Haus aus Naturmaterialien: Es ist Stroh, Mann

In Niedersachsen wurde Europas größtes Haus aus Strohballen errichtet. Das Baumaterial wächst in der Region und dämmt gut.

Das Strohhaus ist stabil. Wirklich. Bild: Library of Congress/Wikimedia Commons

VERDEN taz | Gerade ist der erste Mieter im Strohballenhaus eingezogen, ein Steuerberater. Er kann jetzt aus den dreifachverglasten Fenstern auf die Artilleriestraße im niedersächsischen Verden schauen. Oder auf den benachbarten Sportplatz, wo American Football gespielt wird und die Feuerwehr an den Wochenenden oft zur Übung ihre Schläuche ausrollt. Hinten wird noch am Eingang des fünfgeschossigen Hauptgebäudes gewerkelt, die Beete und Grünflächen sind auch noch nicht ganz fertig.

Das Gebäudeensemble, weiß, gelb und rot angestrichen, sieht auf den ersten Blick aus wie ein gewöhnliches Bürohaus. 1.800 Quadratmeter Nutzfläche, große und teilweise bodentiefe Fenster mit anthrazitfarbenen schmalen Rahmen, flache Dächer, glänzende Regenrinnen. Aber die Häuser strahlen auch etwas Ruhiges und Zurückhaltendes aus, das nicht nur an den gedeckten Farben des Kalkputzes liegt. Geht man näher ran, fallen die abgerundeten Ecken auf. Dass das Gebäude nur aus Strohballen und Holz besteht, sieht man nicht.

„Strohballenhäuser sind per se angenehme und hoch gedämmte Häuser“, sagt der Bauingenieur Burkhard Rüger. Die Wände würden nicht kalt und Schimmelgefahr bestehe bei der richtigen Verarbeitung auch keine. Rüger sitzt im Vorstand des Fachverbands Strohballenbau Deutschland (Fasba), der auch in das neue Strohballenhaus einziehen wird: in das Norddeutsche Zentrum für Nachhaltiges Bauen.

Ein Projekt, das seit 2011 mit EU-Mitteln in Höhe von 4,4 Millionen Euro gefördert wird und die Schnittstelle für nachhaltiges Bauen in Norddeutschland sein will. Im Strohballenhaus werden Handwerker, Architekten und Planer versammelt sein und auch Fachverbände wie der Fasba, der Anfang der 2000er Jahre die erste bauaufsichtliche Zulassung für Strohballen erstritten hat. Wer künftig aus Stroh oder auch Lehm ein Haus bauen will, soll hier alle Kompetenzen gebündelt finden, so die Idee. Träger ist das Ökologische Zentrum Verden. Ein Verein, der seit 1996 besteht und dem das Gelände hier gehört. Die Nichtregierungsorganisationen Campact und Attac sind die beiden bekanntesten Mieter.

Das Haus in Verden soll zeigen, dass man mit Stroh auch große Bürogebäude bauen kann. Bisher gab es in Europa kein Strohballenhaus mit mehr als drei Geschossen. Zugute kommt dem Bauherren nun, dass es seit Juli dieses Jahres keine Sondergenehmigung mehr braucht, um die Strohballen direkt zu verputzen. Jetzt kann der abschließende Lehm- oder Kalkputz einfach direkt auf die Strohballen aufgetragen werden – auch zusätzliche Holzplanken sind nun nicht mehr nötig. „Das macht die Strohballenhäuser noch günstiger“, sagt Rüger.

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Idealer CO2-Speicher

Aber für ihn ist das Kostenargument ohnehin keines, das gegen Stroh spricht. Denn ein Einfamilienhaus aus Stroh koste in der Herstellung auch nicht mehr als eines aus Stein. Die graue Energie jedoch, also all jene Energie zur Herstellung, Lagerung oder dem Transport des verwendeten Materials, liege beim Strohballenhaus „um den Faktor 1.000 geringer als beim herkömmlichen Haus“, sagt er. „Außerdem sind Holz und Stroh ideale CO2-Speicher.“

Das fünfstöckige Haus in Verden sei nur wegen der vielen Auflagen für ein Bürogebäude etwas teurer als ein konventioneller Bau. Dafür wird es kaum Verbrauchskosten geben, denn das Gebäude soll mit einer Fotovoltaikanlage mehr Energie erzeugen, als es braucht. „Und so ein Haus aus Stroh ist mit guten Fenstern und gekonnter Lüftung nah am Passivhaus“, sagt Rüger. Sollte es einmal nicht mehr gebraucht werden, kann der Abrissschutt leicht entsorgt werden. Auch bei einem Feuer schneidet das Strohballenhaus überraschend gut ab. In Braunschweig haben sie in der Materialprüfanstalt eine verputzte Strohballenwand angezündet. Eine halbe Stunde hielt sie stand, genauso lang wie es Standard ist für ein herkömmliches Einfamilienhaus.

Die Idee, aus Stroh Häuser zu bauen, kommt aus dem US-Bundesstaat Nebraska. Dort pressten Wanderarbeiter Anfang des 19. Jahrhunderts Heu und Stroh zu Blöcken zusammen und bauten Hütten draus. Mit der Ölkrise Mitte der 1970er kam diese Technik wieder etwas in Mode, und heute stehen rund 14.000 Strohballenhäuser in den USA. Deutschland nennt Rüger hingegen das Aschenputtelland des Strohballenbaus. In Deutschland wisse er von etwa 250 bis 300 Strohballenhäusern. In Frankreich etwa seien es schon mehr als 7.000. „Wir wollen, dass sich diese Bauweise bei uns verbreitet“, sagt er.

Das Strohballenhaus in Verden ist ihr Vorzeigeprojekt. Im Herbst 2013 haben sie mit dem Aushub des Kellers begonnen. „Der Keller besteht natürlich aus Ziegeln“, sagt Rüger. Aber der Rest ist aus Holz und Stroh, denn Stroh wächst in der Region, ist günstig und dämmt sehr gut. „Die Bauweise ist einfach und erinnert ein wenig an ein Fertighaus“, sagt Rügen. Die Holzelemente werden in der Zimmerei vorgefertigt. In die fertigen Träger wird das unbehandelte Stroh eingebettet und verputzt, innen mit Lehm, außen mit Kalk. Wichtig sei, dass das Stroh gar nicht erst mit Wasser in Verbindung komme, sagt Rüger. Das Strohballenhaus in Verden wurde während der Bauphase darum zehn Monate mit einer Folie vor Regen geschützt. Dann hält so ein Haus 100 Jahre und länger.

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