensch mit Gespür für Themen, die er mit kommunikativem Geschick zu verkaufen versteht. Unser Gespräch läuft leicht, wie auf Schienen. So wie Taubers politische Karriere. Er erzählt von den glücklichen Zufällen, die ihn vorangebracht haben – bis hin zu der Tatsache, dass er „Quotenhesse“ ist. Er mache sich da nichts vor. Aber er gebe sich, gleichgültig wo er gefordert werde, immer Mühe.

Do or do not, there is no try, zitiert er den weisen Zwerg Yoda aus „Star Wars“: das Lieblingszitat aus seinem Lieblingsfilm; ein Lego-Modell des Raumschiffs ziert seinen Schreibtisch. „Also sind Sie ein zupackender Mensch?“ Zum ersten Mal spüre ich bei ihm eine Irritation. Ja –. Aber da sei auch noch eine andere Seite, etwas Zögerliches in seinem Wesen. Wo?

Das lange Schweigen

„Supergute Frage“, sagt er – und versinkt ins längste Schweigen, das ich im Interview mit einem Politiker je erlebt habe. Für einen Moment scheint es, als würde das Licht im Zimmer gedimmt. Die Antwort kommt leise: „Manchmal, wenn’s um mich geht.“ Mit persönlichen Entscheidungen tue er sich schwer, im Privatleben neige er dazu, Dinge aufzuschieben. „Mach mal hinne“, würden ihn seine Geschwister dann mahnen.

Familie ist für Peter Tauber ein zentrales Thema. Wenn er von seiner erzählt, kommt ein schwärmerischer Ton in die Stimme. Im Elternhaus, zu dem er weiter engen Kontakt pflegt, würde traditionell viel gestritten, und trotzdem würden „sich alle lieb haben“. Der Vater, ein Sozialdemokrat, hatte nie ein Problem mit der Entscheidung seines Sohns für die Union. Es gab und gibt „eine Loyalität, die gar nichts mit dem Inhalt zu tun hat – das ist superschön, ein Supergefühl.“

Wenn der Parteimanager mit beinahe kindlicher Freude über die Familie als Ort des Rückzugs und der Rekreation redet, umweht ihn das Flair heiler Konservativenromantik. Aber im gleichen Atemzug macht er sich für die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften stark – inklusive Adoptionsrecht. Wenn Vertrauen, Zusammenhalt und das Wohl der Kinder gegeben ist, sei alles andere nachgeordnet. Konservativ?

Und wie steht es mit seinem Wunsch nach Familie und Kindern? Ja, natürlich. Und wann? Der dynamische junge Mann der CDU wird kein junger Vater mehr werden können: Er ist jetzt 40. Gehört das vielleicht auch zum Aufgeschobenen? Zum zweiten Mal erlebe ich den Dimmeffekt: Taubers Stimme wird schmal. Er stimmt zu, mit fühlbarem Unbehagen. Plötzlich bewegen wir uns auf dünnem Eis, offenbar habe ich einen persönlichen Konflikt berührt. Und alles Konflikthafte scheint bei ihm auf „leise“ gestellt. Er sähe sich schon als guten, engagierten Vater, wenn es auf ihn zukomme. Wann? „Das kann ich nicht sagen.“

Bei dieser wichtigen Lebensentscheidung wird eine Passivität kenntlich, die man in seinem politischen Leben vergeblich suchen wird. Ein Spalt tut sich auf. Als Tauber versucht, aus dem Thema auszusteigen, merke ich, wie leicht es ist, sich in seiner charmanten Freundlichkeit zu verlaufen. Mühelos schwenkt er vom aktuellen Problem der Familiengründung auf die Herkunftsfamilie. Er erzählt so, als würde er sich selbst als Kind betrachten und in der Rolle des Beobachters zugleich den aktiven Part übernehmen.

Mit doppelter Perspektive

Ich staune über den Spagat, der diese doppelte Perspektive ermöglicht – und bin nicht mehr überrascht, als er davon spricht, wie er sich in seiner ersten Legislaturperiode, als er noch nicht im Rampenlicht stand, selbst genau daraufhin beobachtet habe, ob ihn die neue Situation verändere.

Peter Taubers Stärke liegt in seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion und -beobachtung, die er mit der ungewöhnlichen Gabe einer instrumentellen Naivität verbindet. Seine kommunikative Kompetenz kann Türen öffnen und Verbindungswege offenhalten, die beim alten Führungsstil längst versperrt wären. Es bleibt die Frage, ob es gelingt, sein familiär fundiertes Konfliktlösungsverhalten ins Politische zu übertragen. Anders gesagt: Sein politisches Schicksal wird sich daran entscheiden, ob man eine Partei so harmonisch wie eine Familie führen kann.

Es wird zugleich ein Gradmesser für die Zukunft der CDU sein. Denn es sind Leute wie ihr neuer General, die für die überfällige Erneuerung stehen: Nicht nur in Stilfragen, sondern auch bei der schwierigen Aufgabe, dem konturschwachen Merkel-Pragmatismus neue programmatische Qualität zu verschaffen. Peter Tauber ist die Rolle des Reformators zuzutrauen. Bleibt, ihm zu wünschen, dass sie nicht auf das Feld der Politik beschränkt bleibt.

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