Wassernot im Jordantal

JORDANIEN Geführt von Dorfbewohnern, bekommen Touristen Einblicke in den Alltag und die Umweltprobleme des Jordantals. Das soll der Landbevölkerung ein alternatives Einkommen bringen und zugleich helfen, den Fluss zu retten

  Information: Auf ihrer Website informiert Friends of the Earth Middle East (FOEME) mit Broschüren über die verschiedenen lokalen Touren der „Guten Wasser-Nachbarn“ in jordanischen, israelischen und palästinensischen Dörfern. www.foeme.org

  Anmeldung: Wer an einer geführten Tour auf einem der Nachbarschaftspfade teilnehmen möchte, erhält weitere Informationen bei: info@foeme.org

  Übernachtung: In einem ihrer drei „Ökoparks“ bietet FOEME nahe dem jordanischen Tabkat Fahal Übernachtungsmöglichkeiten in klimatisierten Holzhütten an. Der Park kann so als Basis für Touren und Ausflüge genutzt werden. Informationen dazu gibt es auf der deutschsprachigen Website www.shepark.de.vu.

  Friedenspark: Am Zusammenfluss der Flüsse Jordan und Jarmuk südlich des Sees Genezareth bauen die Umweltschützer im ehemaligen militärischen Sperrgebiet den grenzüberschreitenden Jordan River Peace Park. Zu dem Areal, das bislang vor allem von israelischer Seite touristisch erschlossen ist, gehören drei historische Brücken sowie der im Bauhausstil errichtete Bahnhof Naharayim, der derzeit restauriert wird.

VON CHRISTOPH DREYER

Mohammed al-Nawasrah stapft den Hang hinunter zu einer Gruppe mehr oder weniger verfallener Steinsäulen, den Überresten einer frühchristlichen Kirche. „Die Römer kamen hierher und haben diese Stadt gebaut“, erläutert er. „90 Prozent sind noch gar nicht ausgegraben und liegen unter der Erde, weil ein Erdbeben einst alles zerstört hat.“

Ob dieses Beben schon in der Antike geschah oder erst später, will ein Besucher wissen, doch das kann Nawasrah auch nicht auf Anhieb sagen und muss erst einmal einen Blick auf eine Informationstafel werfen.

Man könnte es durchaus genauer wissen. Immerhin sind dies die Ruinen von Pella, das in der Antike zur Dekapolis gehörte, einem schon in der Bibel erwähnten Städteverbund.

Doch wichtiger als alte Geschichte sind Nawasrah die Gegenwart und die von Wassermangel bedrohte Natur des Jordantals hier im Nordwesten Jordaniens. Der drahtige, lebhafte Mann mit den grau melierten Haaren und dem breiten Lächeln wird merklich eloquenter, als er die Ruinen verlässt und hinunter zum heutigen Ort Tabkat Fahal fährt. Bei den ersten Häusern biegt er in ein Grundstück ein, hinter dessen Mauern ein kleiner Park sichtbar wird.

Im Schatten von Dattelpalmen und Feigenbäumen spazieren dort Gänse umher, hinter einer weiteren Mauer gibt es ein hellblau gekacheltes, blitzsauberes Schwimmbecken. Mit dem Stolz des Lokalpatrioten stellt Mohammed al-Nawasrah den Besitzer vor, einen örtlichen Unternehmer. Der hat diese künstliche Oase zum reinen Vergnügen geschaffen und stellt sie nun Besuchern gegen ein Entgelt von zwei Dinar pro Person zum Picknicken zur Verfügung.

Die Kombination von Geschichtsträchtigem und Alltäglichem ist Konzept. Denn dies ist eine Rundfahrt der „Guten Wasser-Nachbarn“, eines Projekts der jordanisch-israelisch-palästinensischen Umweltorganisation Friends of the Earth Middle East (FOEME).

In insgesamt 18 Orten beiderseits des Jordans haben die Umweltschützer sogenannte Nachbarschaftspfade zusammengestellt. Wie hier in Tabkat Fahal führen stets speziell geschulte Dorfbewohner die Besucher zu historischen Sehenswürdigkeiten, zeigen ihnen verborgene Winkel der grandiosen Natur des Jordantals und informieren sie quasi nebenbei über Ursachen und Folgen der dramatischen Wasserknappheit der Gegend. Denn infolge immer neuer Staudämme, landwirtschaftlicher Übernutzung und mangelnder Koordination unter den Anrainerstaaten führt der biblische Fluss in seinem Unterlauf nur noch zwei Prozent der einstigen Wassermenge.

Kurz vor dem Toten Meer ist bloß ein trübes Rinnsal übrig, das laut FOEME bis Ende dieses Jahres vollends austrocknen könnte. Nawasrah fährt weiter zum jordanisch-israelischen Grenzübergang „Scheich Hussein“, der seit dem Friedensschluss 1994 eine Straßenverbindung zum einstigen Feind schafft. Nach einem Blick auf den Schlagbaum – „Hier bitte keine Fotos!“ – geht es zur nahegelegenen Grundschule, einem unscheinbaren Betonkasten.

Naswarah war hier einst Schüler und kehrte später als Schulleiter zurück. Die von den Dorfbewohnern in Eigenarbeit errichtete Vorgängerschule habe näher am Fluss gelegen, erzählt er, die Kinder seien von beiden Jordanufern hergekommen. „Aber als Israel gegründet wurde, hatten die Menschen Angst, dort hinzugehen. Also baute die Regierung eine neue Schule – deshalb steht dort: erbaut 1952.“

Dass sich die Umweltschützer von FOEME hier ausgerechnet um Tourismusförderung bemühen, ist das Ergebnis einer schlichten Wirtschaftlichkeitsrechnung. Denn vor ein paar Jahren beauftragten sie ein Team von Wissenschaftlern, die Wasserfrage einfach mal durchzurechnen. Wie viel Einkommen lässt sich im Jordantal eigentlich mit Landwirtschaft, mit Industrie oder mit Tourismus erwirtschaften und wie viel Wasser wird dazu jeweils verbraucht?

Das Ergebnis verblüffte die Organisation selbst: Obwohl ein Tourist rund viermal so viel Wasser wie ein Jordanier benötigt, bringt er weit mehr Einkommen in die Region, als die Bewohner mit einer vergleichbaren Menge an Ressourcen auf anderem Wege erwirtschaften könnten.

Deshalb entwickelte FOEME ein Konzept, wie Touristen in die Dörfer beiderseits des Jordans gelockt werden können. Dies soll den Bewohnern eine neue Einkommensquelle eröffnen und sie mittelfristig in die Lage versetzen, sich aus der besonders wasserfressenden und kaum gewinnbringenden Landwirtschaft zurückzuziehen. Zugleich soll es den Menschen im Jordantal bewusst machen, dass ihre empfindliche Umwelt wertvoll ist und geschützt werden muss.

Nun wundern sich die Hauptamtlichen von FOEME in Amman, Tel Aviv und Bethlehem mitunter selbst, wenn sie mal wieder Werbematerial zusammenstellen, Dorfbewohner in Marketing schulen oder Kontakte zu internationalen Reiseveranstaltern knüpfen – wo sie doch eigentlich vor allem den Jordan retten wollten.

Den deutschen Studienreiseanbieter Studiosus haben sie schon ins Boot geholt, auch eine US-Austauschorganisation sowie ein paar europäische Universitäten, die die drei Öko-Parks von FOEME für Tagungen und Exkursionen nutzen.

„Auch der Jarmuk führt nur noch einen Bruchteil seiner einstigen Wassermenge“

Jusuf Mohareb aus al-Himma

Insgesamt seien die Fortschritte dennoch schleppend, räumt Abdel Rahman Sultan ein, der Vizedirektor der jordanischen Sektion. Gerade freut er sich, dass ein paar Israelis individuell um eine Tour in Jordanien gebeten haben – in der Regel kommt der Kontakt durch organisierte Gruppen zustande.

Bis die Bewohner des Jordantals wirklich vom nachhaltigen Tourismus profitierten, werde es wohl noch einige Jahre dauern, glaubt Sultan – wahrscheinlich sogar ein Jahrzehnt.

Momentan sei aber noch viel Überzeugungsarbeit nötig, damit sich mehr Menschen auf einen ganz anderen Broterwerb einließen als ihre Eltern und Großeltern, die meist von der Landwirtschaft lebten. Denn FOEME kann allenfalls Besucher herlotsen, den Gewinn aber müssen die Dorfbewohner daraus schon selbst erwirtschaften – etwa, indem sie Geschäfte oder Pensionen eröffnen.

Nur wenige ergreifen diese Chance so entschlossen wie Jusuf Mohareb in al-Himma. Der Ort gut 20 Kilometer nordöstlich von Tabkat Fahal kann neben seinen heißen Quellen vor allem mit einer malerischen Lage am Jordan-Zufluss Jarmuk aufwarten, der hier in einer tiefen Schlucht vor den Golan-Höhen am gegenüberliegenden Ufer verläuft.

„Auch der Jarmuk führt nur noch einen Bruchteil seiner einstigen Wassermenge“, erläutert Mohareb. Dann zeigt er noch eben den Gully, durch den man unter dem Asphalt der viel zu breiten Dorfstraße eine Schiene der Hedschas-Bahn sehen kann, von der hier einst eine Zweigstrecke entlangführte.

Schließlich lotst Mohareb die Besucher in sein Café unter einem Dach aus Palmenzweigen. Das läuft dank der von FOEME hergelockten Gäste schon so gut, dass er mittlerweile darüber nachdenkt, auf seinem Grundstück zusätzlich ein kleines türkisches Bad mit Wasser aus der heißen Quelle zu bauen.