Demonstrationen in den USA: Sterben gegen Polizeigewalt

In Dutzenden von Städten protestieren Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Die neuen Proteste haben von der Occupy-Bewegung gelernt.

Ein Die-In auf dem Times Square in New York Bild: dpa

NEW YORK taz | In New York ziehen am Freitagabend mehrere Demonstrationen durch Manhattan. Bei Dauerregen und Temperaturen unter 10 Grad Celsius machen sie immer wieder Halt für sogenannte „Die-Ins“ auf dem feuchten Asphalt, in Kaufhäusern und in Bahnhöfen. Die-In ist eine Protestform, bei der die Demonstranten plötzlich wie tot zu Boden fallen.

Es ist die dritte Nacht, nachdem eine Grand Jury im Bezirk Staten Island auf eine Anklage gegen den weißen Polizisten verzichtet hat. Der Polizist hatte im Juli den Schwarzen Eric Garner erwürgt. Proteste gibt es in Dutzenden von Städten quer durch die USA.

„Ihr seid wunderbare Leute“, ruft ein Passant im Bryant Park als das Die-In unter dem Christbaum in der Mitte des Weihnachtsmarktes zu Ende ist und jeder Demonstrant einen anderen umarmt. Die Klamotten der mehreren Dutzend Demonstranten sind längst durchnässt. Sie ziehen schon seit Stunden durch das spätabendliche Manhattan und haben schon an mehreren anderen Orten viereinhalb Minuten schweigend am Boden gelegen.

Sie Die-Ins sind symbolische Gesten für die von Polizisten getöteten Afroamerikaner. Insbesondere für den Teenager Mike Brown, dessen Leiche viereinhalb Stunden auf dem Asphalt in Ferguson liegen blieb, nachdem ein Polizist ihn in August erschossen hat.

Die Mahnwache für Akai Gurley

Während der Proteste in Manhattan findet im Bezirk Brooklyn am Freitagabend eine Mahnwache für Akai Gurley statt. Der 28-jährige, unbewaffnete Afroamerikaner, ist vor zwei Wochen im Treppenhaus eines Sozialbaus in Brooklyn von einem Polizisten erschossen worden. Nach einer Recherche der Daily News hat der Polizist, der auf Akai Gurley schoss, erst sechseinhalb Minuten später den Notruf „911“ betätigt.

In der Zwischenzeit kümmerte er sich nicht um sein Opfer, sondern kommunizierte per SMS mit seiner Gewerkschaft. Auch in Brooklyn soll jetzt eine Grand Jury entscheiden, ob der Polizist angeklagt wird. Nachdem Grand Jurys in Ferguson und Staten Island auf Anklagen gegen die Polizisten verzichtet haben, ist umstritten, wie unabhängig die Institution sein kann.

Grand Jurys werden von Staatsanwälten beaufsichtigt, die ihrerseits in ihrem Arbeitsalltag auf die Kooperation mit der Polizei angewiesen sind. Ermittlungen gegen einzelne Polizisten bringen sie in Interessenkonflikte. Um die aufzulösen, schlagen Kritiker vor, die Ermittlungen über Polizeiverbrechen an neu zu schaffende Instanzen zu geben.

Parallel zu den Protesten in New York blockieren am Freitagabend große Menschenmengen auch in anderen Städten Plätze und Schnellstraßen. Darunter in Boston, Miami, Dallas, Chicago, Washington DC und Ferguson. Früher am Tag haben Jugendliche in Philadelphia und Denver ihre Schulen verlassen, um auf der Straße ihre Empörung über die Nichtanklage des Polizisten zu zeigen, der Garner erwürgt hat.

„No justice, no peace“

Die Rufe der Bewegung: „I can't breathe“ (ich kann nicht atmen), „Hands up, don't shoot“ (Hände hoch, nicht schießen), „No justice, no peace“ (keine Gerechtigkeit, kein Frieden), „Black lives matter“ (Schwarze Leben zählen) und „Shut it down“ (legt alles still).

Die mehr als 200 Festnahmen aus der Vornacht in New York, der Einsatz von Pfefferspray durch die New Yorker Polizei und die Störmanöver, mit denen die New Yorker Polizei nach Ansicht von Demonstranten vorübergehend das Handy-Netz blockiert hat, schreckt die Menschen nicht ab.

Die neuen Proteste, die viel von den Taktiken der Occupy-Bewegung gelernt haben, sind nicht nur auf der Straße, sondern auch in den sozialen Netzwerken extrem präsent. Beispielsweise gibt es live Übertragungen von Demonstrationen. Zudem verbreiten sich täglich neue Hashtags.

Unter #alivewhileblack beschreiben schwarze US-Amerikaner ihre erniedrigenden und oft gefährlichen Polizeibegegnungen. Unter #crimingwhilewhite listen weiße US-Amerikaner auf, welche Vergehen sie ungehindert unter den Augen der Polizei begangen haben. Der Fall Eric Garner, erklärt der Bürgerrechtler Jesse Jackson und die spontanen Demonstrationen quer durch das Land seien „Teil eines Musters von Ungerechtigkeit“.

Entscheidungen nicht öffentlich

Unterdessen kommen täglich neue schockierende Details über die Straffreiheit bekannt, die Polizisten genießen, die gewalttätig gegen Angehörige von Minderheiten geworden waren. Am Freitag entscheidet eine Grand Jury in Texas, dass zwei Gefängniswärter, die eine schwarze gefangene Frau verprügelt und anschließend an den Füßen über den Boden in eine Strafzelle geschliffen haben, ebenfalls nicht angeklagt werden. Die Frau war wegen eines angeblich nicht bezahlten Verkehrsstrafzettels inhaftiert. Die Prügelszene war von zwei Videokameras aufgezeichnet worden. Die Entscheidungen der Grand Jury werden nicht öffentlich begründet.

Der republikanische Kongressabgeordnete Peter King sagte in einem Interview, dass Eric Garner vermutlich noch leben würde, wenn er nicht übergewichtig und herzkrank gewesen wäre und wenn er sich ganz einfach hätte festnehmen lassen. Der Abgeordnete King sagte auch, dass ein weißer, übergewichtiger Mann ganz genauso behandelt worden wäre.

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