Mit fremden Federn

Beutekunst – das bedeutet nicht nur Rußland, Zweiter Weltkrieg, Rückgabeforderungen. Streit gibt es auch um Kunstschätze, die bereits vor Urzeiten geraubt wurden. Dazu gehören etwa der Pergamonaltar oder die Nofretetebüste. Aus Sicht der Neubesitzer längst verjährte Sünden. Rückgabeansprüche seien nichts als schlecht versteckter Nationalismus. Ein kostbarer Federschmuck in Wien, nationale Ikone Mexikos, ist solch ein Objekt der Begierden.  ■ Von Lena Blaudez

Mexiko-Stadt. Zwei Herren in Nadelstreifenanzügen vor dem Anthropologischen Museum. Sie drängeln sich verschwitzt durch eine Gruppe staunender Schulkinder bis zu einem monumentalen Streitwagen mit Vierergespann. Sie halten Plakate hoch. Es sind Mitglieder des Vereins „Bürger für die Erhaltung deutschen Kulturerbes“. Auf den Plakaten steht: „Die Quadriga zurück nach Berlin!“ Niemand beachtet sie.

Vor fünfhundert Jahren kamen Europas Eroberer in die Neue Welt, um zu plündern und zu morden. Ihrerseits symbolträchtige Werke aus Europa zu rauben, darauf kamen die heimgesuchten Einwohner nicht. Die Quadriga jedenfalls steht noch auf dem Brandenburger Tor in Berlin. Ein schwer umkämpftes Symbol aus Mexiko hingegen bereitet seit Jahrzehnten Diplomaten heftiges Kopfzerbrechen – die „Federkrone Montezumas“, nationales Symbol Mexikos.

Das begehrte Objekt ist ein kostbares Gebilde aus vierhundert grünen Schwanzfedern des Quetzals, des heiligen Vogels der Azteken, dekoriert mit Goldornamenten. Auf bisher nicht bekannten Wegen gelangte der Federschmuck nach Österreich und ist heute im Wiener Völkerkundemuseum zu bewundern. Vertreter einer sehr aktiven Gruppe aztekischer Nachfahren sehen in ihm die Federkrone des letzten Aztekenherrschers, MotecuçomaII. Xocoyotzin. Nach ihrer Ansicht konzentriert sie Macht, Wissen, Weisheit und Fruchtbarkeit in sich. Antonio Gomora, als Sprecher der Gruppe unter dem Namen Xokonoschtletl bekannt, bemüht sich seit vielen Jahren, den Kulturgegenstand für sein Land zurückzuerobern. Mit exotischen Tänzen, traditionellem Federschmuck und lautstarkem Trommeln versucht er sich Gehör zu verschaffen.

Doch das Wiener Museum sperrt sich: Der Federschmuck ist das Paradestück der mexikanischen Sammlung. Eine Rückgabe könnte einen Präzedenzfall schaffen und eine Lawine von Rückgabeforderungen auslösen, wird befürchtet. Denn nicht nur in Wien, auch in Berlin und anderswo wurden geplünderte und erbeutete Kulturschätze angehäuft. Die Kostbarkeiten, auf deren Herausgabe die Ursprungsländer in vielen Fällen immer wieder drängen, wurden großenteils zu Kolonialzeiten zusammengetragen und außer Landes gebracht. Sollten sie nun Stück für Stück in die Heimatländer zurückwandern, stünden die Museumsdirektoren womöglich in leeren Räumen herum. Sie sehen in ihren Sammlungen freilich nicht die Beute imperialistischer Kolonialkriege. Uralte Kunstwerke vernichteter Hochkulturen wie das aztekische Symbol werden vielmehr kategorisch als „rechtmäßig erworbenes nationales Kulturerbe“ deklariert.

Selbst der Pergamonaltar wurde zum Stein des Anstoßes. Der Bürgermeister der türkischen Stadt Bergama forderte: „Der Zeusaltar gehört zu Bergama. Wir möchten ihn zurück.“ Wolf-Dieter Heilmeyer, Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, argumentiert: „Objekte der Weltkultur gehören der Welt und sollen da bleiben, wo sie sind.“ Über Kunstwerke Jahrhunderte oder Jahrtausende nach ihrer Entstehungszeit nationale Identitäten herstellen zu wollen, wäre ein unzeitgemäßes Ansinnen fehlgeleiteter Personen. Damit würde nur die Nationalstaatsidee angeheizt.

Die Nachfahren Motecuçomas jedenfalls, deren Kultur sich von der Begegnung mit Hernán Cortés nicht mehr erholte, müssen sich schon nach Wien begeben, um ein so rares Stück aus der Vergangenheit ihrer Nation bewundern zu können. Selbst das Anthropologiemuseum in Mexiko muß sich mit einem Imitat begnügen. Regierungsdelegationen haben immer wieder erfolglos versucht, eine Rückgabe des Originals zu erreichen. Sogar Tauschobjekte wurden vergeblich angeboten.

„Im Völkerkundemuseum Wien gibt es keine Federkrone des Motecuçoma“, sagt Peter Kann, der Direktor. Diese habe es nämlich nie gegeben. Der aztekische Herrscher soll, wie alle seine Vorgänger, als Zeichen seines Amtes eine Binde mit einem Diadem aus Türkisen getragen haben. Statt ein Herrscherhaupt gekrönt zu haben, soll der Federschmuck Teil jener Gewänder sein, die aztekische Priester bei Opferritualen trugen, glauben die Wiener. Er wird als penacho bezeichnet und soll einer von Hunderten sein, von denen wiederum Dutzende im 16. Jahrhundert nach Europa gekommen seien. Allerdings ist weltweit nur dieser eine erhalten. „Dank guter Pflege“, wie der Chef des Völkerkundemuseums betont. Daß er im 19. Jahrhundert als Kaiserkrone angesehen wurde, habe seine Ursache in der scheinbaren Einmaligkeit des Federschmucks. Dessen Authentizität steht bei Experten außer Zweifel. Vermutet wird, daß er ein Beutestück des spanischen Konquistadoren ist. Auf der Liste der „Gastgeschenke des Montezuma“, die dieser 1519 Cortés überbringen ließ, steht er nämlich nicht. Daraus den Schluß zu ziehen, daß er mit dem spanischen Feldherrn und seinem Kaiser, KarlV., nichts zu tun haben kann, wie es die österreichischen Museumshüter tun, erscheint jedoch gewagt.

Die österreichische Geschichte des kostbaren Kunstwerks läßt sich bis ins Jahr 1575 zurückverfolgen. Es taucht erstmals auf einer Inventarliste der Kunstkammer des Grafen Ulrich von Montfort in Tettnang (Oberschwaben) auf, wo es als „allerlei mörische Rüstung von Federwerk“ bezeichnet wird. 1590 ging es durch Kauf in den Besitz von Erzherzog Ferdinand von Tirol über. Zitat Kann: „Daher wurde der Federkopfschmuck vollkommen legal erworben und ist seit damals in rechtmäßigem Besitz Österreichs.“

Doch ist der rechtmäßige Erwerb geraubten Gutes rechtens? Als Teil der Ambraser Sammlung wurde der Federschmuck nach Wien verlegt. 1880 gelangte er dann durch Tausch aus habsburgischem Familienbesitz, inzwischen von Motten angefressen, in den Besitz der Anthropologisch-Ethnographischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, aus der das heutige Museum für Völkerkunde hervorging.

Bundespräsident Thomas Klestil hatte im Juni 1996 zum Entsetzen der österreichischen Museumsfachwelt angeregt, die „Federkrone des Montezuma“ dem ehemaligen Land der Azteken anläßlich eines Besuches zurückzugeben beziehungsweise zu „schenken“, wie betont wurde. 1938 hatte Mexiko als einziges Land der Welt beim Völkerbund ein Veto gegen den Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland eingelegt, und es gewährte vielen Verfolgten Asyl. Die Schenkung sollte als „Dankopfer“ im Rahmen der Tausendjahrfeiern erfolgen, so schlug es jedenfalls Rudolf Burger, Rektor der Wiener Kunsthochschule, vor. Direktor Peter Kann vom Völkerkundemuseum und Kollege Wilfried Seipel vom Wiener Kunsthistorischen Museum protestierten scharf. Sie nannten das Ansinnen eine „Gefährdung in Österreich befindlichen Kulturbesitzes“. Eine hitzige Kontroverse entbrannte. Die vornehme Geste der „Schenkung“ jedenfalls steht immer noch aus.

Antonio Gomora aus Mexiko betont ehrfürchtig „die Heiligkeit der Krone“, die zu berühren er nicht wagen würde. Der in der Kultur der Azteken erzogene Xokonoschtletl lebt seit zwölf Jahren in Deutschland und kämpft nun schon über zwanzig Jahre um die Rückgabe dieses Symbols einer untergegangenen Epoche. Fünfhundert Jahre Ungerechtigkeit sollen beendet werden, sagt er. „Mit der Rückkehr von Motecuçomas Federkrone wird ein neues Zeitalter beginnen, eine Ära in Frieden und Weisheit, mit Respekt allen und allem gegenüber.“ Wenn etwas ganz Bedeutendes aus Europa zurückkäme, so glaubt er, würden die Probleme, die mit den Europäern begannen, beendet sein.

Doch der Adressat seiner Forderungen, der sich übermäßig belästigt fühlende Museumsdirektor, spricht von der angeregten „Phantasie verschiedener Personen“. Mit Antonio Gomora wechselt er kein Wort. Er läßt allenthalben Stellungnahmen verteilen, auf denen „alles zu lesen ist, was zur sogenannten Federkrone zu sagen ist“. Nach seiner Version nicht viel. Eine Vertreterin des Museums stöhnt: „Ja, wir wissen schon, der ist wieder in Deutschland. Einige Schulklassen habe uns schon wieder Protestbriefe geschrieben!“

In der Tat hat Antonio Gomora sehr viele dazu bewogen, Protestbriefe an das Kulturministerium zu schicken. Bei der Königin von Holland, beim Vatikan und siebenmal bei den Vereinten Nationen durfte er vorsprechen. Als „Guru“ werde er dafür diffamiert, klagt er. Gomora ist der Vorsitzende des „Vereins für Völkerverständigung“ und traditioneller Tänzer. Mit – wie er erbost berichtet – von den Museumsleuten als „Heuschreckengehopse“ bezeichneten Tänzen und Zeremonien hat er die Aufmerksamkeit der Wiener auf sich gezogen. Obwohl als Spinner abgetan, gelang es ihm immerhin, die Hüter des Federschmucks so zu provozieren, daß die ihm bereits Museumsverbot androhten. Trotz finanzieller Probleme konnte er bisher über dreihundert Personen aus dreizehn indianischen Stämmen aus Mexiko holen. Gemeinsam wollen sie ihrem Anliegen in Europa Nachdruck verleihen. Da geht es längst nicht mehr nur um eine Kulturikone, sondern um politische Anerkennung.

Ob nun das symbolträchtige Federkunstwerk tatsächlich eine Herrscherkrone ist oder aber Priesterköpfe schmückte – das Getöse um die ursprüngliche Funktion übertönt die eigentliche Frage, wo all diese Werke letztlich hingehören. Ist nun das Beherbergen überseeischer alter Kunst die Fortsetzung der Kolonialisierung mit anderen Mitteln? Oder gehören die Schätze in Wiener oder Berliner Museen nach London oder Paris, weil sie hier gesammelt, von Motten befreit, entstaubt und inventarisiert wurden? Oder ist es nicht an der Zeit, zumindest bei bedeutenden nationalen Symbolen, die Sache neu zu überdenken? Unabhängig von allen etwaigen Rechtsansprüchen wäre eine Rückgabe des mystischen Werkes nicht nur eine großzügige Geste. Es wäre ebenso ein Zeichen, fünfhundert Jahre nach den Beutezügen und der Kolonialisierung in den damals ausgeplünderten Ländern endlich wirklich Partner sehen zu wollen. Schade eigentlich, daß die Quadriga nicht doch in Mexikostadt ausgestellt ist. Dann nämlich wäre die Diskussion längst in vollem Gange.