Streit um Golden Pudel Club: Die kulturelle Identität St. Paulis

Der Golden Pudel Club in Hamburg steht auf der Kippe. Nach einem Streit der Eigentümer droht nun die Zwangsversteigerung.

Andy Grote von der SPD: „Wir sind uns da einig: Der Pudel muss bleiben“. Bild: Imago/Kraft

Steht man auf dem kleinen Platz über dem Golden Pudel Club in St. Pauli, könnte der Blick in verschiedene Richtungen kaum gegensätzlicher sein. Da thront die St.-Pauli-Kirche, die durch ihre Aufnahme von Flüchtlingen bekannt geworden ist. Ein Stück weiter steht ein Luxusapartmenthaus, das zur Hälfte dem Suhrkamp-Streitprotagonisten Hans Barlach gehört. Zur linken, unteren Seite blickt man auf die River-Kasematten, ein Nobelrestaurant vom ehemaligen Rote-Flora-Besitzer Klausmartin Kretschmer. Und inmitten dieses Kuddelmuddels fristet das kleine Häuschen des Pudel-Clubs sein vergnügliches Dasein.

Friedlich grenzt es an den Park Fiction, dem Park mit den Plastikpalmen, dessen Gelände von Anwohnern und Künstlern Mitte der 1990er Jahre vor der Bebauung gerettet und neu gestaltet wurde. Gleich mitgerettet wurde damals, unweit der berühmt-berüchtigten Häuser an der Hafenstraße, das kleine Anwesen des Golden Pudel Clubs, das vom Abriss bedroht war. Park und Pudel bilden seither eine Oase der Subkultur, die der Kommerzialisierung des Stadtteils popkulturell den Stinkefinger zeigt und eine ähnlich treue Gemeinde um sich versammelt wie ihre kirchliche Nachbarin.

Doch der dauerhafte Erhalt des Pudel-Clubs ist zurzeit ernsthaft gefährdet. Der Grund dafür ist hausgemacht. Die juristischen Eigentümer, der Musiker und Autor Rocko Schamoni sowie Wolf Richter befinden sich im Streit, den sie vor Gericht austragen. Zusammen hatten sie das Haus 2008 gekauft und sich später verkracht. Richter bestand darauf, das obere Stockwerk privatwirtschaftlich zu nutzen, während Schamoni im Sinne der Clubtradition den darunterliegenden Club als nichtkommerziellen, öffentlichen Ort aufrecht erhalten wollte. Nun droht die Teilungsversteigerung – eine Form der Zwangsversteigerung, die häufig bei verkrachten Ehepaaren eingesetzt wird, die im gleichen Haus wohnen.

Für Bürger suspekt

Das Pudel-Haus am Hafenrand mit Elbblick meistbietend zum Verkauf? Das mag sich niemand so recht vorstellen. „Da über Geld zu reden, macht keinen Sinn“, sagt Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, der zusammen mit Schamoni den Pudel-Club einst gegründet hat. Kamerun sitzt in einem Café in St. Pauli, hält ein portugiesisches Croissant in der Hand und kommt gar nicht dazu, es zu essen, so viel liegt ihm auf dem Herzen. Er erzählt, wie er damals Anfang der 1990er mit Schamoni und dem inzwischen verstorbenen Wiener-Norbert den Pudel eröffnete: „Dieses Haus wollte niemand haben, damals war die Gegend dem Bürger noch suspekt.“ Er erzählt von der aktuellen Pudel-Kampagne „The freaks are alright“, die sich für den dauerhaften Erhalt des Pudels einsetzt. „Wichtig ist, jetzt zu kommunizieren“, so Kamerun, „dass der Pudel mehr als ein Kaufobjekt ist, nämlich eine Haltung, die nicht zum Angebot steht“.

Zerstrittene Eigentümer, frühere Freunde, unterschiedliche Vorstellungen. Angesprochen auf die juristische Eskalation, lässt Wolf Richter unwirsch verlauten, er fühle sich missverstanden und wolle nicht mit der taz über Details sprechen.

Doch von den intern verhärteten Fronten abgesehen, geht es im Streit um den Pudel auch um die weitere Entwicklung eines umkämpften Stadtteils. Sollte der Streit zwischen zwei Privatparteien wirklich dazu führen, dass Hamburg einen seiner bekanntesten subkulturellen Orte verliert? Sollte es zur Zwangsversteigerung kommen, geht es auch um einen Stadtteil, dessen Wert zunehmend in Summen berechnet wird, und in denen die jetzigen Bewohner immer weniger zählen.

„Wer glaubst du, wer du bist, uns kaufen zu können?“, schreit Schorsch Kamerun als Parkuhr verkleidet samt Mistreitern durch ein Megafon in die Kamera. Mit dem dreiminütigen Film, den die Kampagne „The Freaks are alright“ gedreht hat, wenden die Pudel-Unterstützer sich an die Öffentlichkeit. Sebastian Reier alias DJ Booty Carrell hat mit Kamerun die Texte für die Kampagne geschrieben.

Wie viele andere kam er in jungen Jahren mit dem Pudel in Kontakt, lernte dort das Auflegen und durfte später in seiner Konzertreihe nach Lust und Laune Fahrradorchester oder japanische Noise-Künstler einladen. Wie seine Mitstreiter ist er dem Pudel tief verbunden. „Die ganze Situation ist das Resultat eines großen Fehlers“, gibt er zu. „Aber wir wollen aus dem Fehler lernen: Der Pudel soll in Zukunft nie wieder irgendjemandem gehören.“ Nach Meinung der Kampagne sollte der Besitz künftig sozialisiert werden, durch eine Stiftung. Und das Haus dauerhaft durch das Pudel-Kollektiv bespielt bleiben.

Vertrackte Situation

„Die Situation ist vertrackt, weil sie ja von innen heraus entstanden ist“, sagt Niels Boeing, der bei der Anwohnerinitiative „St. Pauli selber machen“ und im Netzwerk „Recht auf Stadt“ aktiv ist. „Aber der Konflikt hat eine höhere Ebene, bei der es um wesentliche Fragen geht: Welche Bedeutung haben Orte wie der Pudel? Wer entscheidet über Veränderungen in der Stadt?“

Besorgt verfolgt Boeing die Entwicklungen des Stadtteils, in dem er selbst wohnt: „St. Pauli ist wichtig für die ‚Marke Hamburg‘ und wird deshalb von der Politik zum Event- und Touristenstandort gepusht“, sagt er. Im Sommer zwänge sich der Schlagermove über die Reeperbahn, die Vattenfall-Bühnen auf dem privatisierten Spielbudenplatz würden mit wechselnden Großevents bespielt. Auch deshalb, meint Boeing, sei es nun so wichtig, was mit dem Pudel als alternativen Ort passiere.

Doch was ist das eigentlich heute, ein alternativer Ort? Die Definition gibt Pudel-Betreiber Kamerun zu denken. „Letztens habe ich eine Mercedes-Werbung gesehen, die einem das Fürchten lehrt“, sagt er. In dem Spot fährt ein glatt gestriegelter Blonder nachts durch die Großstadt, die Stimme aus dem Off zählt verschiedene Orte auf: Das Kurzfilmfestival. Die Galerie. Die Künstler, Untergrund-Clubs, trendige Bars. Am Ende sagt der Fahrer: „Wo immer ihr euch versteckt, ich finde euch sowieso.“ Es sei wie ein Schlag ins Gesicht, sagt Kamerun. „Wenn solch Anderssein heute auf den Namen ‚Sehr teures Auto‘ hört, wie schwierig ist es dann für uns, einen Ort der wirklichen Gegenkultur zu behaupten?“

Andy Grote von der SPD, Bezirksamtsleiter in Hamburg Mitte und Altona, an deren Grenzen der Club liegt, stellt fest: „Wir sind uns da einig: Der Pudel muss bleiben.“ Der Club habe „eine zentrale Bedeutung für die kulturelle Identität St. Paulis.“ Falls also jemand glaube, den Pudel ersteigern, umgestalten oder gar abreißen zu können, müsse er mit den Bezirken und schwierigen baurechtlichen oder gewerberechtlichen Verfahren rechnen.

Organismus schützen

Man würde „alles in der Macht der Bezirke Stehende tun“, sagt Grote, um den „subkulturellen Organismus“ um den Pudel zu schützen. Auch aus der Kulturbehörde heißt es in einem offiziellen Statement, man sei sich der Bedeutung des Pudels für die kulturelle Vielfalt St. Paulis bewusst und würde es sehr begrüßen, wenn er erhalten bliebe.

Alle, der DJ, der Betreiber, der Stadtteilaktivist und der SPD-Politiker, scheinen sich einig zu sein, dass der Pudel bleiben muss. Ist das Problem also gelöst, der Kampf überflüssig? Wohl kaum, so wie es derzeit ausschaut, entscheiden am Ende die Gerichte und der Geldbeutel. Aber auch die Drohkulisse. Die könnte potenzielle Investoren von außen abschrecken, hier mit größeren Summen gegen des Pudels Kern einzusteigen.

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