Verfilmung des Blogs „Notes of Berlin“: Ein ungefiltertes Gesellschaftsportrait

Über 2000 Notizzettel aus Berlin wurden gesammelt. Mariejosephin Schneider dreht daraus einen Film – mithilfe von Hobbyautoren und Laienschauspielern.

Ein häufiges Thema der Berliner Notizzettel: geklaute Fahrräder, Blumentöpfe oder auch Autokennzeichen. Bild: Notes of Berlin

BERLIN taz | Als der herzkranke Hund Baader im Februar allein in die Straßenbahn an der Schönhauser Allee humpelte, ahnte er nicht, dass ihn dieser Ungehorsam zur Berühmtheit machen würde. Doch sein Besitzer verteilte Vermisstenanzeigen mit dem Bild des melancholisch dreinblickenden Mischlings und einem rührenden Suchtext. Und Baaders Konterfei landete auf der Webseite www.notesofberlin.com.

Der Blog, den der gebürtige Münchner Joab Nist seit 2010 betreibt, ist eine Sammlung kurioser Zettelbotschaften, die in Berliner Hausfluren oder an Laternenpfählen hängen. Neben Vermisstenanzeigen gibt es dort Warnungen wie „Alter Mann spuckt vom Balkon“ oder Hasstiraden auf ein „Arschloch von Blumendieb“. Nun wird der Blog verfilmt und Hund Baader ist im Rennen um die Rolle des Erzählers.

Hinter der Idee, einen Film über „Notes of Berlin“ zu drehen, steckt Mariejosephin Schneider. Die Regiestudentin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin stieß vor zwei Jahren auf den Blog, als sie eigentlich an einem Drehbuch arbeiten sollte. Statt sich mit Plot und Figuren auseinanderzusetzen, klickte sie sich stundenlang durch das Zettelarchiv. Aus der Prokrastination heraus reifte der Entschluss, den Blog auch auf die Leinwand zu bringen. Ihren Kommilitonen Martin Danisch konnte die 37-Jährige als Produzenten gewinnen, Blogbetreiber Nist selbst wirkt als Executive Producer an den Filmvorbereitungen mit.

„Der Blog ist mein heiliges Baby, und ich kann es nicht einfach anderen überlassen, selbst wenn ich weiß, dass auch die Leute im Team voll hinter dem Projekt stehen“, sagt Nist. Der Blog hat allein auf Facebook mittlerweile über 90 000 Anhänger, zwei Bücher entstanden aus den Zetteln und seine Abschlussarbeit im Masterstudium „Arts and Media Administration“ an der Freien Universität Berlin schrieb Nist über „Urbane Alltagskulturkommunikation - Das Phänomen der Zettelwirtschaft am Beispiel von Berlin“. Nun auch noch der Film. Bei dem Vorwurf, er würde die Zettel für seine Zwecke ausschlachten, wird der 31-Jährige ungehalten. „Ich arbeite seit acht Monaten unentgeltlich für den Film. Wenn ich den Stundenlohn für meine Arbeit mit dem Blog ausrechenen würde, bliebe nicht mehr viel übrig. Aber solange es Leute gibt, die an dem Blog hängen bleiben, werde ich ihn weiterbetreiben.“

Freiräume Berlins verschwinden

Neun Personen arbeiten seit acht Monaten an dem Projekt. Gerade wirkt das Team allerdings ziemlich planlos. Fest steht allenfalls, dass es sich um einen Episodenfilm handeln wird. Doch wie schafft man es, den Witz der Zettel auch auf der Leinwand gut rüberzubringen? Soll man zeigen, was den Verfasser dazu gebracht hat, den Zettel zu verfassen, oder beleuchtet man die Konsequenzen?

Sogar den selbstbewussten Nist beschleichen manchmal Zweifel, ob der Film den Erwartungen der Blogbegeisterten gewachsen sein wird. „Die Frage ist natürlich: Wo liegt der Mehrwert im Film für die, die schon den Blog kennen? Da müssen wir gute Geschichten finden, die den Nerv der Leute treffen.“ Er habe nicht den Anspruch, alle Zuschauer zum Lachen zu bringen. Es gehe ihm eher darum, ein ungefiltertes Gesellschaftsportrait zu zeichnen. „Manchmal sind die Zettel auch rassistisch, ungerecht, zu schroff, zu direkt. Aber das ist eben Berlin.“

Schneider möchte mit dem Film auf die Probleme der Stadt aufmerksam machen. „Die Stadt verändert sich. Freiräume verschwinden, Brachen werden zugebaut. Die Mietpreise steigen. Berlin war lange ein Ort wo man es sich noch leisten konnte, zu leben, auch ohne viel Geld. Hier konnte jeder machen, was er wollte. Aber bald wird Berlin wie jede andere Hauptstadt sein, wo viele Alteingesessene an den Stadtrand ziehen müssen, um sich die Miete leisten zu können.“ Den Punkt Wohnungssuche will sie daher besonders fokusieren. Hinzu kommen Themen wie Fahrraddiebstahl, die Suche nach der großen Liebe, Ärger mit den Nachbarn.

Dreharbeiten ab Oktober

Nach derzeitiger Planung sollen mindestens zwanzig der insgesamt 2000 Zettel aus Nists Archiv im Film auftauchen. Diese werden gerade nach und nach auf dem eigens für den Film eingerichteten Internetauftritt veröffentlicht. Denn genau wie der Blog, der von Einsendungen lebt, ist der Film als Gemeinschaftsprojekt angelegt. Seit Ende Juli sind die Besucher der Webseite dazu aufgerufen, sich Geschichten zu den Zetteln auszudenken. „Geniale Vorschläge werden wir auch eins zu eins verwenden. Ansonsten suchen wir uns Teilchen raus, die uns gefallen, und basteln dann das Drehbuch.“ Bis 21. September sind Einsendungen möglich.

Von Oktober bis April will Schneider den Film in Blöcken drehen, am liebsten mit Laienschauspielern. „Es gibt so viele spannende Leute auf der Straße, die vor der Kamera eine wahnsinnige Präsenz zeigen. Da möchte ich mich nicht durch Karteikarten von Castingagenturen wühlen.“

2016 soll der Film in die Kinos kommen. Dann wird sich zeigen, welches Schicksal dem humpelnden Hund Baader zugewiesen wurde. Bisher sind vier Vorschläge eingegangen. Das realistischste Szenario: Baader landet als Straßenköter an der U-Bahnhaltestelle Warschauer Straße - und damit in einer der Gegenden Berlins, wo es noch Freiräume gibt, die es zu verteidigen gilt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.