Ägypter fliehen aus Libyen: Kein Geld und keine Optionen

Nach der Ermordung von 21 Kopten durch den IS sind viele ägyptische Arbeiter in ihre Heimat zurückgekehrt. Dort stehen sie vor dem Nichts.

Nach der Flucht aus Libyen verstaut dieser ägyptische Arbeiter sein Gepäck auf einem Minibus. Bild: dpa

AL-FAJUM taz | Es ist nicht so einfach, das Dorf Muscharak al-Kibli in der ägyptischen Oase al-Fajum zu finden. Entlang blühender und duftender kleiner Kamille- und Ringelblumenfelder geht es auf staubigen, sich windenden Straßen, die diesen Namen kaum verdienen, auf halbverfallenen Brücken über Bewässerungskanäle bis zu dem mehrere tausend Seelen zählenden Ort.

Ein total abgelegenes Kaff. Das ist der erste Gedanke, der einem durch den Kopf schießt, wenn man in der Ortsmitte parkt. Ein falscher Gedanke, zumindest das „abgelegen“. Denn dieses Dorf und das Schicksal seiner Einwohner ist eng mit einem weit entfernt liegenden Ort verbunden. Da nur die wenigsten auf den umliegenden Feldern ihr Auskommen finden, arbeiten die meisten Männer des Dorfes als Gastarbeiter im zehn Autostunden entfernten Libyen.

Und wie das bei ägyptischen Gastarbeitern so üblich ist, arbeiten sie dort allesamt in der gleichen Stadt, dem ostlibyschen Baida. Ein Mann, der dort arbeitet, holt seine Brüder nach, dann kommen Cousins und weitere Verwandte, und schon ist ein guter Teil der männlichen Bevölkerung des Dorfes an einen anderen Ort versetzt und findet dort sein Auskommen, weil es in der verarmten ägyptischen Oase kaum eines gibt.

Etwa 900.000 Ägypter arbeiten in Libyen

So war das die vergangenen Jahrzehnte geregelt. Dann erreichten Anfang des Jahres Gerüchte den Ort, dass Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) in Libyen ägyptische Gastarbeiter verschleppt haben. Mitte Februar tauchte im Internet ein IS-Video auf, in dem zu sehen ist, wie 21 ägyptische Gastarbeiter, allesamt koptische Christen, an einem Strand in Libyen vom IS enthauptet werden.

Seitdem ist nichts mehr wie zuvor in Muscharak. Nicht dass einer der Ermordeten aus dem Ort stammt, wo die meisten Muslime sind. Aber unter den geschätzt 900.000 ägyptischen Gastarbeitern in Libyen brach Panik aus. Viele wollen einfach nur weg. Auch in Muscharak haben schon mehrere Dutzend Arbeiter ihre libyschen Baustellen und Felder verlassen und sind in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Als die Nachricht sich verbreitet, dass sich ein Journalist hierher verirrt hat, versammeln sie sich kurzerhand alle in einem Haus, um ihre Geschichte zu erzählen.

Angst vor den Dschihadisten des islamischen Staates

„Wenn man dieses Video sieht, würde dir das schon zu Hause Angst einjagen, aber dann erst in der Fremde! Da schläfst du die ganze Nacht nicht mehr und hast Angst, dass sie kommen, um dich abzuholen“, erinnert sich der Rückkehrer Muhammad Ahmad an den Tag, an der er das erste Mal das IS-Video gesehen hat. „Wir alle haben Angst bekommen, ganz besonders, als die libysche Polizei kam und uns gesagt hat, wir sollten in den Häusern bleiben, absperren und niemandem aufmachen, selbst wenn jemand behauptet, er sei von der Polizei“, fügt er hinzu. Da habe er beschlossen, sofort abzureisen.

„Seit die IS-Kämpfer in Libyen aufgetaucht sind, im Schatten des Machtkampfes zwischen zwei Regierungen, mit denen wir als Ägypter nichts am Hut hatten, hat sich unsere Lage dort verschlechtert“, meint Ahmad al-Sajed, der als Einziger unter den Männern Abitur gemacht hat und ebenfalls aus Libyen zurückgekehrt ist. „Sie haben Ägypter entführt und dann unseren koptischen Brüder ermordet, da haben wir es alle mit der Angst zu tun bekommen“, sagt er. Nicht weit entfernt von Baida hätte der IS in Derna ein Emirat ausgerufen, in einem Gebiet, in dem es keinerlei staatliche Autorität gegeben habe. „Wir haben gedacht, die kommen als Nächstes zu uns.“

Viele haben sich für die Arbeit in Libyen verschuldet

Viele im Dorf haben Schulden gemacht, um die Fahrt nach Libyen und den Arbeitsvermittler bezahlen zu können. Bis zu 8.000 Pfund (800 Euro) zahlen die Arbeiter für Fahrt und Vermittlung. Einge der Rückkehrer haben gerade mal ein, zwei Monate gearbeitet. „Das geliehene Geld haben sie noch nicht zurückgezahlt“, erklärt Rückkehrer Muhammad Sabr. „Wir sind Wanderarbeiter, machen jeden Job in Libyen. Nur auf diese Weise können wir unsere Familien in Ägypten durchbringen“, fügt er hinzu.

Sein Freund Muhammad Ahmad erklärt, warum die meisten aus dem Dorf trotz der Gefahr noch nicht zurückgekehrt sind und die Reisewarnungen der Regierung und deren Aufruf, Libyen sofort zu verlassen, in den Wind geschlagen haben. „Nach dem Video haben wir zusammengesessen und überlegt, was wir machen sollen – gehen oder bleiben?“, erinnert er sich. „Viele haben gesagt, sie müssten bleiben und erst ihre Schulden zurückzahlen. Andere sind zurückgekommen und mussten den Brautschmuck ihrer Frauen verkaufen, um die Schulden zu begleichen. Die, die das nicht konnten, sind in Libyen geblieben und hoffen jetzt einfach, dass die Lage wieder besser wird.“

Armut bedeutet auch, keine Optionen zu haben

Und die Zurückgekehrten? „Wir sind hier aus der Oase weg, weil es keine Arbeit gibt, nun sind wir zurück, was soll ich noch mehr dazu sagen“, erläutert der Arbeiter Kamel Abdel Modi den trostlosen Kreislauf.

Armut bedeutet nicht nur kein Geld, sondern auch, keinerlei Optionen zu haben – oder, wie im Falle dieser Arbeiter, nur zwei sehr schlechte: in Libyen zu bleiben und sich der Gefahr auszusetzen, selbst einmal in einem orangefarbenen Overall mit dem Messer an der Kehle bei laufender IS-Kamera am Strand zu knien, oder in das ägyptische Elend zurückzukehren.

Und wie soll es denn jetzt weitergehen? Das erste Mal wird es in dem Raum, in dem vorher alle durcheinandergeredet haben, ganz ruhig. Es ist eine verzweifelte Stille.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.