Über Autorität 2018: Warum so ernst?

Wir lasen einen Tweet von Jan Böhmermann und dachten: Hey, das ist ja ein politisch-humanistisches Manifest für 2018! Das Gespräch.

Bild: Nikita Teryoshin

Interview: Peter Unfried und Harald Welzer

In der Redaktion von taz FUTURZWEI sprachen wir über das Jahr 2018, die autoritäre Bedrohung, die gegenseitige Lähmung von Gesellschaft und Politik und dann war die Frage: Worum geht es jetzt? Da kam eine Kollegin und sagte: „Hey, lest mal diesen Tweet von Jan Böhmermann”. Wir lasen: „Es geht um die Formulierung einer positiven, radikal neu gedachten und vor allem sozialen Vision einer zukünftigen Gesellschaft, die Neugestaltung demokratischer Teilhabe angesichts der digitalen Revolution und die Wiederentdeckung der Kategorie Mensch.” Wow, dachten wir. Das ist ja ein Manifest für 2018! Ist das ernst gemeint? Und schickten sofort eine Gesprächsanfrage. Zwei Stunden später kam die Zusage. Kurz darauf saßen wir im Studio König, vormals Teppich König, dem Ort in Köln-Ehrenfeld, an dem Böhmermanns wöchentliche Fernsehsendung Neo Magazin Royale produziert wird.

Der Mann:

Satiriker, Musiker und Moderator der wöchentlichen ZDF-Late-Night-Show Neo Magazin Royale. 1981 geboren und in Bremen-Vegesack aufgewachsen. Lebt mit seiner Familie in Köln. Begann bei Radio Bremen, später Pointenzulieferer und Show-Assistent von Harald Schmidt.

 

Das Werk:

Eine Schmähkritik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan (»Ziegenficker«) führte zu einer Strafanzeige der Türkei wegen § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten). Kanzlerin Merkel ließ die Strafverfolgung zu, ein Gericht stellte das Verfahren ein, der Paragraf wurde abgeschafft.

Der #Varoufake war ein manipuliertes Video, in dem der griechische Politiker Yanis Varoufakis Deutschland den Mittelfinger zeigte. Böhmermann kommentierte den Sensationalismus von Medien – nicht nur Günther Jauch fiel darauf herein – und wurde dafür mit dem Grimme-Preis bestraft.

Pophits: Ich hab' Polizei, Be Deutsch!, V for Varoufakis.

taz FUTURZWEI: Herr Böhmermann, Ihren Tweet verstehen wir als eine Art Bewegungsmanifest 2018. Ist das ernst gemeint und was bedeutet es, sich ernst zu nehmen?

JAN BÖHMERMANN: Ich habe die Entwicklung der Gesellschaft lange als progressiven oder linearen Prozess gesehen. Jetzt hat man in dem Umfeld, in dem ich mich bewege, das Gefühl, dass man vor einer Wand steht und keiner weiß, was passiert – ob man die Wand durchbrechen soll oder ob man sich davon lösen muss, linear zu denken. Dieser Tweet ist keine Aufforderung, sondern eine Feststellung. Er ist pathetisch. Aber er stimmt. Das Pathos ist der Zuckerguss über dem eigentlichen Kern. Sorry, ich bin Künstler.

Ist es das Gefühl, dass man immer gedacht hat, wir sind in einer Entwicklung der Demokratie, die so weiterläuft, und plötzlich merkt: stimmt gar nicht?

Es gibt eine Leere, die viele Leute spüren und nicht mehr aushalten, die sich in irgendeine Richtung drehen muss. Das ist natürlich auch in einen Nebel hineingesagt, verbunden mit einem großen Gefühl und dem Unwillen, das selbst umsetzen zu müssen und auch, es nicht zu können. Aber es beschreibt, was lagerübergreifend diffus da ist, woraus aber auch Dinge entstehen wie diese dumme sogenannte konservative Revolution oder der Lindner-Effekt oder auch das, was seit der Wahl in der SPD passiert ist.

Die Rechten und die Neoliberalen haben die Vorstellung, dass die Welt besser ist, wenn sie sich durchsetzen, das kann man unterstellen. Aber für ihre Zukunftsvorstellungen muss immer irgendjemand oder irgendetwas aus dem Weg geräumt werden.

Auf dem Track, auf dem wir uns wähnen, gehen wir davon aus, dass Dinge sich durch Erkenntnis lösen lassen, und auf dem anderen Track geht es nur mit Gewalt. Das ist ja klar. Die Arbeit, die wir beim Neo Magazin Royale neben all dem albernen, schlimmen und geliebten Quatsch machen, besteht darin, professionell und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und zu beobachten, aber an Stellen nachzutreten, wo man nicht reintreten sollte. Das ist humanistisch motiviert. Die Eskalation ist ja letztlich das Herausarbeiten von schwelenden gesellschaftlichen und politischen Sachverhalten und der Spaß daran, auf Stellen zu drücken, auf die man nicht drücken sollte.

Ist das heute schwieriger geworden?

Es ist komplexer geworden. Das, was man beobachtet und sagt, hat plötzlich eine gewisse Schwere – und deshalb sitzen wir offenbar heute hier. Das ist neu und ich habe es mir nicht ausgesucht, dass diese Schwere da ist. Ich bin weder Akademiker noch ist das mein Beritt, mich dazu zu äußern. Das sage ich zur respektvollen Beruhigung beziehungsweise Demütigung aller Akademiker.

Sie tun es.

In den letzten vier, fünf Jahren hat sich vieles so verändert, dass ich die Augen nicht davor verschließen kann. Offenbar bin ich mit meinem Unseriösen irgendwo reingeraten, wo ich nicht nur meine Arbeit denken muss, sondern auch eine gewisse Verantwortung.

Erdoğans und auch Merkels Reaktion auf Ihre Schmähgedicht-Performance – war das ein Wendepunkt?

Das war eine ganz merkwürdige Erfahrung. Ich bekam aus allen Ecken und Enden und auch von schlauen Leuten Dinge zu lesen, bei denen ich dachte, das kann doch gar nicht sein! Es ist eigentlich so klar, was mein Job ist: Ich mache ja nichts anderes, als zu spiegeln. Wenn es gut ist, spiegele ich Dinge so, dass derjenige, der das sieht, sich selbst zurückgeworfen bekommt, ohne es zu merken. Ich saß in diesem Fall wie eine Spinne im Netz und habe beobachtet. Und von jeder Seite war die Reaktion genau so, wie man es sich denkt: die totale Spiegelung. Aber dabei ist völlig das Verständnis verloren gegangen, dass das ein Job ist und dass es eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, so eine Arbeit zu machen, die nicht journalistisch, sondern künstlerisch motiviert ist. Und Grenzen auslotet.

Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von Luschigkeit und dem Gefühl, dass es eigentlich um nichts geht. Jetzt ist die Frage, ob man nicht Dinge ernst nehmen muss, vor allem sich selbst. Wenn man Ihren Tweet ernst nimmt, welche Form von Aktivierung zieht das nach sich?

Zum Ersten muss man sich von dem Gedanken freimachen, dass Politik etwas für Politiker ist, dass Beteiligung am politischen Diskurs etwas ist, das einer bestimmten Berufsgruppe vorbehalten ist, die das dann schon regelt. Es ist wichtig, dass du in deinem Beruf bleibst und dich trotzdem in politische Debatten einbringst. Da hat sich übrigens durch die Entwicklung der Kommunikation und der technischen Kanäle unglaublich viel verändert. Ich kann per Twitter den Kanzleramtsminister anschreiben. Und das kann ich nicht nur machen, wenn ich prominent bin, das könnte ich auch, wenn ich nur 25.000 Follower hätte.

Sie haben zwei Millionen, aber 25.000 sind auch ganz schön viel.

Bild: Nikita Teryoshin

Finden Sie? Was ich, positiv formuliert, sagen will: Wir haben die Möglichkeit einer einigermaßen barrierefreien Kommunikation zwischen allen Teilen der Gesellschaft. Das System, das wir haben, macht Sinn, weil sich Autorität und Basis auf Augenhöhe begegnen können. Dass das funktioniert, ist wie die Entdeckung von Amerika. In einer Gesellschaft oder über Landesgrenzen hinweg können sich Leute vernetzen. Menschen mit gleichen Interessen können zusammenarbeiten für etwas Besseres. Und je mehr man in der Lage ist, sich einzubringen, desto mehr spürt man auch, dass Leute eigentlich apolitisch sind oder politisch aus sentimentalen Gründen – weil sie es von zu Hause so mitbekommen haben.

Wie meinen Sie das?

Das ist der Grund, warum viele aus meiner Generation nicht politisch sind. Weil die Generation davor, ich sage mal, Neunziger- bis Nullerjahre, eher so überpolitisch war und mit 68er-Schwung. Da wurden Friedensdemonstrationen abgehalten, wo gar kein Krieg war. Und heute schaust du dir Trump an und denkst, das Schlimmste ist die „No Accountability”. Der Präsident kann auf die Fifth Avenue gehen und Leute erschießen, und keinen kratzt es. Das ist das Problem der Erosion von Values, von staatlichen Strukturen und Verantwortlichkeitsgefügen. Da dürfen keine Luschen sitzen, da müssen Leute zuständig sein, denen es wichtig ist, dass sie zuständig sind, und auch wissen, wofür. Wenn du staatliche Strukturen nur noch als etwas verstehst, das keine gesellschaftliche oder politische Bedeutung hat, wo Leute nicht wissen, warum sie das machen, dann verlierst du die Verantwortlichkeit von Funktionsträgern. Wenn nicht einmal mehr ein Präsident für irgendetwas verantwortlich gemacht werden kann, haben wir ein echtes Problem. Für den Dow Jones ist das natürlich super.

Das klingt nicht gut.

Ja, aber zugleich merkt man, dass der Wunsch, sich politisch zu artikulieren, inzwischen auch Leute erreicht hat, die sich sonst immer sagten: „Halt lieber die Fresse, mach’ deinen Job, ist doch egal.” Ich merke auch in meiner Sendung, dass es sich manchmal ungewohnt pathetisch anfühlt, wenn wir uns in Bereiche vorwagen, die man vor zwanzig Jahren innerhalb der komischen Kunst nie behandelt hätte, schon gar nicht im Fernsehen. Die Motivation ist die gleiche. Du überschreitest die eigene Schamgrenze aus dem Wunsch heraus, dich einzubringen. Du denkst plötzlich nicht mehr nur: Ich könnte mich einbringen. Du denkst: Ich mach’s jetzt einfach. Obwohl es das Gegenteil ist von dem, was ich gelernt habe, was cool ist.

Ist das die Wiederkehr der Kategorie Mensch, von der Sie twittern?

Der menschliche Faktor, also das Gefühl, motiviert mich, das zu tun. Wenn es um Coolness geht, könnte ich mich zurückhalten, wenn es um Ärgervermeidung geht, auch. Ich wüsste es besser, aber ich fühle in mir, dass es richtig ist. Das ist subjektiv, nicht akademisch einfassbar. Das ist Kunst und Gewissen, mehr kann ich nicht.

(...)

Sich ernst nehmen bedeutet ja auch immer, man macht sich verletzlich.

Das meine ich, wenn ich sage: Man muss sich überwinden, so etwas zu artikulieren.

Akademiker sind ja alle super cool, cooler als Satiriker, unangreifbar, da geht es schon lange um nichts mehr. Gehobenes Feuilleton: dito, Super-Unverletzliche, Chefdurchblicker. Muss man lernen, Positionen zu vertreten, für die man auf die Mütze kriegt?

Und deshalb wieder das Stichwort: Jahr des Menschen. Ich glaube, eine vernünftige Debatte kannst du nur führen, wenn du dich absichtlich angreifbar machst und das Menschliche einbeziehst. Wenn du entgegen dem rationalen Instinkt handelst. Du kannst wirtschaftliche, soziale und politische Prozesse bis ins Letzte rationalisieren, dann geht es aber um nichts mehr. Joghurtbecher ausgekratzt und immer noch Hunger.

Sie spiegeln, haben Sie gesagt. Früher war eher Belehren angesagt – Habermas, Ulrich Beck und so weiter. Dieses Belehren ist nicht mehr gesellschaftsfähig. Es gibt keinen Public Intellectual mehr, und an seine Stelle, in diese Lücke, treten Sie. Ist das so?

Das Spiegeln hat auch etwas Pädagogisches, weil es ja aus einem ähnlichen Impuls heraus erfolgt. Der Unterschied ist der Ansatz – ich will die Leute nicht mit meiner Erkenntnis bedrängen. Im Wissen um meine Unseriösität und darum, wie das alles entsteht: Das ist keine Soziologie, das ist Pokerspiel.

Bei akademischen Großdenkern auch, das sagen die nur nicht.

Bild: Nikita Teryoshin

Das ahne ich. Der Unterschied ist, dass ich nicht behaupte, dass es was anderes wäre.

Fool on the Hill oder Wise Man?

Ersteres! Ich darf diese Rolle auch nicht zu ernst nehmen, weil ich meine professionellen Zusammenhänge verlasse, wenn Sie mich als Public Intellectual brandmarken, was ich nicht bin. Und nicht sein will. Wenn ich mich belehrt fühle, schalte ich selbst auch ab. Ich will Dinge durch meine eigene Erkenntnis aufnehmen und nicht von einem Absender, der denkt, dass das richtig ist, und ausschließt, dass es andere Möglichkeiten gibt, die Dinge zu sehen.

Anfang diesen Jahres hat das Präsidium der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin beschlossen, ein Gedicht von Eugen Gomringer zu übermalen, weil der AStA der Auffassung ist, es sei frauenfeindlich. Es handelt sich um Konkrete Poesie, bei der der Klang und die Abfolge der Worte wichtig sind. Hier wird als sexistisch interpretiert, dass im Gedicht einerseits »Frauen« vorkommen und andererseits ein »Bewunderer«. Was geht da vor?

Das Infragestellen von Autoritäten ist generationell völlig normal. Aber so ein Präsidium, das sind ja nicht mal mehr die 68er, deren Autorität infrage steht, sondern die, die im Windschatten der 68er gekommen sind. Da hat Selbstbehauptung nie stattgefunden, weil man, sich im Recht wähnend, auf den Sitz geglitten ist, der einem bereitet wurde. Autorität wird problematisch, wenn sie vergisst, worin sie sich begründet, übrigens überall – auch in den Medien, beim Spiegel, beim ZDF – gerät Autorität darum in die Defensive. Und dann wird es schnell gefährlich.

Welche Autorität hat der Staat?

Haben wir noch die Rudi-Dutschke-Welt eines autoritären und repressiven Staates? Oder ist nicht Staat als Begriff positiv zu besetzen und sind die Checks and Balances wichtig, damit er nicht in die entmenschlichte, hohle Autorität abgleitet? Was Staat ist, wie Staat heute funktioniert, wie Gesellschaft funktioniert, das muss man sich bewusst machen. Wir haben als Experiment diesen Song gemacht, Ich hab’ Polizei.

In dem Video zu diesem Rap lauert Ihnen ein fieser Schlägertrupp auf. Sie rufen 110 an. Die Bullen kommen. Und Sie sagen dem Mob: »Du hast ein Problem? Ich hab’ Polizei.«

Interessant, dass das schon als Provokation wahrgenommen wurde. Man könnte die Aufregung dem Genre zuordnen, das wir parodiert haben, aber lyrisch war es eine Beschreibung von Dingen, wie sie sind.

Wer fühlte sich provoziert?

Beide Seiten. Wir haben mit echten GSG-9-Leuten gedreht, die kann man engagieren. Da ist die Hälfte beim Dreh abgehauen.

Sie feiern das Gewaltmonopol des Staates. Was Besseres kann der Polizei doch nicht passieren.

Im Nachhinein ist das der Song, der auf jeder Weihnachtsfeier der Polizei gespielt wird, aber immer mit hochambivalenten Gefühlen und nur, wenn alle besoffen sind.

In einem Interview erklären Sie sich zum Verfassungspatrioten.

Das hat man mir unterstellt.

Also kein Verfassungspatriot.

Doch, natürlich. Aber das würde ich niemals sagen.

Vor ein paar Jahren hätten wir uns über Verfassungspatrioten totgelacht.

Natürlich. Aber man muss sich doch die Frage stellen: Was gibt es, woran ich glaube? Woran ich mich halte? Was so gerecht wie möglich ist? Da fällt für mich Religion weg, weil das Machtstrukturen sind, in denen in letzter Instanz Willkür herrscht.

Ergo?

Da bleibt letztlich nur Verfassung übrig und nur eine, die den Geist atmet, den keine andere Verfassung atmet, und worauf man keinen immer tumben Nationalstolz setzen kann, ganz im Gegenteil. Der Fokus dieser Erdoğan-Sendung war die Artikulation von Verfassungspatriotismus, aber ohne zu sagen, dass es das ist. Das Suchen einer inkludierenden Erzählung für eine Gesellschaft, die so defensiv wie möglich ist, dabei aber so selbstbewusst wie nötig. (...)

Das ganze Gespräch finden Sie in der neuen Ausgabe von taz FUTURZWEI.

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