EU-Flüchtlingsabwehr in Afrika: Ohne Frieden in Libyen geht es nicht

Europäische und afrikanische Regierungen wollen besser zusammenarbeiten. Wie aber kann der zerstörte libysche Staat wieder aufgebaut werden?

Die EU kann nicht übers Mittelmeer gucken. Bild: EUBAM

BRÜSSEL taz | Solange die politische Krise in Libyen nicht gelöst wird, bleiben alle Beschlüsse der EU zum Flüchtlingsdrama im Mittelmeer wirkungslos. Darüber sind sich europäische und afrikanische Spitzenpolitiker in Brüssel, die zum EU-Sondergipfel gekommen sind, einig. Wie gedenkt Europa mit den Folgen der internationalen Militärintervention zum Sturz der libyschen Gaddafi-Diktatur vor vier Jahren umzugehen? Diese Frage überschattet alle Versuche zur Lösung des Flüchtlingsproblems.

„Wir brauchen einen verlässlichen und stabilen Ansprechpartner in Libyen», sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Brüssel vor Journalisten.

Seine südafrikanische Amtskollegin Nkosazana Dlamini-Zuma, Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union (AU), ergänzte: In Libyen gebe es „keinen Staat als solchen» und die AU sei bestrebt, die bewaffneten Gruppen des Landes an einen Tisch zu bekommen. Aber sie glaube nicht, „dass Afrika und die EU dieses Problem alleine lösen können.“

Wie in Libyen Frieden wiederhergestellt und der Staat wiederaufgebaut werden kann, sagten beide nicht. Einer der erfahrensten Staatsmänner Afrikas ist der Präsident von Kongo-Brazzaville, Denis Sassou-Nguesso. Der Politiker, der mit kurzer Unterbrechung seit 1979 im Amt ist, appellierte bereits am Dienstag in einem Radiointerview: „Das Libyen-Problem muss ernsthaft angegangen werden, und Afrika muss dabei Verantwortung übernehmen.“

Solange dies nicht gelöst sei, sehe er nicht, „wie man Kriminelle daran hindern kann, das libysche Staatsgebiet zu nutzen“.

Der Präsident der International Crisis Group (ICG) und ehemaliger französische UN-Vizegeneralsekretär, Jean-Marie Guéhenno, kritisierte seinerseits, dass Europa Libyen wegen der Flüchtlingskrise ausschließlich als „humanitäres“ Problem betrachten würde. Dabei gehe es um viel mehr: „Wenn der libysche Staat nicht gerettet wird, bildet sich im Vorhof Europas eine dschihadistische Achse von Boko Haram in Nigeria bis zum IS in Syrien.“

Keine schnelle Lösung

Diese Überlegungen gehen alle sehr viel weiter als alles, was am Donnerstag auf der Agenda des EU-Sondergipfels zum Flüchtlingsproblem stand. Am Montag hatten sich die Innen- und Außenminister der EU-Mitgliedstaaten auf eine Reihe von Arbeitsfeldern geeinigt, darunter der Kampf gegen organisiertes Verbrechen und Menschenschmuggel durch gezielte Militärschläge gegen die Routen der illegalen Migration und eine verstärkte zwischenstaatliche Polizeizusammenarbeit.

Begleitend sollten die Bemühungen zur Rettung von Menschenleben vor allem durch einen Ausbau der Mittelmeermission Triton verstärkt werden – „eine Priorität“, so Juncker. Aber die Probleme damit kann auch der EU-Gipfel nicht lösen: Ein Einsatz europäischer Küstenwachen jenseits der Territorialgewässer von EU-Staaten, also näher an Libyen, ist nach wie vor nicht vorgesehen; ein neuer Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge, die EU-Boden erreichen, ist nach wie vor nicht in Sicht.

„Es gibt keine schnelle Lösung für die grundsätzlichen Ursachen der Migration“, hatte im Vorfeld der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk gewarnt. „Wenn es sie gäbe, hätten wir sie schon längst angewandt.“

Am konkretesten ist da noch der neue Regionale Aktionsplan für die Sahelzone, den die EU am Mittwoch annahm und der am kommenden Montag förmlich beschlossen werden soll.

Blick auf die Fluchtgründe

Bereits 2011 hatte sie eine Sahel-Initiative für den Zeitraum 2015–2020 beschlossen. Jetzt will sie sich verstärkt auf die Gründe konzentrieren, die Afrikaner dazu bewegen, die lebensgefährliche Reise nach Europa anzutreten. Insgesamt 2,5 Milliarden Euro Entwicklungshilfe über fünf Jahre sind vorgesehen, zudem sollen staatliche demokratische Strukturen gestärkt werden.

Insbesondere die Armeen von Mali und Niger, zwei als verlässlich angesehene Partner Europas in der Sahelzone, sollen weiter ausgebildet und gestärkt werden, um gegen Terrorismus, Schmuggel und Extremismus vorgehen zu können.

Mehr Zusammenarbeit wird versprochen: Zwei europäisch-afrikanische Dialogprozesse – genannt „Rabat-Prozess“ und „Khartum-Prozess“ nach den jeweils federführenden Hauptstädten – sollen Strategien festlegen, um Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen und die Migration einzudämmen.

Das sind hehre Ziele. „Die Gesamtsituation in der Sahelzone verschlechtert sich; bestenfalls stagniert sie“, heißt es in dem neuen Papier: Es muss mehr getan werden.

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