Missstände in privaten Flüchtlingsheimen: „Es geht hier um Steuergelder“

Was tun gegen Vetternwirtschaft und Mängel in privat betriebenen Heimen? Ein Streitgespräch mit Canan Bayram (Grüne) und Ülker Radziwill (SPD).

Praktisch und quadratisch, aber nicht immer gut. Bild: dpa

taz: Frau Bayram, bei der ersten Sitzung zu den Vorwürfen an Lageso-Chef Allert haben sich SPD- und Grünenabgeordnete angebrüllt. Nach der bislang letzten haben Sie Ihre SPD-Kollegin Radziwill ausdrücklich gelobt – wofür?

Canan Bayram: In der letzten Sitzung konnten endlich die Fragen gestellt werden, die wir Abgeordneten stellen müssen. Es ist unsere Aufgabe, die Vorwürfe an Allert aufzuklären. Da sollte auch die Koalition mitziehen.

Frau Radziwill, wie kommt so ein Lob bei Ihnen an?

Radziwill: Auch die SPD fordert Aufklärung. Wir wollen aber keine Vorverurteilung. Es gab Aussagen der Opposition, die eine solche enthielten. Deswegen wurde hart argumentiert. Bei der letzten Sitzung ging es sachorientierter und weniger polemisch zu. Das erleichtert die Aufklärung, um die es – da bin ich mit Frau Bayram einig – uns allen gehen muss.

Bei der letzten Befragung im Sozialausschuss hatten Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und Lageso-Chef Allert aber ziemlich große Gedächtnislücken.

Radziwill: Den Eindruck hatte ich nicht. Wir haben auf unsere Fragen Antworten bekommen.

Bayram: Auf viele meiner Fragen hat Czaja keine Antwort geben können. Er hat sie an Herrn Allert weitergegeben, den ich als befangen betrachte. Er müsste sich wenigstens temporär von seiner Aufgabe zurückziehen und damit ermöglichen, die Vorwürfe aufzuklären.

Da geht die SPD nicht mit, oder?

Canan Bayram

Jahrgang 1966, ist flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus. Bis 2009 gehörte sie der SPD-Fraktion an.

Jahrgang 1966, ist sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Radziwill: Es stehen zwei Vorwürfe im Raum, die wir nicht miteinander vermischen dürfen: einerseits der Vorwurf der Bevorteilung einer Firma, deren Geschäftsführer Allerts Patensohn ist. Nach eigener Aussage hat Allert am selben Tag, als er seinen Patensohn als Vertreter der Betreiberfirma in einer Flüchtlingsunterkunft getroffen hat, dies seiner Behörde mitgeteilt. Wir haben bisher keinen Anlass, diese Antwort für unglaubwürdig zu halten. Der zweite Vorwurf ist der der Qualitätsmängel in Heimen privater Betreiber. Da sagen wir auch: Wir wollen das umfassend aufklären.

Fast alle Betreiber von Unterkünften haben aufgrund der steigenden Zahl von Flüchtlingen ihren Bestand in den vergangenen zwei Jahren vergrößert – aber keine so sehr wie die Firma Gierso, für die Allerts Patensohn arbeitet. Auch die wegen Qualitätsmängeln in der Kritik stehende Pewobe hat viele neue Aufträge bekommen – teils anfänglich ohne schriftlichen Vertragsabschluss. Das Lageso begründet das mit der Dringlichkeit der Öffnung neuer Heime – zieht das Argument?

Bayram: Diese Dringlichkeit ist Folge früherer Versäumnisse – und schafft nun die Möglichkeit, solche Machenschaften zu begründen. Es fand teils eine Vergabe statt, die nach meiner Ansicht mit unseren Haushaltsgrundsätzen nicht zu vereinbaren ist. Es gab Auftragserteilungen, ohne dass wesentliche Vertragsbestandteile ausgehandelt waren. Das halte ich für einen Verstoß gegen die Landeshaushaltsordnung. Ob es noch weitere Verstöße gibt, müssen wir klären. Es geht hier um Steuergelder, und es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete, das zu kontrollieren. Wir sind der Haushaltsgesetzgeber und müssen nachprüfen, ob jeder Cent, den wir ausgeben, da ankommt, wo er ankommen soll. Daran habe ich im Moment Zweifel, und je mehr ich mich damit beschäftige, desto größer werden die.

Radziwill: Das Landesamt vergibt Mittel nach den entsprechenden Grundsätzen, und das sehr ordentlich. Uns sind bisher dabei keine starken Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Aber man muss natürlich regelmäßig hinschauen. Die Zahl der Flüchtlinge in Berlin steigt und sie wird das weiter tun. Wir haben den humanitären Auftrag, ihnen schnell Unterstützung und damit auch Unterkünfte anzubieten. Wenn private Betreiber in dieser Notsituation schneller agieren können als andere, muss das Lageso in Verhandlungen treten und oft mangels anderer Angebote auch zugreifen. Natürlich muss darauf geachtet werden, dass die Betreiber die Standards einhalten. Nach meinem Eindruck ist dies in den meisten Heimen auch privater Betreiber der Fall. Ich denke, dass das System insgesamt so schlecht nicht ist. Dennoch plädieren wir mit Senator Czaja für einen Paradigmenwechsel in der Unterbringungspolitik. Wir wollen mehr landeseigene Immobilien nutzen. Und wir wollen mehr gemeinnützige Träger beauftragen.

Trotzdem hat die SPD nun mit dem Argument der Dringlichkeit der Unterbringung von Flüchtlingen in Containern und Tragluftzelten zugestimmt – obwohl Sie selbst das noch vor Kurzem abgelehnt haben.

Radziwill: Zelten haben wir nicht zugestimmt. Auch dauerhafte Unterkunft in Traglufthallen lehnen wir ab. Das ist in der SPD-Fraktion Konsens und wurde von Herrn Czaja auch akzeptiert. Was wir akzeptieren, ist die kurzfristige Unterbringung in einer solchen Halle in direkter Nähe des Lageso, für wenige Tage und nur in Notfällen: etwa von Asylsuchenden, deren Fall nicht gleich am Tag ihrer Ankunft bearbeitet werden kann. Die Containerdörfer haben abgeschlossene Räume, da besteht ein Schutz der Privatsphäre. Da können auch die Grünen nicht dagegen sein.

Frau Bayram?

Bayram: Traglufthallen sind für uns völlig indiskutabel. Und wir sind auch gegen die Container. Neben allen Nachteilen für die Flüchtlinge sind diese pure Geldverschwendung.

Radziwill: Einspruch! Berlin bekommt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Prognosen, wie viele Flüchtlinge zu erwarten sind. Daran orientieren wir uns bei der Bereitstellung von Plätzen. Gerade wenn wir verantwortungsvoll mit Steuergeldern umgehen wollen, können wir auch nicht einfach 3.000 Plätze auf Vorrat finanzieren.

Bayram: Wir wussten aber schon im Sommer, dass die Prognosen des Bundesamts überschritten würden. Wenn man tatsächlich eine dauerhaft bessere Unterbringung von Flüchtlingen wollte, hätte man da schon anfangen können, zu schauen, was das Land für eigene Möglichkeiten und Liegenschaften hat, statt immer weiter Aufträge an umstrittene private Betreiber zu vergeben. So hat man sich in die Not, jetzt Containerdörfer bauen zu müssen, selbst gebracht.

Was haben Sie gegen Container?

Bayram: Sie bieten keine menschenwürdige Unterbringung, sondern stigmatisieren die Menschen, die darin leben sollen. Und wir sehen dort, wo sie errichtet werden, jetzt schon, wie Rechte die Aversion gegen die Container nutzen, um daraus eine Aversion gegen deren künftige BewohnerInnen, die Flüchtlinge, zu machen.

Radziwill: Für Oktober hatte das BAMF für Berlin 1.250 neue Flüchtlinge vorausgesagt – gekommen sind 1.530. Wir brauchen die Container. Und wir können sie, da sie ja dem Land gehören, anders nutzen, sollten die Flüchtlingszahlen wieder sinken – etwa zur Unterbringung von StudentInnen.

Auf der letzten Sozialausschusssitzung konnte Herr Allert allerdings weder über die Qualität noch über die Preise der bislang angeschafften Container Auskunft geben.

Radziwill: Wir werden diese Informationen bekommen, und wir haben Qualitätsstandards für die Container vorab festgelegt. Zudem haben wir eine besondere soziale Betreuung für die BewohnerInnen der Container über die Stadtteilzentren eingerichtet und finanziert.

Bayram: Die Frage ist aber doch: Wie können wir die Ressourcen für die Unterbringung von Flüchtlingen so einsetzen, dass sie sich auch in der Qualität der Unterkünfte wiederfinden?

Das Beste seien Unterkünfte in landeseigenen Immobilien in der Hand gemeinnütziger Betreiber – das sagen Sie beide, das sagt Senator Czaja. Wenn alle dasselbe wollen – warum machen wir es dann nicht?

Bayram: Senator Czaja spricht zwar davon, dass er landeseigene Immobilien für Flüchtlingsunterkünfte nutzen will, aber er verfolgt eine andere Strategie – die der Unterbringung in Containern. Damit sinkt die Qualität der Unterkünfte immer weiter.

Radziwill: Die Einrichtung von Containerdörfern schließt nicht aus, dass nebenbei auch geguckt wird, welche landeseigenen Immobilien für die Unterbringung von Flüchtlingen infrage kommen. Das Landesamt sucht ja weiterhin dringend Unterbringungsplätze.

Das Angebot, ein Grundstück in Neukölln zu kaufen, auf dem ein temporäres Flüchtlingsheim steht, hat der Senat angeblich abgelehnt – dabei hätte man damit verhindern können, dass die Gebäude Ende 2015 abgerissen werden müssen.

Radziwill: Ich gehe davon aus, dass darüber in der Hauptausschusssitzung am Mittwoch noch einmal gesprochen wird. Es geht auch dabei um öffentliche Mittel, also müssen die Konditionen geprüft werden.

Bayram: Es sind schon 8 Millionen für die Gebäude dort ausgegeben worden. Muss man diese abreißen, wird das wieder Geld kosten. Ich habe gehört: Wird der Senat nicht kaufen, will der Eigentümer das Grundstück der privaten Firma anbieten, die das Heim darauf derzeit betreibt. Damit wäre die Abhängigkeit des Lageso von privaten Betreibern wieder ein Stück größer. Das ist doch keine kluge Strategie.

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