Pechstein-Klage vor OLG München: Für Freiheit! Für Überwachung!

Das Gericht nimmt die Schadenersatzklage von Claudia Pechstein an. Die Eisschnellauf-Olympiasiegerin feiert das schon als epochalen Erfolg.

Sichtlich erfreut: Claudia Pechstein. Bild: dpa

In ihrem Dienstanzug war die Bundespolizistin Claudia Pechstein am Donnerstagmorgen vor dem Münchner Oberlandesgericht erschienen. Als wolle sie bereits mit ihrer Gaderobe unterstreichen, dass sie aufseiten von Recht und Ordnung steht.

Seit fünfeinhalb Jahren kämpft die deutsche Eisschnellläuferin gegen „großes Unrecht“ an – wie sie gern betont. Der Eislauf-Weltverband (ISU) brummte ihr 2009 erstmals lediglich aufgrund von Indizien eine Dopingsperre auf. Unterdessen sieht Pechstein es aber aufgrund ärztlicher Gutachten als erwiesen an, dass lediglich eine vom Vater vererbte Blutanomalie zu auffälligen Werten bei ihren Dopingproben führte und will nun vom ISU Schadenersatz über 4,4 Millionen Euro.

Was das Münchner Oberlandesgericht schon beim letzten Verhandlungstermin vergangenen November andeutete, wurde nun auch am gestrigen Tage bestätigt: Die Richter nahmen die Schadenersatzklage von Pechstein an und erklärten damit die Schiedsvereinbarung Pechsteins mit der ISU, dass sie sich ausschließlich der Sportgerichtsbarkeit zu unterwerfen habe, für unwirksam. Sie verstoße gegen „zwingendes Kartellrecht“. Weil der ISU bereits im Vorfeld angekündigt hatte, in diesem Fall in Berufung zu gehen, wird nun der Bundesgerichtshof über die Zulassung der Klage entscheiden.

Das hielt aber Claudia Pechstein und ihre Anwälte nicht davor zurück, das Urteil als „epochalen“ Erfolg zu feiern. Die 42-jährige Eisschnellläuferin sagte: „Es ist ein großer Tag für mich. Dieser Sieg ist mehr wert als alle meine Olympiamedaillen zusammen.“ Und ihr Münchner Anwalt Thomas Summerer bilanzierte: „Wir haben einen Sieg errungen, der Sportrechtsgeschichte schreibt. Der CAS muss jetzt grundlegend reformiert werden.“

Schwadronieren um neue Geschichtsschreibung

Bereits in den vergangenen Monaten schwadronierte das Pechstein-Lager, mit ihrem Fall für eine neue Geschichtsschreibung zu sorgen. Denn schon im Februar 2014 hatte das Münchner Landesgericht die Schiedsgerichtsbarkeit für nichtig erklärt, weil den Sportlern keine andere Wahl bleibe, als die Athletenvereinbarung zu unterschreiben. Summerer sprach damals gar von einer „Revolution“.

Dass staatliche Gerichte aber zuvor schon Sportjustizurteile korrigiert haben, müsste eigentlich auch Summerer ganz gut wissen. Denn er focht bereits 1996 für Katrin Krabbe eine Schadenersatzklage in Höhe von 1,2 Millionen D-Mark durch, weil die Sprinterin nach Ansicht des Gerichts von der Sportjustiz eine unverhältnismäßig lange Sperre auferlegt bekam.

Auch der frühere Dreispringer Charles Friedeck bekam vor einem staatlichen Gericht Schadenersatz zugesprochen wegen seiner Nichtnominierung für die Olympischen Spiele 2008. Besonders ist der Fall Pechstein nur, weil im Falle eines positiven Bundesgerichthofsurteils erstmals ein Dopingprozess vor einem staatlichen Gericht ausgetragen würde.

Es braucht mehr als einen Einzelfall

Um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass das internationale Sportrechtssystem auf tönernen Füßen steht, bedarf es indes weit mehr als eines Einzelfalls. Die Sportfunktionäre und Politiker haben bereits vor dem Urteil des Münchner Oberlandesgericht den Handlungsbedarf erkannt. Michael Vesper, Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), hat im Oktober dem Präsidenten des Internationalen Sportgerichtshofs CAS ein paar Reformvorschläge unterbreitet. Unter anderem warb Vesper für öffentliche Anhörungen und die Einführung eine Fonds für finanziell schlechter gestellte Sportler.

Beim kürzlich vorgestellten deutschen Anti-Doping-Gesetz wird die Schiedsgerichtsbarkeit des Sports gar erstmals von staatlicher Seite anerkannt. Der Sportrechtler Michael Lehner bemerkte damals: „Ich vermute, dass da Lobbyismus zwischen Sport und Politik im Spiel ist, nach dem Motto: Die Politik hilft dem Sport und stärkt die Schiedsvereinbarungen, im Gegenzug lässt der Sport seinen Widerstand gegen das Anti-Doping-Gesetz fallen.“ Es ist abzusehen, dass dieser Gesetzestext auch von den Gerichten geprüft wird. Pechstein hat eine derartige Klage bereits angedeutet. Andernfalls wäre ihre nun zum Ausdruck gebrachte Freude über den Erfolg, der allen Sportlern zugute kommen soll, verfrüht.

Wie dem auch sei, als Vorkämpferin für Freiheitsrechte taugt Claudia Pechstein sowieso nicht. Sie hat sich in der Vergangenheit als Befürworterin eines totalen Überwachungssystems geoutet: „Ich sage seit Jahren: Pflanzt mir einen Chip ein wie einem Hund.“ Dann hätte man auch keine Probleme mehr mit der „ständigen Melderei“.

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