Homosexualität im Islam: Der Imam, der Männer liebt

Muhsin Hendricks ist schwul, praktizierender Muslim und Imam. Offen mit seiner Sexualität umzugehen, ist für ihn ein religiöses Gebot.

Heiratete eine Frau, um es wenigstens versucht zu haben: Imam Muhsin Hendricks. Bild: Jannis Hagmann

BERLIN taz | Geht das überhaupt zusammen? Schwul und muslimisch? Für die meisten Muslime und die breite Mehrheit islamischer Gelehrter steht fest: Homosexualität ist widernatürlich, gleichgeschlechtlicher Sex gar eine Sünde. Im Iran, in Saudi-Arabien, in Nigeria wird er bestraft – teils mit dem Tode.

Dass Homosexuell- und Muslimischsein durchaus vereinbar, ja gar nicht erst widersprüchlich ist, zeigt Muhsin Hendricks. Vielleicht sind es die vielen Anfeindungen, denen der Imam im Lauf seiner Karriere ausgesetzt gewesen ist, die ihn eine solche Ruhe ausstrahlen lassen, als er sich am Montagabend den Fragen des Publikums stellt. Die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin hatte den Südafrikaner eingeladen, um seinen Dokumentarfilm über queere Muslime zu diskutieren.

„Al-Fitrah“, fragt eine Zuhörerin, was denn der Name des Films übersetzt heiße? „Natur“, erklärt Hendricks, „die Art, wie Gott den Menschen erschaffen hat.“ Alles, was ein Muslim tue, müsse mit seiner fitrah übereinstimmen. Es sei im Islam daher nicht nur akzeptabel, sondern geboten, mit seiner eigenen Sexualität und der anderer offen umzugehen. „Du kannst kein guter Muslim sein, wenn du zu dir selbst nicht ehrlich bist.“

Was es bedeutet, sich selbst zu betrügen, hat Hendricks persönlich erfahren. Der gesellschaftliche Druck sei so stark gewesen, dass er eine Frau geheiratet habe. „Ich wollte es wenigstens probieren“, sagt er. Die Ehefrau wusste Bescheid, war aber verliebt und spielte mit.

Die Ehe hielt sechs Jahre, bevor sie schließlich doch zerbrach – und Hendricks mit seiner Sexualität an die Öffentlichkeit ging. Heute unterstützt der 47-Jährige mit seiner Organisation The Inner Circle nicht nur homosexuelle Muslime, sondern queere Glaubensbrüder und -schwestern allgemein.

Sodom und Gomorra

Hendricks, der in Pakistan Islam studierte und auf eine klassische Imam-Ausbildung zurückblicken kann, ist überzeugt: Wer sich intensiv mit den Quellen des Islams beschäftigt, wird feststellen, dass Homosexualität im Islam keinen eindeutigen Status hat. Meist werde die auch im Koran erwähnte biblische Geschichte von Sodom und Gomorra herangezogen, um sexuelle Orientierungen jenseits der Heterosexualität zu delegitimieren. Wenn Gott Homosexuelle bestraft, wie kann sexuelle Selbstbestimmung dann mit dem Islam vereinbar sein?

Der Dokumentarfilm „Al-Fitrah – The Dilemma of Negotiating Sexual Identity and Faith“ (ca. 45 min) ist erhältlich auf der Website der Organisation The Inner Circle.

Diese Frage aber stelle sich gar nicht, argumentiert Hendricks: Nichts lasse darauf schließen, dass Gott Sodom und Gomorra zerstörte, weil die Bewohner gleichgeschlechtlichen Sex hatten. Vielmehr hätten die im Koran als „Leute von Lot“ bezeichneten Menschen eine Vielzahl an Sünden begangen, sie hätten gegen das Gebot der Gastfreundschaft verstoßen, andere ökonomisch ausgebeutet und vergewaltigt. Es gehe nicht primär um Homosexualität. „Wir können nicht einfach nur einen Vers des Korans zitieren, denn jeder Vers hat einen Grund der Offenbarung, und jede Geschichte einen Hintergrund.“

Dass Hendricks zwar als Imam und Gelehrter, nicht aber als queerer Muslim eine Ausnahme ist, machen die zahlreichen Wortmeldungen aus dem Publikum deutlich. Im deutschen Kontext, der stark von Islamophobie geprägt sei, sei es sehr schwierig, die Identitäten „muslimisch“ und „lesbisch“ zu vereinbaren und sich gegen die Anfeindungen aus den unterschiedlichen Lagern zu verteidigen, kommentiert eine Zuhörerin aus Berlin. „Dank Gott“, sagt sie, „dass es einen Imam gibt, der schwul ist und mit dieser Arbeit angefangen hat.“

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