Kolumne Luft und Liebe: Alle nackt, aber wirklich alle

Kein „Page Three Girl“ mehr? Die Brüste der britischen „Sun“ ziehen ins Internet. Das ist asozial und unlogisch.

Das ist doch mal 'ne Botschaft. Bild: Francesca Schellhaas / photocase.com

Das klang fast zu schön, um wahr zu sein: Die englische Boulevardzeitung The Sun schafft das nackte „Page Three Girl“ ab. Nach 45 Jahren. Kritik an den Fotos hatte es immer schon gegeben, in den letzten Jahren war sie aber stärker geworden. Die Kampagne „No more Page Three“ forderte die Sun seit 2012 auf, die Brüstebilder nicht mehr zu drucken: Sie seien sexistisch, zu sehr last century und irgendwie auch nicht kindertauglich.

„Because boobs aren’t news“ ist einer der Sprüche von „No more Page Three“: „Weil Brüste keine Nachrichten sind“. Die entsprechende Petition erhielt viel Unterstützung, 217.000 Menschen unterschrieben sie. Und irgendwann erklärte dann kürzlich Sun-Eigentümer Rupert Murdoch, die Kritik könnte schon irgendwie berechtigt sein, er werde darüber nachdenken.

Nun hat Murdoch offenbar nachgedacht. Am Montag trug das „Girl“ schwarze Unterwäsche, und die Frauen am Dienstag hatten Bikinis an. Große Freude bei den „No more Page Three“-Aktivistinnen, und Bestürzung in den deutschen Medien: „Das ist, als würde die Süddeutsche ihr Streiflicht oder die FAZ ihren Leitartikel abschaffen“, wimmerte Spiegel Online, und das Handelsblatt wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, schrieb „Bye, bye Sonnenschein“, und ganz ehrfürchtig: „Auf der Insel sind die ’Page 3‘-Mädchen in den täglich 2,9 Millionen Ausgaben des Boulevardblattes und ihre meist stattlichen Oberweiten nationale Institutionen.“ Buhuhu! Staatstragende Wichsvorlagen, Wahnsinn.

In Deutschland gibt es eine ähnliche Kampagne gegen die Bild-Zeitung und ihr „Bild-Girl“. Die Petition wurde initiiert von Kristina Lunz, einer Studentin, und hat bisher 32.600 Unterschriften.

Fast geklappt

Erst vor ein paar Wochen hatte Kristina mir geschrieben und gefragt, was ich von ihrer Petition halte, und meine Antwort war so ungefähr „Jo, find ich gut, aber bisschen naiv auch, ich glaub, die ändern das eh nicht, guck mal Focus und Spiegel und so, auch alle mit nackten Frauen, aber trotzdem gut, hab unterschrieben, viele Grüße, hau rein.“ Tja, selber naiv, Frau Stokowski, in England hat das jetzt geklappt.

Also fast. Denn die kleine, feine Fußnote zu der Änderung bei der Sun ist: Es gibt die nackten Frauen immer noch – die Brüste sind einfach ins Netz gewandert. Die Titten des Tages (von „Lucy aus London“ oder „Lissy aus Manchester“) kann man sich bei der Sun online kostenlos angucken, für die anderen braucht man einen bezahlten Account.

Wie ungerecht! Brüste nur für Leute mit Geld – das ist richtig asozial. Brüste gehören zu den schönsten Körperteilen, die es gibt. Lasst die Leute sich doch alle ausziehen! Aber mit Betonung auf „alle“: Für jede nackte Frau einen nackten Mann. In unseren kaputten Hirnen haben Frauen automatisch weniger an als Männer, obwohl sie oft schneller frieren. Unlogisch.

Von mir aus kann man die ganze Sun mit nackten Leuten vollmachen. Weniger Platz für dumme Artikel. Damit es spannend bleibt, kann man in den Texten daneben die Männer nach ihren besten Tortenrezepten fragen und die Frauen nach ihren Lieblingsraketen. Wär doch wunderschön.

Nachtrag: Offenbar gibt es heute doch wieder Brüste in der gedruckten Sun. Ohne Männer, ohne Torte, ohne Raketen. Aus uninformierten Kreisen wird berichtet, das Risiko, Großbritannien würde ohne die Page Three Girls in einem gigantischen Rumms in sich zusammenkrachen, wolle man nicht eingehen.

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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