Memoiren eines Fetzentandlers

■ Stefan Heym erzählt in seinem Roman über Joseph Gottfried Pargfrieder aus der k. u. k. Zeit: Von einem, der reich und berühmt werden wollte und dafür einen Heldenberg eingerichtet hat

15. Juli 1998. Die Bewohner des niederösterreichischen Fleckens Kleinwetzdorf werden mit zackiger Militärmusik aus ihrer gewohnten Ruhe gerissen. Man feiert, mit Original-Dragoner-Uniformen, mit Heurigenbetrieb und Fackelzug, das 150. Jubiläum jenes denkwürdigen Jahres, da Johann Strauß senior dem Helden des österreichischen Befreiungskrieges ein musikalisches Denkmal schuf: den Radetzkymarsch. Um den Marsch zu feiern, kann ein bißchen Operette nicht schaden, mögen sich die Veranstalter auf Schloß Wetzdorf gesagt haben. Hier hatte einst der k. u. k. Armeelieferant Joseph Gottfried Pargfrieder (1789–1863) gelebt.

Wer die Aufführung in Kleinwetzdorf verpaßt hat, für den gibt es jetzt ein Libretto aus berufener Feder: „Pargfrider“ von Stefan Heym. Er erzählt die Geschichte eines aus armen Verhältnissen stammenden „Fetzentandlers“ halb jüdischer, halb ungeklärter Herkunft, der es mit Talent, Glück und dem rätselhaften Beistand unbekannter höherer Chargen zu einem der reichsten Männer der Monarchie bringt.

Heym hat die Geschichte in eine Rahmenhandlung eingebettet, die am Ende des letzten Weltkriegs spielt: Die Rote Armee überrollt Schloß Wetzdorf, wo ein junger Leutnant die Aufzeichnungen Pargfriders findet und sie dem Erzähler, einem amerikanischen Presseoffizier und Schriftsteller, zur Verwertung übergeben will. Dazu kommt es jedoch erst mit einem halben Jahrhundert Verspätung. Der Schriftsteller und Presseoffizier von einst gibt nun vor, lediglich aus den Notizen Pargfriders zu zitieren: ein Verwirrspiel mit authentischen und fiktionalen Biographien, jener des Autors und jener des Helden.

Zwar hat Heym die Rahmenhandlung frei erfunden, die Aufzeichnungen der historischen Figur Pargfrieder (im Roman als „Pargfrider“ verfremdet) sind jedoch tatsächlich überliefert. Um jedoch aus dem dürren Gerüst äußerer Lebensdaten ein lebendiges Charakterporträt entstehen zu lassen, muß Heym seine ganze Erzählkunst und -routine aufbieten. Aus der Höhe seines Triumphes, der Kaiser ist mit dem Beerdigungstroß unterwegs auf dem Weg nach Wetzdorf, um hier an der Beisetzung Radetzkys teilzunehmen, läßt er den eigenwilligen Schloßherrn auf sein Leben zurückblicken: „Wann war die Welt denn aufnahmebereit und willens, ihre Arme zu breiten und mich an ihre Brust zu nehmen?“

Das meiste, was Pargfrider über die Anhäufung von Reichtum hinaus antrieb, war dem Verlangen geschuldet dazuzugehören: zur etablierten Gesellschaft, zur anerkannten Elite der Monarchie. Er war ein Nebeneinsteiger im Geschäft von Macht und Ruhm. Was ihm die Geburt verweigert hat, suchte er mit Geld wettzumachen. Schloß Wetzdorf ist ein ordentliches Stück Geschichte, und überdies kann man es kaufen. Doch Pargfrider merkt sehr schnell auf seinem Schloß: Geld macht den fehlenden Adel nicht wett. Lange Zeit war das ein Problem des Großbürgertums und erst recht eins des jüdischen. Einen Schatten von Ruhm verschaffen ihm dagegen die Freunde: Radetzky, der Held von Leipzig, der den großen Napoleon in die Knie zwang, und Feldmarschall von Wimpffen.

Seinem Ziel, sich in das Andenken der Nation zu schleichen, nähert sich Pargfrider dann mit dem Plan, zur Ehre der österreichischen Armee und nicht zuletzt zum Ruhm seiner beiden Freunde einen Heldenberg einzurichten. Den Mittelpunkt der Anlage bildet ein Obelisk, unter dem die Begräbnisstätte für die Männerfreunde angelegt wird. Am Ende hat Pargfrider, was ihm vorschwebte: Der Bürgerliche mit dem Stigma des „Halbjuden“ empfängt anläßlich von Radetzkys Beerdigung den Kaiser auf seinem Heldenberg.

Mehr noch als ein ausgreifendes Gesellschaftsbild der Habsburger Monarchie („Österreich beruhte darauf, alle wußten das außer Radetzky, daß nichts umgestellt wurde und alles beim alten blieb“), mehr als die Geschichte einer doppelten Emanzipation mit Hilfe des Geldes ist „Pargfrider“ ein vom psychologischen Interesse des Autors getragener Roman — ein Interesse, das nicht zuletzt selbstbezogen ist. Die Rahmenhandlung wirkt vor diesem Hintergrund wie eine Notlösung, derer sich Heym bedienen muß, um eine plausible Brücke zu den Aufzeichnungen Pargfriders zu bauen. Das berührt den Kern des Buchs jedoch nicht. Es ist eine Vanitas-Klage, mit der Heym die Erzählung seines Helden ausklingen läßt. Pargfrider, im Buch und in der Wirklichkeit, hat seine Lebensbilanz mit einem Freimaurerspruch ausgedrückt, der in seiner Gruft zu lesen ist: „Ihr glaubt, die Zeit vergeht!/ Toren!/ Weil ihr's nicht versteht!/ Die Zeit steht!/ Ihr vergeht!“ Peter Walther

Stefan Heym: „Pargfrider“. Roman. Bertelsmann, München 1998, 260 Seiten, 39,90 DM