Senats-Check II: Soziales bleibt Stiefkind

Mit Sozialpolitik hat sich die SPD nicht profiliert. Die Armutsquote liegt auf Rekordhoch, das Kita-Personal ist auf den Zinnen und der schnoddrige Senator eckt an.

Muss man mögen: Kinder. Bild: dpa

HAMBURG taz | Manchmal provoziert Wahlwerbung einfach nur. „Kitaplätze“ wirbt ein lächelnder Olaf Scholz auf Großplakaten, signalgelbe Schrift auf schwarzem Grund und darunter die Verheißung „Gebührenfreie Bildung“. Das bringt Kita-Leiterinnen auf die Palme. Sie wollen am Mittwoch mit ihren Kindern zum Rathaus spazieren und die Bildungsempfehlungen zurückgeben. Mit dem Kita-Frieden, den die Dachverbände vor Weihnachten mit der SPD-Fraktion vereinbart haben, scheint die Basis nicht glücklich. Bei den Kitas, sagen sie, komme zu wenig an.

Dabei war es ohnehin höchste Eisenbahn. Monatelang vertrat SPD-Sozialsenator Detlef Scheele die Linie, dass über bessere Betreuung nicht zu verhandeln sei, schließlich gebe die Stadt schon die 75 Millionen Euro für die Gebührenfreiheit in den Kita-Etat. Er sprach von „Flausen“. Als dann im Oktober 5.000 Erzieher und Eltern auf die Straße gingen und das Thema Wahlkampf-Hit wurde, begannen SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, SPD-Fachsprecherin Melanie Leonhard und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) zu verhandeln.

Und Leonhard soll auch diejenige sein, die die Empfehlungen zurücknimmt. Ist das die übliche Rollenteilung zwischen Parlament und Regierung? Oder gilt Scheele als Reizfigur? Muss die Fraktion ausbügeln, was der mit Schnodderigkeit anrichtet? „Sie pinkeln sich ständig vor die eigene Tür, wenn sie den Erzieherberuf so schlechtmachen“, hatte er den MitarbeiterInnen der städtischen Kita-Vereinigung auf einer Betriebsversammlung vorgehalten. Eine Sprache, die die Frauenpolitikerin Kersten Artus (Die Linke) „rüpelhaft“ nennt.

Scheele persönlich kandidiert nicht, er gilt wegen seiner engen Freundschaft zu Scholz als unangreifbar. Seine Äußerungen sind mitunter von wenig Feingefühl und Fachlichkeit geprägt, er verweigert auch schon mal den Dialog mit einem kritischen Professor oder Müttern ehemaliger Haasenburg-Kinder. Er war selbst früher Chef eines Beschäftigungsträgers, nun setzt er dem Sterben der Trägerszene durch Kürzungen des Bundes und der Stadt wenig Aktivität entgegen. Bei Jugendclubs kürzte er sogar aktiv. Es ging viel Infrastruktur verloren, selbst Die Linke sagt, dass die Stadtentwicklungspolitik unter Schwarz-Grün sozialer gewesen sei. Vor der Wahl versuchen die Genossen, wo es geht verbliebene Projekte zu retten.

Die SPD macht Politik für die Mitte, nicht für den unteren Rand. Dabei kletterte die Quote der von Armut gefährdeten Menschen jüngst auf ein Rekordhoch von 18,7 Prozent. Wir haben eine gespaltene Stadt, sagt der Sozialverband (SoVD). Zwar haben viele Familien heute mehr Einkommen als 2005, weil die gesicherte Kinderbetreuung die Berufstätigkeit beider Eltern ermöglicht. Mehr Einkommen bringen mehr Steuern für die Stadt. Wenn der Kita-Etat steigt, ist das gut begründet.

Auf der anderen Seite leben über 50.000 Kinder und 46 Prozent der Alleinerziehenden mit zwei oder mehr Kindern in Armut. Es gibt etwa 23.000 Langzeitarbeitslose, von denen ein Drittel nie aus dem Hartz-IV-Bezug raus war, wie SoVD-Chef Klaus Wicher kritisiert: „Für die wird zu wenig gemacht.“ Kommen sie in Rente, leben sie in Altersarmut, hier steigt die Quote in Hamburg wie nirgends sonst.

Wicher vermisst eine aktive positive Politik für die Armen. Etwa ein echtes Sozialticket für den HVV, kostenlose Theaterkarten, kostenloses Frühstück in den Schulen oder das Angebot „haushaltsnaher Dienstleistungen“ für bedürftige Alte, die nicht mehr alles selber machen können. Diesen Service gab es mal, er fehlt seit den Kürzungen der Ein-Euro-Jobs. Würde man für solche Aufgaben sozialversicherte Jobs für Langzeitarbeitslose schaffen, wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, sagt der Sozialverbands-Chef. „Die meisten stimmen unserer Analyse zu“, meint er. Nur könne man in keinem Partei-Programm eine „wirksame Armutsbekämpfung“ finden.

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