Versorgungslage der Palästinenser: Wirkliche Hilfe ist nicht in Sicht

Die ausgebombten Bewohner im Gazastreifen haben so gut wie keine Hoffnung auf einen baldigen Wiederaufbau. Strom gibt es nur für sechs Stunden.

Fast zwei Wochen nach dem Ende der 50-tägigen Kampfhandlungen sind im Gazastreifen über 100.000 Menschen obdachlos. Bild: dpa

GAZA taz | Seit Kriegsende kommt Amal Abu Nahel täglich zu ihrem Haus. Die Wände an zwei Hausfronten sind komplett weggebrochen, es gibt keine Türen, keine Fenster, nur Schutt. Die 45-Jährige ist gleich am ersten Tag der israelischen Bodenoffensive im Juli ausgebombt worden.

Die Trümmer des Gebäudes, das einst rund 100 Menschen beherbergte, können nur noch abgerissen werden. Trotzdem fordert die Stadtverwaltung von Beit Lahiya, einer Kleinstadt ganz im Norden des Gazastreifens, die Leute dazu auf, wieder zurückzukehren. „Das ist absurd“, schimpft Abu Nahel. „Wir kommen her, um gegen die Stadtverwaltung zu protestieren und weil wir uns registrieren lassen wollen für den Wiederaufbau.“ Aber viel Hoffnung hat sie nicht, denn bis heute „hat noch keiner mit uns gesprochen“.

Fast zwei Wochen nach dem Ende der 50-tägigen Kampfhandlungen zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen, die über 100.000 Menschen obdachlos machten, ist Hilfe noch längst nicht in Sicht. Arabische und westliche Diplomaten beraten über die Finanzierung der dringenden Reparaturen, doch ohne eine politische Einigung zwischen den Palästinensern, Israel und Ägypten bleiben die Grenzen für die Einfuhr von Baumaterial geschlossen.

Am Sonntag beginnt das neue Schuljahr. Die meisten der Flüchtlinge übernachten in den Schulen der UNRWA (UN-Hilfe für palästinensische Flüchtlinge), in Kirchen und öffentlichen Lehranstalten. „Sie wollen uns wegschicken“, sagt Milabed Mussa, die wie ihre Nachbarin Abu Nahel in dem Straßenblock von sechs Häusern von Beit Lahiya lebte, die komplett oder teilweise zerstört wurden.

20 Wohnungen gab es in jedem der Gebäude, je mit drei Zimmern, die oft für zehn und mehr Menschen reichen mussten. „Wir gehen nicht weg“ aus der Schule, meint die 40-jährige Palästinenserin, die nur mit dem, was sie am Körper trug, fliehen konnte. Alles sei zerstört, viele Leute hätten die Eigentumswohnungen, von denen jetzt kaum etwas übrig ist, noch gar nicht abbezahlt. „Wenn sie uns aus der Schule vertreiben, landen wir auf der Straße.“

Tränengasbomben

Die Leute waren zu Hause, als die Panzerbombardierungen gegen 22 Uhr anfingen, berichtet Mussa. Von einer Vorwarnung will sie nichts gewusst haben, obschon ein anderer Nachbar meint, dass die Luftwaffe noch kurz vor dem Angriff Pamphlete über dem Viertel abgeworfen hat, um die Bombardierungen anzukündigen. Das gesamte Haus habe sich dann im untersten Stock versammelt, dann seien die ersten Tränengasbomben gekommen, die die Menschen zur Flucht zwangen. Verletzt oder gar getötet wurde so niemand, was Said Ahmad Shabad, der auch hier wohnte, als Zeichen dafür sieht, „dass hier keine Kämpfer waren“.

Israel sei es „nur um die Zerstörung“ gegangen. Shabad versteht es nicht, denn das Viertel sei bekannt als Fatah-Hochburg. Er selbst steht noch immer im Dienst der Gesundheitsministeriums der Autonomiebehörde in Ramallah, obschon er seit der Machtübernahme der Hamas 2007 im Gazastreifen nicht mehr arbeitet.

In der Ruine, die einst seine Küche war, liegen noch Kinderschuhe und eine zerrissene Decke. Zwei seiner Söhne standen kurz vor ihrer Hochzeit, berichtet der 60-jährige Ingenieur. „Sie sollten hier einziehen, jetzt haben wir nichts mehr.“ Die Hamas habe auch ihm ein Überbrückungsgeld von 2.000 Dollar gezahlt, trotzdem ist er nicht gut auf die Islamisten zu sprechen.

„Bei diesem Krieg ging es nicht um den Widerstand“, schimpft ein anderer Nachbar, der auf keinen Fall namentlich genannt werden will. Hier sei es „nur um Geld“ gegangen. Ein von Beginn des Raketenbeschusses erklärtes Ziel der Hamas war die Auszahlung der seit Monaten ausstehenden Gehälter für die Bediensteten des Verwaltungs- und Sicherheitsapparates in Gaza. „Ich hoffe auf Frieden und eine Öffnung der Grenzen“, sagt Shabad, für den Import von Baumaterial genauso wie für den Personenverkehr. Früher „konnten über 100.000 Männer aus Gaza in Israel arbeiten.“ Am Ende werde es auch im Gazastreifen einen See- und einen Flughafen geben, doch bis dahin werde noch viel Zeit vergehen.

Fatah-Polizisten jagen Hamas-Mitglieder

Die Hindernisse sind riesig. Die Palästinenser sind sich noch nicht einmal untereinander einig darüber, wie eine Lösung aussehen soll. Beide Fraktionen wollen nicht von der Macht lassen. Aus Sorge vor einem geplanten Putsch im Westjordanland jagen Fatah-Polizisten erneut Hamas-Mitglieder. Umgekehrt halten im Gazastreifen die Hamas-Kämpfer ihre innenpolitischen Gegner mit harter Hand in Schach. Ohne Einigung können jedoch die Fatah-Grenzer nicht wieder auf Posten gehen.

Israel und Ägypten machen es zur Bedingung, dass die „Force 17“-Truppe von Präsident Mahmud Abbas die Kontrolle an den Grenzübergängen übernimmt, bevor die Blockade gelockert wird. „Es wird eine Schlichtung geben“ zwischen Fatah und Hamas, ist Shabad überzeugt. „Das Volk wird die Fraktionen dazu zwingen.“

Zement ist derzeit die wertvollste Ware. Die Steine aus den vielen zerstörten Gebäuden könnten zertrümmert und neu zu Betonblöcken verarbeitet werden, doch ohne Zement geht auch das nicht. Dem Chef der Stromverteilungsgesellschaft GEDCo (Gaza Electricity Distribution Company), Fathi al-Sheikh Khalil, bangt es vor dem nahenden Winter.

Zerstörte Transformatoren

Allein an der Infrastruktur des Stromnetzes in Gaza hat der Krieg einen Schaden von 45 Millionen US-Dollar angerichtet. Fast überall im Gazastreifen sind Transformatoren und Kabel zerstört worden, und „die, die es noch gibt, müssten auch ersetzt werden“. Dazu kommt der Schaden an dem einzigen Elektrizitätswerk im Gazastreifen, das bis zum Krieg rund 40 Prozent des Bedarfs deckte, nun aber schon über Wochen komplett still liegt. Die beiden Tanks mit jeweils einer Million Liter Öl sind zerstört.

Schon vor dem Krieg hatten die Palästinenser nur jeweils für maximal zwölf Stunden Strom am Tag, „heute sind es nur noch sechs“, sagt Khalil. Im Winter verdoppele sich der Verbrauch erfahrungsgemäß, „wenn wir Glück haben, bleiben den Leuten dann noch drei Stunden pro Tag“ mit Strom, vorausgesetzt die derzeit noch halbwegs intakten Leitungen halten Kälte und Nässe aus.

Khalil rechnet mit einer humanitären Katastrophe, denn nur mit regelmäßiger Stromversorgung können die Menschen Frischwasser aus den Brunnen pumpen. Genauso ist für die Entsorgung von Abwasser Strom unabdingbar. „In Gaza waren schon im letzten Jahr ganze Straßenzüge mit Abwasser überschwemmt. In diesem Winter kann es nur schlimmer werden.“

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